Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

(DEWEZET vom 18. Juni 2004)

Zwangsarbeiter:

Ein ebenso "leises" wie "eindrückliches Bild der Zeit"

 
Bernhard Gelderblom:
"Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger"

 

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 Hameln (rp). Sechs Jahrzehnte des Vergessens - Verdrängens auch - bis einer kommt und sich "im Namen der Opfer erinnert". " In sensibler Recherche", wie es bei der Vorstellung von Bernhard Gelderbloms Dokumentation "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger" am Mittwoch Abend in den neuen Räumen des Landschaftsverbandes im Pavillon am Bürgergarten hieß und das Schicksal der Zwangsarbeiter in und um Hameln als ebenso "leises" wie "eindrückliches Bild der Zeit gezeichnet".

Bernhard Gelderblom hat sie ausfindig gemacht, Polen vor allem und Russen, Ukrainer, die von 1939 bis 1945 in und um Hameln zur Zwangsarbeit verpflichtet waren. Brutal verschleppt, unvorstellbar heute, unter welchen Bedingungen - "Wie Vieh steckte man uns in einen Güterzug", wie Jozef B. aus Polen schreibt - sie nach Hameln gebracht wurden. Und hier: "Wir hatten immer Hunger". Das vor allem findet sich in vielen Briefen, über 300, die Gelderblom mit 115 Betroffenen wechselte: Hunger. "Essen ein Mal am Tag, waren immer hungrig", heißt es in einem der Briefe. Aber auch: "Nicht alle Deutsche waren schlecht".

Andreas Jungnitz in seiner Einführung zu diesem "historisch bedeutsamen Thema", dem er sich literarisch näherte: Mit "Bildern von existenzieller Ungewissheit" und an Kafkas geniales Romanfragment "Amerika" erinnert, das vom Ausgeliefertsein handelt und mit den Schicksalen korrespondiert, die ihrer Heimat brutal entrissen wurden. Doch anders als bei Kafka, wo "dieses furchtbar Neue" freiwillig erfahren wird, hieß es bei den Zwangsarbeitern: "Verlorenheit der Menschen durch die Menschen". Und von Jungnitz als zweites Bild assoziiert: Die "ägyptische Gefangenschaft" als verdichtetes Bild von Pein und Not - aber auch: "Das gelobte Land", das es für die Zwangsarbeiter, so Jungnitz, nie gegeben hat. Die Realität war immer grausamer - bis zu den beschämenden Entschädigungsversuchen. Was das Buch als Dokumentation so wichtig macht, ist die "eindrückliche Authentizität", wie Jungnitz sagt, "indem es die Opfer selbst zu Wort kommen lässt".

Und eindrücklich die Dramaturgie der Vorstellung dieses Bandes aus dem Verlag Jörg Mitzkat: Von zwei Schülerinnen des Albert-Einstein-Gymnasiums, Laetitia Grieger und Lena Tiedau, in Ausschnitten gelesen, diese Briefe nach sechzig Jahren, kurz von Gelderblom charakterisiert und zugeordnet - dazwischen Musikstücke von Olga Tschipanina gespielt.

Und Gelderbloms eindringlicher Appell, die Opfer einzuladen "an den Ort der Zwangsarbeit" um zu helfen, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, dem "hohen Maß an Betroffenheit", die sich in den Briefen ausdrückt, zu begegnen. Die Tragödie der Zwangsarbeiter, die "bleibende Spuren hinterließ", etwas zu lindern.

KOMMENTAR von Richard Peter

Die vergessenen Zwangsarbeiter
Nur schwer vorstellbar: Zwangsarbeiter in Hamelner Fabriken und auf den Höfen in den Ortschaften. Ein schmerzliches Buch, das Bernhard Gelderblom jetzt vorstellte: Ein wichtiges, das vergessene Geschichte nach sechzig Jahren ans Licht holt. Schicksale publik macht, die vergessen, verdrängt wurden. Zerstörtes Leben namentlich macht. Von 1939 bis 1945 auch in und um Hameln Zwangsarbeiter aus Polen, Russland und der Ukraine. Verschleppte Jugendliche vor allem, die hier kaserniert wurden, unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten und erinnern: "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger." Gelderbloms Appell an die Stadt: Die Opfer einzuladen.

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(DEWEZET vom 24. Juni 2004)

"Ein weißer Fleck in der Hamelner Stadtgeschichte"

Gespräch mit Bernhard Gelderblom und sein Buch "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger"

 
Hameln.
Sein Name ist untrennbar mit der Aufarbeitung der NS-Zeit verbunden: Bernhard Gelderblom. Seine Ausstellungen, Bücher, Vorträge haben seinen Namen weit über den regionalen Raum hinaus bekannt gemacht. Vergangene Woche stellte er sein neues Buch "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger" (Verlag Jörg Mitzkat, 14.80 Euro) vor, das dem Schicksal der Zwangsarbeiter in und um Hameln gewidmet ist. Mit Bernhard Gelderblom sprach Richard Peter.

Es war, wie Bernhard Gelderblom sagt, "ein weißer Fleck in der Hamelner Stadtgeschichte": Die Schicksale der Zwangsarbeiter aus den Jahren 1939 bis 1945. Als der bekannte Historiker nach dem 40. Jahrestag der Befreiung, 1985, in einer Ausstellung sich erstmals mit dem Thema beschäftigte, war ihm nicht klar, was für ein Riesenprojekt sich da anbahnte. So sehr ihn das Thema schon lange verfolgt hatte - und durch die Entschädigungsdebatte auch in der Öffentlichkeit einen neuen Stellenwert erhielt: Die Quellen, die ihm zur Verfügung standen, waren eher spärlich.

Kommt dazu - anders als beim Holocaust - dass die Zwangsarbeiter als "normale Begleitung des Krieges" galten - auch durch die herrschende Ideologie, die in den Slawen "Untermenschen" sah. Was Gelderblom an Fakten zur Verfügung stand, brachte ihn auf die Idee, Zeitzeugen zu befragen, ein traditionelles Mittel, Geschichte erfahrbar zu machen. Vor ein paar Tagen konnte er das Ergebnis seiner Befragungen vorstellen. Dabei war das Buch, das auf der Basis von rund 300 Briefen von 115 Briefschreiberinnen und Briefschreibern entstand, nicht geplant, wie Gelderblom betont - war ausschließlich Folge der Briefflut; deren erschütternde Aussagen Anspruch auf Veröffentlichung hatten.

Nur nach und nach rundete sich das Bild: Betroffenheit über die brutale Sprache der Merkblätter, in denen der Umgang mit den Zwangsarbeitern geregelt war. Was den engagierten Historiker immer wieder überraschte und erschütterte: die unverblümte, brutale Sprache in der über diese Menschen geschrieben wurde; dass selbst die NS-Behörde sich in Einzelfällen gegen die gängige Praxis stellte und meinte: "So könnt ihr die nicht behandeln".

Während seiner Arbeit erhielt Gelderblom immer wieder Anrufe betroffener Firmen, die ihm versicherten, es seien nur. Freiwillige zur Arbeit herangezogen worden. Kein Zwang - im Gegenteil, wie es Hieß: man wollte die Polen, Ukrainer und Russen vor Schlimmerem bewahren. Andere wiederum behaupteten, man habe nur Kriegsgefangene eingesetzt. Bei den meisten aber hieß es: "Keine Akten mehr". Gelderblom bezeichnet diese Anrufe, die vor etwa drei Jahren stattfanden, als "bedruckende Sache" und bedauert, dass Hamelner Firmen kaum in die Fonds für Zwangsarbeiter eingezahlt hätten.

Was die Briefe betrifft, die sich bei Gelderblom im Laufe der Zeit in fünf Leitz-Ordnern sammelten, bezeichnet er als "einfach erschütternd". Vor allem die beschriebene "Intensität des Leidens" habe ihn betroffen gemacht, aber. auch der Versuch der Briefschreiber, "redlich mit der Vergangenheit und dein Erlebten umzugehen".

Und immer wieder die Frage: "Was machst du eigentlich mit den Briefen?" - die Gelderblom "sehr ausführlich zu beantworten versuchte", wie er sagt. Und erstaunt war über die Dankbarkeit der Adressaten, "dass endlich jemand Interesse an ihrem Schicksal zeigte".

Womit Gelderblom immer wieder konfrontiert war, was als besonders schwerer Schicksalsschlag empfunden wurde: Die Brutalität, mit der Menschen aus ihrer Umgebung herausgerissen wurden. Das machte es für Gelderblom auch so schwierig, für sein Buch eine Auswahl zu treffen.

Schließlich entschloss er sich, Kapitel und thematische Schwerpunkte zu bilden, damit das umfangreiche Material lesbar blieb. So erschienen zwar die meisten Briefe in Auswahl und gekürzt - nur einige wurden in Originallänge veröffentlicht um authentische Eindrücke zu vermitteln.

Denn die so persönlich geprägten brieflichen -Aussagen der Zeitzeugen entsprechen, wie Gelderblom immer wieder nachprüfen konnte, sehr genau der Wirklichkeit. Auch wenn manches vielleicht übersteigert dargestellt ist, sei er überzeugt, dass "die Briefe Realität widerspiegeln".

Was Gelderblom, der im nächsten Jahr eine umfassende Schau des gesamten Materials mit Hilfe des Historiker-Kollegen, Dr. Mario Keller-Holte, zeigen will - wobei die Einanzierung noch völlig ungesichert ist - beschäftigt, wie man diesen Menschen, deren Leben zerstört wurde, "etwas Gutes tun könne. Eine Einladung", so Gelderblom "würde sehr viel bedeuten" - denn: "eine Geste wäre etwas sehr wertvolles, ein positives Signal der Stadt, die das Thema so lange verdrängt hat und mit seiner Vergangenheit", wie Gelderblom anmerkt, "nicht immer sonderlich sensibel umgegangen ist".

Zur geplanten Ausstellung ist zusätzlich eine weitere Publikation geplant, die stärker wissenschaftlich orientiert sein soll, vor allem aber mehr Zahlen, Fakten - aber auch Firmen und Standorte benennen soll. Auch Sonderthemen wie die "fremdvölkischen Kindergärten" beleuchten will. Dazu ist auch eine Präsentation im Internet geplant.

Hameln, so Gelderblom, ist mit dem Thema "spät dran" - und ohne ihn wäre das Thema vermutlich in Vergessenheit geraten. Was er vermisst - und Hameln vorwirft: "kein Gefühl für Gesamtverantwortung zu besitzen".

 
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