Zur Geschichte der Juden in Hameln

und in der Umgebung

 

Der jüdische Friedhof in Bodenwerder

 

Zusammen mit Polle Synagogengemeinde im Landrabbinat Hannover

Lage und Größe:

"Vor dem Mühlentore"; nördlich der Altstadt nahe am Weserufer am Rande eines Parkplatzes; 194 von ursprünglich 339 qm

Bestand an Steinen:

4 Steine (1925 und 1935); zahlreiche leere Grabfelder, auch Grabsockel

Daten zur Geschichte:

1677 zum ersten Male erwähnt
1942 von der Stadt Bodenwerder widerrechtlich an die angrenzende Werft als Lagergelände verpachtet und dabei völlig zerstört
nach 1945 unter Wiederaufstellung von 2 Steinen auf einem Teil der Fläche wiederhergerichtet; ein anderer Teil des Friedhofes weiter von der Werft genutzt
1954 zurückerstattet; dabei Verkauf eines Teils des Friedhofes durch JTC und LV an die Werft
im Jahre 2002 grundlegend neu gestaltet
die Aufstellung einer Informationstafel ist geplant
 

In Bodenwerder erinnert nur der kleine Friedhof an das frühere jüdische Leben in der Stadt. Wenn die Vermutung stimmt, dass wir anlässlich der Bestattung der Ehefrau des Juden Moses im Jahre 1677 zum ersten Mal von diesem Friedhof hören, dann haben wir hier den ältesten jüdischen Friedhof der Umgebung vor uns.

In der Zeit des Dritten Reiches waren dort noch mehrere Bestattungen erfolgt, die zumeist unter bedrückenden Umständen vonstatten gehen mussten. Als der im benachbarten Kirchbrak wohnende Albert Frank 1935 starb, verweigerte der Bürgermeister von Kirchbrak den Angehörigen die Stellung des Totenwagens. Bei der Beerdigung störten SA-Leute und antisemitisch eingestellte Arbeiter der an den Friedhof grenzenden Werft. Als Karoline Blumenthal im Jahre 1937 starb, war es der evangelische Pastor Buttler, der die Benutzung des Totenwagens verweigerte.

Im Novemberpogrom 1938 ist der Friedhof offenbar nicht zerstört worden. Eine Zeitzeugin erinnert sich, dass ihre Großmutter sie als kleines Mädchen stets mit auf den jüdischen Friedhof genommen habe, um die Gräber zu pflegen. Das muss um die Jahre 1940/41 gewesen sein und sei stets in der Dämmerung geschehen. Sie habe sich gewundert, warum die Besuch heimlich geschehen mussten. Eines Abends hätten beide den Friedhof abgeräumt und mit Kies und Balken abgedeckt gefunden. Grabsteine hätten in einer Böschung gelegen.

 
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Spätestens im Jahre 1943 ist der Friedhof vollkommen zerstört worden. Der als Nationalsozialist bekannte Besitzer der Oberweser-Werft, Pape, nutzte das Gelände als Lagerplatz der Werft. Der Friedhof war unter einer Wüstenei von Eisen verschwunden. Für Angehörige war es unmöglich, die Gräber zu besuchen. Am 16. Juni 1943 wurde das gesamte Gelände des Friedhofes von der Stadt Bodenwerder der Werft auf zwölf Jahre verpachtet.

Wegen der Eigentumsverhältnisse ergeben sich merkwürdige Ungereimtheiten. 1932 hatte die Stadt Bodenwerder darauf aufmerksam gemacht, dass das Grundstück des Friedhofes nicht in das Grundbuch eingetragen sei. Sie sah kein Problem darin, eine solche Eintragung zugunsten der jüdischen Gemeinde nachträglich vorzunehmen, "da nach allgemeiner Kenntnis das Grundstück seit unvordenklicher Zeit als israelitischer Friedhof benutzt wird und im Eigentum der israelitischen Gemeinde steht."

Im Jahre 1942 vertrat die Stadt dann plötzlich die gegenteilige Position. "Es ist aber festgestellt, dass das Grundstück von der Stadtgemeinde früher der jüdischen Gemeinde als Begräbnisstätte zur Verfügung gestellt war und somit Eigentum der Stadtgemeinde ist." Daraufhin wurde am 26. November 1942 die Stadt als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Auf Grund dieser angemaßten Rolle hatte die Stadt ein Angebot der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, die das Grundstück verkaufen wollte, ausgeschlagen und das Gelände eigenmächtig und zu ihrem Nutzen an die Werft verpachtet.

Nach dem Kriege blieb der Zustand des Friedhofes ist für längere Zeit unklar. Noch 1947 war die Stadt der Meinung, dass das Gelände ihr gehöre und damit auch seine Verpachtung an die Werft in Ordnung gehe, zumal "hier auch keine jüdische Gemeinde" bestehe. Nach einer Skizze, die in den Jahren 1953/54 entstanden sein muss, stand damals ein lang gezogener Schuppen auf einem Randstück des Geländes, der offensichtlich der Werft als Lager diente. Wahrscheinlich ist damals der westliche Teil des Friedhofs notdürftig wieder hergerichtet worden. Nur zwei Grabsteine, die beiden Steine der Eheleute Frank, konnten wieder aufgestellt werden. Was aus den zahlreichen anderen Grabsteinen des Friedhofes geworden ist und warum die beiden Steine der Eheleute Frank gerettet worden sind, ist nicht mehr zu klären.

1952 begann das Wiedergutmachungsverfahren um das Friedhofsgelände. Zwischen Jewish Trust Corporation (JTC) und Landesverband der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen (LV) war zunächst erwogen worden, auf die Rückerstattung zu verzichten und statt dessen eine finanzielle Entschädigung zu verlangen. Am Ende wurde jedoch beschlossen, den Friedhof nicht zu verkaufen, sondern die belegten Teile des Grundstücks mit Hilfe von Landesmitteln instand zu setzen.

 
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Am 30. Dezember 1953 kam es zu einem Ortstermin auf dem Friedhof. Anwesend waren der Friedhofsbeauftragte des LV, Herr Stichnothe, ein Vertreter der JTC und der Besitzer der Oberweserwerft, Pape. Pape fungierte bei diesem Termin als Sachverständiger.

Stichnothe hielt in seinem Bericht über das dortige Gespräch das Folgende fest:

"Der JTC hat den Wunsch, die unbelegte Fläche ... zu verkaufen. Nach Aussage des Nachbarn, des Schiffbauers Pape aus Bodenwerder, ist dies unbelegte Gelände ein Graben gewesen, den er im Jahre 1943 hat anfüllen lassen. Herr Pape versicherte mir, dass niemals auf diesem Gelände eine Beisetzung hätte stattfinden können, da besagter Graben bis zum Jahre 1931 (endgültige Regulierung der Weser) öfter mit Wasser angefüllt gewesen ist. Die Angaben des Herrn Pape erscheinen mir glaubwürdig."

Es war natürlich ganz problematisch, ausgerechnet den Mann als Ortskundigen zu hören, der während des Krieges das Friedhofsgelände als Lagerfläche missbraucht hatte und der nun einen Teil des Friedhofes für seine Werft kaufen möchte.

Dass der östliche, zur Weser hin gelegene Teil des Geländes, auf den Pape reflektierte, nicht belegt gewesen sein soll, ist unwahrscheinlich. Im östlichen Teil des Friedhofes hatten nach aller Regel die älteren Steine gestanden. Diese stammen aus einer Zeit, als man noch keine Rahmung der Gräber durch Grabfelder kannte. Insofern konnten sich hier nach Entfernung der Grabsteine keine Spuren einer Bestattung zeigen. Wie man etwa an den benachbarten Friedhöfen in Halle und in Kirchohsen sehen kann, war es auch nichts Ungewöhnliches, jüdische Friedhöfe in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zu errichten.

Der ortsunkundige Stichnothe schenkte den Aussagen Papes Glauben und stimmte einem Verkauf einer Fläche von 119 qm an den Eigentümer der Werft zu. Vorher hatte er noch das Einverständnis des Oberrabbiners Dr. Holzer eingeholt. Am 1. April 1954 kam es vor der Wiedergutmachungskammer in Hannover zum rechtskräftigen Vergleich. Danach wurde der Friedhof in einer Größe von 194 qm an den Landesverband zurück erstattet, während eine Parzelle von 147 qm für den Preis von 444 DM an den Besitzer der Werft verkauft wurde. Warum nun statt ursprünglich 119 qm sogar 145 bzw. 147 qm verkauft wurden, lässt sich nicht mehr aufklären.

1985 erwarb die Stadt Bodenwerder das Grundstück der stillgelegten Schiffswerft. Die Betriebsgebäude der Werft wurden abgerissen und das Gelände im Rahmen der Altstadtsanierung neu gestaltet. Zu einer Rückerstattung der an die Werft verkauften Friedhofsfläche kam es jedoch nicht.

Durch die Neugestaltung rückte das bisher im Abseits liegende Grundstück des Friedhofes nun in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Seitdem liegt der Friedhof am Rande eines großen Parkplatzes im Übergang zu Grünflächen und bildet für den unkundigen Besucher einen rätselhaften Fremdkörper.

Damals bekam der Friedhof eine neue Umzäunung. Sein Pflegezustand blieb jedoch in den Folgejahren schwierig. Das Gelände war sehr stark von Efeu überwuchert, so dass Wege und Grabfelder kaum erkennbar waren. Nur die beiden Grabsteine der Familie Frank ragten aus dem Bewuchs hervor.

Erst im Jahre 2002 erhielt der Friedhof durch eine großzügige private Spende eine tief greifende und gründliche Pflege und ist nun gut begehbar. Bei dieser Pflegemaßnahme wurden zwei Grabsteine und mehrere größere Bruchstücke von Steinen gefunden, die bisher im dichten Efeu verborgen gewesen waren.

Die Aufstellung einer Informationstafel im Jahre 2005 wurde ebenfalls durch eine erneute private Spende ermöglicht.

 
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Der Text der Tafel lautet:

 

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde und des jüdischen Friedhofes in Bodenwerder

Der außerhalb der alten Stadt vor dem Mühlentore liegende Friedhof wird zum ersten Male im Jahre 1677 erwähnt. Es handelt sich um den ältesten jüdischen Friedhof der Umgebung.

Das jüdische Leben in Bodenwerder ist sehr alt. Die ersten jüdischen Männer und Frauen sind in dieser Stadt bereits im Jahre 1392 nachgewiesen. In der Blütezeit des jüdischen Lebens in der Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten hier zehn jüdische Familien (mit den Namen Scharlach, Jacobsen, Lindner, Katzenstein, Bachrach, Philippson und Blumenthal u.a.).

In der NS-Zeit hat es auf diesem Friedhof in den Jahren 1933 bis 1937 noch vier Beerdigungen gegeben. Während der Bestattungen kam es zu schlimmen Störungen durch SA-Männer aus Bodenwerder. Auch wurde den Angehörigen die Benutzung des Totenwagens verweigert.

Zahlreiche in Bodenwerder geborene Juden wurden aus verschiedenen Städten des Deutschen Reiches deportiert und ermordet. Es handelt sich um Adolf, Friedrich und Rudolf Bachrach, Johanna und Louis Ballin, Walter Katzenstein und Klara Kühn, geb. Katzenstein, Louis Lindner und David Philippson. Im Jahre 1944 wurde Margarete Pieper, geb. Frank, aus Kirchbrak in das KZ Ravensbrück verschleppt. Ihr Todesdatum ist der 17. April 1945.

Das Grundstück des Friedhofs verpachtete die Stadt Bodenwerder im Jahre 1942 eigenmächtig an die benachbarte Oberweserwerft. Alle Grabsteine wurden abgeräumt und das Grundstück von der Werft als Lagerfläche genutzt.

Nach dem Kriege wurde ein Teil des Geländes wieder als Friedhof hergerichtet. Von den zahlreichen früher vorhandenen Grabsteinen fanden sich nur die beiden Steine der Eheleute Frank aus Kirchbrak wieder. Der andere Teil des Geländes wurde bis 1985 weiter von der Werft genutzt.

Das Gelände des Friedhofes erstreckte sich früher weiter in Richtung Weser. Von seiner ursprünglichen Fläche in der Größe von 339 qm sind noch 194 qm geblieben. Der Friedhof ist heute der einzige Zeuge der einst bedeutenden jüdischen Gemeinde der Stadt Bodenwerder.

 

Der Friedhof wird heute von Schülerinnen und Schülern der Realschule Bodenwerder gepflegt.

 

 

Quellen:

HStA Hann; ZA Heidelberg; Archiv des LV; KrA Hol; KrA HM-Pyr

 

Zu weiteren Einzelheiten vergleiche:

Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben im mittleren Weserraum, Holzminden 2003

 
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