Hameln in der NS-Zeit

 

Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde
an Adolf Hitler und Margarete Wessel durch die Stadt Hameln

 

Inhalt

Die Zuerkennung der Ehrenbürgerwürde an Hitler
Die Zuerkennung der Ehrenbürgerwürde an Margarete Wessel
Die Herstellung des Ehrenbürgerbriefs für Hitler
Die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde an Adolf Hitler
Die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde an Margarete Wessel
Zur Einordnung des Verhaltens der Stadt Hameln
Der Umgang mit der Ehrenbürgerwürde Hitlers in Hameln nach 1945
Die juristische Frage der posthumen Aberkennung von Ehrenbürgerschaften
Die Diskussion in Hameln 1978 und 1979
Heftige Auseinandersetzungen innerhalb der SPD..
Die Ratssitzung vom 9. Mai 1979: „Verwirrung und Peinlichkeiten“
Quellen

 

Die Zuerkennung der Ehrenbürgerwürde an Hitler

Begeistert und bereitwillig haben 1933 und 1934 ca. 4000 deutsche Städte Adolf Hitler die Ehrenbürgerwürde zugesprochen. Nicht alle Städte taten diesen Schritt. Im katholischen Emsland war Hitler niemals Ehrenbürger. Auch die evangelisch geprägten Städte Bielefeld und Gütersloh erwiesen Hitler nicht die Ehre. Hameln folgte damals der großen Mehrheit der deutschen Städte.

Vor der Entscheidung, Hitler die Ehrenbürgerwürde zuzuerkennen, hatte der Stadtrat am 31. März 1933 beschlossen, Straßen und Plätze nach „Männern der Bewegung“ umzubenennen. Seitdem hieß die Deisterallee Adolf Hitler-Allee und der Platz zwischen Münster und Weserbrücke Horst-Wessel-Platz.

In der Ratssitzung am 13. April 1933 stellte die NSDAP-Fraktion den Antrag, Adolf Hitler anlässlich seines Geburtstages am 20. April 1933 ein Glückwunschtelegramm zu schicken und die öffentlichen Gebäude zu beflaggen. Daraus entwickelte sich der einstimmig gefasste Beschluss, dem Reichskanzler Hitler zusammen mit dem rechtskonservativen Reichspräsidenten, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, die Ehrenbürgerwürde zu verleihen. Der Magistrat schloss sich am 20. April 1933 an.

Die „Schmuckblatt-Telegramme“, die am selben Tage in die Reichskanzlei wie in die Präsidialkanzlei gingen, unterzeichneten der noch amtierende bürgerliche Oberbürgermeister Dr. Scharnow wie der Bürgervorsteherworthalter Melcher von der NSDAP.

Die Kanzlei des Führers in München antwortete am 5. Mai:
„Die augenblicklich starke Überlastung der Kanzlei macht zur Zeit eine sofortige Bestätigung der täglich für den Führer in grosser Zahl eingehenden Anträge um Annahme der Ehrenbürgerschaft … unmöglich.“
Ein Antwortschreiben aus der Präsidialkanzlei hat sich nicht erhalten.

 
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Die Zuerkennung der Ehrenbürgerwürde an Margarete Wessel

Am 9. August 1933 beschloss der Rat, das Ehrenbürgerrecht auch an Margarete Wessel zu verleihen. Margarete Wessel war die Mutter von Horst Wessel, der 1930 als SA-Mann in Berlin in Straßenkämpfen mit Kommunisten ums Leben gekommen war. Josef Goebbels hatte den „Sturmführer“ zum Märtyrer des Dritten Reiches stilisiert. Von Horst Wessel stammte der Text des brutalen Kampfliedes der SA („Die Fahne hoch“), das in der NS-Zeit neben der ersten Strophe der Nationalhymne gesungen wurde.

Margarete Wessel stammte aus Dehrenberg bei Aerzen. Im Schreiben des Magistrats an Frau Wessel vom 9. August 1933 heißt es:
Der Beschluss, „Sie zur Ehrenbürgerin unserer Stadt zu ernennen, ist mit Rücksicht darauf gefasst worden, dass Sie in nächster Nähe der Stadt Hameln geboren sind und dass der Magistrat Ihnen, der Mutter unseres Horst Wessel, die Ihr Bestes für unsere Bewegung gegeben hat, eine Ehre erweisen will.“

Die Verleihung dieser Ehrenbürgerwürde ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass Hameln und das Weserbergland nachdrücklich versuchten, sich als nationalsozialistisches Kernland zu profilieren. Aushängeschild der Region war neben dem monströsen „Reichserntedankfest“ auf dem Bückeberg die Herkunft des Parteihelden Horst Wessel aus der Region.

Dieser sei, obwohl in Bielefeld geboren, tatsächlich ein „echter Sohn der niedersächsischen Erde“. Hier habe er in den Ferien bei seinen Großeltern in Aerzen sowie einer Großtante in Hemeringen jedes Jahr unbeschwerte Wochen verbracht.
„Die Wurzel zum Nationalsozialismus und die damit verbundene Rückkehr zum guten Alten und vor allem zur Natürlichkeit sind dem Dichter des nationalsozialistischen Freiheitsliedes hier in der goldenen Freiheit der Natur, hier in den Bauerndörfern in sein begeistertes junges Herz gelegt.“

Aus dem Jahr 1933 stammen Pläne, auf dem Süntel ein monumentales Horst-Wessel-Denkmal zu errichten. Im Landratsamt in Hameln wurde ein „Horst-Wessel-Archiv“ angesiedelt, in dem „alle Erinnerungen ..., die Horst Wessel mit Niedersachsen verbinden“, gesammelt werden sollten.

 
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Die Herstellung des Ehrenbürgerbriefs für Hitler

Die Überreichung der Ehrenbürgerbriefe zog sich längere Zeit hin. Zuerst war die Frage einer angemessenen Gestaltung zu lösen. Von der Gauleitung der NSDAP in Hannover, an die sich die Stadt um Rat gewandt hatte, bekam sie den Hinweis,
„daß Ehrenbriefe nur von ersten Künstlern und einzeln hergestellt werden. Der Einband besteht zumeist aus echtem Leder mit Handprägung.“

Der Hamelner Grafiker und Buchdrucker Karl Schatzberg gab als erster ein Angebot ab. Drei Mappen – für Hitler, Hindenburg und Margarete Wessel – könne er, wenn sie zusammen bestellt würden, für 600 RM das Stück liefern. Die Ausführung würde „in reiner Handarbeit in hochkünstlerischer Ausführung vorsichgehen.“ (StA Hameln, Best. 2, Acc 1, Nr. 599)
Die Mappe werde „aus edelstem Ledermaterial mit Handintarsienarbeit und Prägung“ gefertigt, der Ehrenbrief „auf Kalbs- bzw. Eselhaut hochwertig ausgeführt.“ (ebd.)

Es war sicher kein Zufall, dass Schatzberg als „alter Hamelner NS-Kämpfer“ (Schatzberg war NSDAP-Ortsgruppenleiter Hameln-Nord) den Auftrag bekam. Am 5. April 1934 legte er ein konkretisiertes Angebot vor. Als Mindeststückpreis berechnete er nun nur noch 300 RM,
wenn die Sache nicht primitiv und hungrig aussehen soll. Während der Ehrenbürgerbrief aus Schweinsleder in reiner Handzeichnung hergestellt wird, sind die 3 Mappen in Marocainleder gebunden mit Dekorationsvergoldung und Elfenbeinschliessen gedacht. (StA Hameln, Best. 2, Acc 1, Nr. 599)

Am 11. April 1934 teilte Schatzberg mit, dass er die drei Ehrenbürgerbriefe unterschiedlich gestalten wolle.
Für unseren Reichskanzler Adolf Hitler zeigt der Ehrenbürgerbrief den Rattenfängerzug und antike plastische Schrift und Vergoldung.
Die beiden anderen Briefe sollte statt des Rattenfängerzuges das Stadtwappen zieren. Die Ausfertigung für den Reichskanzler sollte vorrangig erfolgen.

 

Der Ehrenbürgerbrief für Hitler bekam den folgenden Wortlaut:
„Die Stadt Hameln hat am 20. April 1933, dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler, dem Schöpfer des dritten Reiches, dem Führer des im Nationalsozialismus geeinten deutschen Volkes, in Dankbarkeit für seinen unermüdlichen Kampf und als besonderen Ausdruck der nationalsozialistischen Gesinnung ihrer Bürgerschaft das Ehrenbürgerrecht der Stadt Hameln verliehen.
Die gesamte Bürgerschaft gelobt treue Gefolgschaft für alle Zeiten.
Zur Beurkundung der Verleihung ist dieser Ehrenbürgerbrief unter Unterschrift und Anhängung des ältesten großen Siegels der Stadtgemeinde ausgefertigt.

Hameln den 1. Mai 1934 – Der Oberbürgermeister – (gez. Detlef Schmidt)“

 

In die Zeit der Herstellung der Urkunde für Hitler fiel der Tod des Reichspräsidenten Hindenburg am 2. August 1934. Die Beigeordnetenversammlung entschied daraufhin am 7. September 1934, die Ehrenbürgerurkunde für Hindenburg nicht mehr fertigstellen zu lassen.

 
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Die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde an Adolf Hitler

Die Bitte von Hamelns Oberbürgermeister Detlef Schmidt, „unserem Führer die Urkunde … durch das Stadtoberhaupt in unserem schönen Sitzungssaal überreichen zu lassen“, wurde in Berlin abgeschlagen.

Die Übergabe fand dann anlässlich des „Reichserntedankfests“ auf dem Bückeberg am 30. September 1934 statt. Dabei sprach der Oberbürgermeister laut Bericht der Dewezet vom 1. Oktober 1934 die folgenden Worte:
„Mein Führer. Sie haben der Stadt die Ehre erwiesen, das Ehrenbürgerrecht der Stadt Hameln anzunehmen. Im Namen der Stadtverwaltung bringe ich im Namen der gesamten Bevölkerung tiefste Dankbarkeit zum Ausdruck und das Gelöbnis unwandelbarer Treue.“

Der stellvertretende Bürgermeister Busching hielt dazu in einer Notiz fest:
„Der Führer betrachtete den Ehrenbürgerbrief mit wohlwollendem Interesse und dankte dem Herrn Oberbürgermeister durch Handschlag.“

In einem Brief vom 4. Oktober 1934 an Reichspropagandaminister Goebbels bedankte sich Oberbürgermeister Schmidt geradezu überschwänglich.
„Die größte Freude, die die Bewohner der Stadt … je bewegt hat, brachte die zweimalige Durchfahrt des Führers und Reichskanzlers durch die Innenstadt. Vielen alten und schwachen deutschen Menschen, die körperlich nicht in der Lage sind, an der Kundgebung am Bückeberg selbst teilzunehmen, ist Gelegenheit geboten worden, den auf’s höchste verehrten Führer zu sehen. Alte Ehepaare sind sich aus Freude darüber, daß sie nun endlich den geliebten Volkskanzler gesehen haben, Tränen in den Augen um den Hals gefallen. Wenn es auch nicht in der Art der hiesigen Bevölkerung liegt, ihrer Freude lauten Ausdruck zu geben, so konnte man an den auf den Erntedanktag folgenden Tagen überall glückstrahlende Gesichter sehen. Dafür weiß Ihnen, Herr Reichsminister, die ganze Stadt allerherzlichsten Dank.“ (StA Hameln, Best. 2, Acc. 1, Nr. 1001)

 
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Die Überreichung der Ehrenbürgerurkunde an Margarete Wessel

Die Herstellung der Ehrenbürgerurkunde für Margarete Wessel verzögerte sich wegen des Todes von Karl Schatzberg und zog sich bis ins Jahre 1937 hin. Die Gestaltung des Briefes muss im Vergleich zu dem Ehrenbürgerbrief Hitlers bescheidener ausgefallen sein. Eine Abbildung liegt nicht vor.

Weil Margarete Wessel erkrankt war, übergab Oberbürgermeister Detlef Schmidt die Urkunde schließlich am 25. März 1937 an deren Tochter Inge Wessel.

Die Pläne aus dem Jahr 1933, auf dem Süntel ein monumentales Horst-Wessel-Denkmal zu errichten, wurden nur in bescheidener Form realisiert.

Über den Verbleib der Urkunde wie des Horst-Wessel-Archivs ist nichts in Erfahrung zu bringen.

 
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Zur Einordnung des Verhaltens der Stadt Hameln

In der Frage der Ehrenbürgerschaft Hitlers und Margarete Wessels zeigte die Stadt Hameln eine überdurchschnittliche Aktivität. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die lokale NS-Prominenz auch in anderen Themenfeldern wie beispielsweise der Judenverfolgung besonders aktiv und radikal war.

Hinzu kam, dass sich die Stadt wegen der „Reichserntedankfeste“ auf dem nahen Bückeberg als „Nürnberg des Nordens“ verstand und unter der besonderen Verpflichtung sah, sich als nationalsozialistisches Kernland zu profilieren. Hameln stand durch die Großveranstaltung auf dem Bückeberg stärker im Fokus der Öffentlichkeit des Dritten Reiches als die meisten anderen Städte.

 
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Der Umgang mit der Ehrenbürgerwürde Hitlers in Hameln nach 1945

Viele Städte erkannten die Ehrenbürgerschaften Hitlers und anderer NS-Größen unmittelbar nach Kriegsende ab. Osnabrück, Münster und Bremen etwa reagierten bereits 1945 oder 1946, Berlin und Oldenburg 1948.

Zu einer zweiten Welle von Aberkennungen kam es um 1980. Hannover entzog Hitler die Ehrenbürgerwürde 1978, Jever 1979, Hildesheim 1983, Wilhelmshaven 1984.

Andere Städte distanzierten sich in den 2000ern: Düsseldorf 2000, Saarbrücken 2001, Versmold 2005, Aschersleben 2006, Emden, Bad Doberan und Biedenkopf 2007, Kleve 2008, das österreichische Braunau 2011, Obernkirchen 2015.

Größere Aufmerksamkeit fand 2013 die Aberkennung in Goslar, als alle Ratsmitglieder einem Antrag der Partei der Linken folgten.
„Die heutigen Beschlüsse können die Geschichte nicht korrigieren, jedoch das Bekenntnis der heutigen Generationen zu einem friedlichen Miteinander untermauern.“
Die Tageszeitung „Die Welt“ (30.10.2013) schrieb dazu:
„Goslars Entsorgung ist zwar nur eine symbolische. Aber sie sollte Kommunen mit ähnlichen Karteileichen Mut machen.“

 
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Die juristische Frage der posthumen Aberkennung von Ehrenbürgerschaften

Die Ehrenbürgerwürde wird als eine persönliche Auszeichnung einem Lebenden zuerkannt. Und nur einem Lebenden kann sie – wegen unwürdigen Verhaltens – auch wieder aberkannt werden. Es ist weithin anerkannt, dass eine Ehrenbürgerschaft mit dem Tod erlischt und dass eine posthume Aberkennung rechtlich keinen Sinn macht.

Wegen der Größe der Verbrechen, die in der NS-Zeit begangen wurden, hatten viele Städte gleichwohl das Bedürfnis, verstorbenen NS-Machthabern die Ehrenbürgerschaft ausdrücklich abzuerkennen. Solche Kommunen distanzierten sich dann symbolisch von ihren einstigen Ehrenbürgern, ohne eine formelle Aberkennung vorzunehmen. Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Theo Öhlinger (Wikipedia, Art. „Ehrenbürger“) ist dieses Vorgehen auch korrekt:
Die Aberkennung „braucht es nicht rechtlich gesehen, aber es ist ein symbolischer Akt, wenn bestimmte Menschen Ehrenbürger sind, die … alles andere als zur Ehre der Gemeinde beitragen, dann hat es natürlich schon einen Sinn, sich … öffentlich zu distanzieren.“

Dass die Ehrenbürgerwürde als eine persönliche Auszeichnung nur einem Lebenden zu- und aberkannt werden kann, erfährt in jüngerer Zeit eine Aufweichung. Nach der Wiedervereinigung haben Kommunen der neuen Bundesländer Ehrenbürgerschaften aberkannt, welche die DDR-Führung verliehen hatte. So wurde 1992 dem verstorbenen Wilhelm Pieck und dem lebenden Erich Honecker die Ehrenbürgerschaft Berlins aberkannt.

Auch die postume Verleihung einer Ehrenbürgerwürde geschieht nicht selten. Berlin ehrte 2002 die verstorbene Marlene Dietrich. Saarbrücken verlieh im Jahre 2003 dem 1943 hingerichteten NS-Widerstandskämpfer Willi Graf die Ehrenbürgerwürde.

 
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Die Diskussion in Hameln 1978 und 1979

Hameln beschäftigte sich Anfang September 1978 erstmals mit dem Thema. Anlass war ein Bericht der Dewezet über die Nachbarstadt Hannover. Diese wollte zum 9. November 1978, dem 40. Jahrestag der Reichspogromnacht, Hitler aus der Liste der Ehrenbürger tilgen.

Die Veröffentlichung traf die Mitglieder des Hamelner Rats unvorbereitet. Die Dewezet (6.9.1978) titelte:
„Ehrenbürgerschaft für Hitler – Kommunalpolitiker wußten von nichts und sind völlig überrascht.“

Die Zeitung holte einige Stellungnahmen ein:
Klaus Arnold, Chef der CDU-Fraktion, meinte, dass es sich „um einen reinen Verwaltungsakt handelte, den man nicht mehr rückgängig machen könne. … Da Hitler tot ist, sei die Ehrenbürgerschaft automatisch erloschen.“

Bürgermeister Fiebig, FDP, hielt sich mit einem Urteil zurück.

Werner Stapp, Ortsvereinsvorsitzender der SPD, sagte: „Ich bin grundsätzlich dafür, unter diese Angelegenheit einen Schlußstrich zu ziehen.“ Er schlug dafür ein symbolträchtiges Datum vor, den 9. November.

Oberbürgermeister Dr. Walter-Dieter Kock, CDU, erklärte: Die Sache ist „seit 1945 ganz einfach abgeschlossen. … Und nur weil es in anderen Städten zur Zeit wegen dieser Angelegenheit Diskussionen gibt, ist es für mich noch nicht Veranlassung, ebenfalls darüber zu diskutieren!“

 

Die Sitzung des Verwaltungsausschusses am 20. September 1978

Für die nächste Sitzung des Verwaltungsausschusses (VA) schlug die SPD vor,
„darüber zu beraten, welche Möglichkeiten gegeben sind, diesen dunklen Punkt in der Geschichte der Stadt Hameln auszulöschen. Wir meinen, selbst wenn aus rechtlichen und formellen Gründen eine Löschung der Ehrenbürgerschaft … nicht vorgenommen werden kann, sollte sich der Rat der Stadt davon distanzieren.“

In der VA-Sitzung am 20. September 1978 berief sich Oberbürgermeister Kock auf die Haltung des niedersächsischen Städtebundes. Dieser habe empfohlen, die Ehrenbürgerschaft als gegenstandslos zu betrachten, da der zu Ehrende verstorben sei. Eine Aberkennung habe lediglich deklaratorischen Charakter, sei aber juristisch nicht haltbar.

Klaus Arnold stellte fest, dass sich der Rat durch seine Politik nachhaltig von der damaligen Zeit distanziere. Allein Ratsherr Max Schröder (SPD) hielt eine ausdrückliche Aberkennung für erforderlich.

Der VA folgte mit einer Gegenstimme dem Vorschlag des Oberbürgermeisters. Am 18. Oktober 1978 schloss sich der Rat mit einer Stimme Mehrheit dem Votum des Oberbürgermeisters an:
Er sehe es nicht ein, etwas zu veranlassen, da die Ehrenbürgerschaften nicht mehr bestünden und der Rat sich in seinem politischen Gedankengut nicht mit den Ehrenbürgerschaften identifiziere.

 
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Heftige Auseinandersetzungen innerhalb der SPD

Innerhalb der Hamelner SPD kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Sie gipfelten im Rücktritt ihres Vorsitzenden Werner Stapp im November 1978.

Stapp hatte die Haltung der Mehrheit seiner Fraktion im VA als „politisch instinktlos“ bezeichnet. Aus grundsätzlichen politisch-moralischen Gründen forderte er eine ausdrückliche Distanzierung, die der übrige Vorstand der SPD jedoch ablehnte. Stapp bewies damit eine hohe politische Sensibilität, stand aber in der kommunalpolitischen Szene ziemlich allein da.

Ein offener Brief der Kreistagsabgeordneten Heide von Bernstorff von der „Wählergemeinschaft Atomkraft Nein Danke“ (WGA) vom 7. November 1978 spitzte die Kontroverse zu. Von Bernstorff hatte dem Rat Inkonsequenz vorgeworfen. Er könne nicht einerseits für den 9. November zu einer Gedenkstunde am Ort der zerstörten Synagoge aufrufen, andererseits in der Frage der Ehrenbürgerschaft „des Massenmörders Adolf Hitler“ untätig bleiben und Demonstrationen der NPD in Hameln zulassen.

Unterschrieben hatten den Brief auch mehrere SPD-Mitglieder. Der Vorstand warf ihnen daraufhin vor, sich vor den Karren einer politischen Gruppierung spannen zu lassen, die mit der Vorstellungen der SPD nicht übereinstimme. Von Schiedsgerichtsverfahren, gar Parteiausschluss war die Rede. Der Vorstand ging rüde gegen die „Spaltpilze“ vor.

Zwar kam es nicht zum Parteiausschluss. Aber die Mehrheit der „Genossen“ stellte die Abweichler im Rahmen der Neuwahlen zum Vorstand im März 1979 kalt.

Bis zur politischen Selbstaufgabe hatte der linke Flügel der SPD die Frage der Ehrenbürgerschaft betrieben. Eine späte Rechtfertigung in der Sache erhielten die Dissidenten dadurch, dass die Partei wundersamerweise schließlich doch beantragte, die Ehrenbürgerschaften von Hitler und Margarete Wessel zu tilgen.

 
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Die Ratssitzung vom 9. Mai 1979: „Verwirrung und Peinlichkeiten“

Der Antrag der SPD-Fraktion für die Ratssitzung am 9. Mai 1979 lautete:
„In dem gemeinsamen Bewußtsein, daß alles getan werden muß, um den demokratischen Rechtsstaat vor Übergriffen rechts- und linksextremistischer Kräfte zu schützen, tilgt der Rat … jene Namen, die mit der verbrecherischen Politik der Nationalsozialisten verbunden sind. Der Rat erinnert daran, daß die Ehrenbürgerschaften schon mit dem Tode der damaligen Machthaber erloschen waren.“

In der Ratssitzung kam es zu einer heftigen Debatte.
Ratsherr Dr. Alpers, CDU:
Eine Willensbildung in Form eines Ratsbeschlusses sei gar nicht möglich. Die Ehrenbürgerschaften hätten sich juristisch durch Tod selbst erledigt. Diese Erklärung könne der Ratsvorsitzende ohne eine Beschlussfassung durch den Rat abgeben.

Stadtdirektor von Reden-Lütcken:
Der Rat könne durchaus eine derartige politische Willenserklärung abgeben.

Beigeordneter Alfred Hodek, CDU:
Er werde an einer Abstimmung nicht teilnehmen, da er nicht einzusehen vermöge, dass ihm die SPD-Fraktion ein bestimmtes Handeln abverlange. „Ich habe es nicht nötig, mich durch Handaufheben von der Ehrenbürgerschaft zu distanzieren.“

Zweiter Bürgermeister Arnold, CDU:
Er betrachte die Erklärung von Alfred Hodek als eine Feststellung. Weitere Maßnahmen habe der Rat mit seiner demokratischen Gesinnung nicht nötig. In diesem Sinne sollte man auch die Ratsmitglieder anerkennen, die den Saal bei der Abstimmung verlassen würden.

Tatsächlich verließ im Verlauf der Sitzung die überwiegende Mehrheit der CDU-Vertreter aus Protest den Saal. Am Ende stand eine zwischen den Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP und SPD ausgehandelte Formulierung zur Abstimmung. Die SPD hatte auf ihren ursprünglichen Antrag verzichtet.
„Die Ehrenbürgerschaft von Adolf Hitler und Margarete Wessel war formell bereits mit dem Tode der beiden Personen erloschen. Um alle Zweifel auszuräumen, stellt der Rat darüber hinaus fest, daß weder rechtlich noch politisch eine Ehrenbürgerschaft von Adolf Hitler und Margarete Wessel besteht.“

Dieser Wortlaut, in dem von einer ausdrücklichen Aberkennung der Ehrenbürgerschaften nicht mehr die Rede war, wurde von den Resten der CDU-Fraktion, der FDP und der SPD einstimmig angenommen.

Die SPD war erneut gescheitert. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (11.6.1979) sprach bezogen auf die Hamelner Ereignisse mit Recht von „Verwirrung und Peinlichkeiten“.

Das Thema Ehrenbürgerschaften war in Hameln damit endgültig tot. Der Rat der Stadt hat sich seitdem bis zum Jahre 2017 nicht wieder damit beschäftigt.

 

Quellen

StA Hameln, Best. 2, Acc 1, Nr. 599
StA Hameln, Best. 2, Acc. 1, Nr. 1001
StA Hameln, Ratsprotokolle und VA-Protokolle
Berichte der Dewezet
Wikipedia, Artikel “Ehrenbürger”, “Hitler als Ehrenbürger”

 
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