Historische Orte in Hameln

 

Das Hamelner Münster

Hameln zwischen Reformation, Renaissance
und Dreißigjährigem Krieg –
Vom glücklichsten Jahrhundert der Stadtgeschichte

Vortrag am 19. September 2016 im Münster

 

Durchbruch der Reformation in Hameln

 

Erst das Jahr 1540 – zwei Jahre später – wird entscheidend für den Durchbruch der Reformation in Hameln.

In Calenberg-Göttingen regierte damals Herzog Erich I, der Ältere. Er konnte mit der Reformation wenig anfangen, ließ aber „seinen“ Städten Spielraum für eine unabhängige Religionspolitik.

Anders seine zweite Frau, die Herzogin Elisabeth. Sie sympathisierte seit langem mit reformatorischen Einsichten. Erich I ließ sie gewähren.

Herzogin Elisabeth war – vergleicht man sie mit anderen Herrschern der Zeit – für die Durchsetzung der Reformation ein Glücksfall. Sie besaß eine aufrichtige evangelische Überzeugung.

In vielen Fällen beruhte das Interesse der damals hoch verschuldeten Fürsten an der Reformation in der Aussicht auf das reiche Kirchen- und Klostergut und in der Hoffnung auf ein uneingeschränktes fürstliches Kirchenregiment, in dem der Fürst zugleich als oberster Bischof fungierte.

Viele Fürsten nutzten die Reformation, um ihre Staatsschulden zu drücken. Sie zogen die silbernen Messgefäße ein und säkularisierten die Klöster.

In Niedersachsen blieben von bis zu 300 vorreformatorischen Klöstern und Stiften nach der Reformation nur noch ca. 50 bestehen.

Parallel zur Durchsetzung der Reformation vollzog sich ein eine Stärkung der Macht der Fürsten. Bisher waren sie davon abhängig gewesen, dass ihnen die Stände Geld bewilligten. Gleichzeitig vollzog sich ein Ausbau, eine Professionalisierung der landesherrlichen Verwaltung. Die Fürsten beriefen Juristen, gründeten Hofgerichte, Konsistorien und Rentkammern und bildeten für die ortsnahe Verwaltung Ämter.

Elisabeths Berater war der Pastor Antonius Corvinus im hessischen Witzenhausen an der Werra.

1538 vollzog Herzogin Elisabeth öffentlich den Übertritt zum lutherischen Bekenntnis. Corvinus reichte ihr das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, Brot und Wein. Der Kelch für die Laien war das Zeichen des Übertritts zur wahren christlichen Kirche Christi.

Nach dem Tod ihres Mannes, Herzog Erichs II des Älteren von Braunschweig-Calenberg, übernahm Elisabeth 1540 für fünf Jahre – bis 1546 – für ihren unmündigen Sohn Erich II den Jüngeren die Vormundschaft. Jetzt hatte sie die Möglichkeit, der Reformation in Calenberg in Stadt und Land zum Durchbruch zu verhelfen.

Elisabeth und Corvinus hatten schwere Konflikte durchzustehen. Der altgläubige Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel beanspruchte die Vormundschaft und wollte den Katholizismus verteidigen.

Elisabeth ließ auch mit dem Hamelner Rat verhandeln: Er möge sich wie die drei anderen großen Calenberger Städte (Göttingen1530, Hannover 1533, Northeim 1539) dem Evangelium anschließen.

Der Rat stimmte zu und bat die Fürstin, einen frommen, gelehrten, tüchtigen Mann zu senden, der in Hameln evangelisch predigen soll. Antonius Corvinus schickte seinen Freund Rudolf Moller, Stadtsuperintendent von Hannover, der Hoch- und Niederdeutsch sprach. Als Rektor an der Stiftsschule verpflichtete der Rat Bernhard Lüder aus Minden.

Bedeutsam war, dass zu dieser Zeit Jobst von Walthausen, der juristische Berater von Corvinus, in Hameln weilte.

Der städtische Rat hatte den in Hameln geborene Juristen Jobst Walthausen 1539/40 in das Amt des städtischen Syndikus berufen.

In einem Brief hatte Martin Luther ihn der Herzogin Elisabeth für den Fall empfohlen, dass in Hameln das Evangelium noch nicht in Gebrauch sei. Luther betonte, dass Walthausen zwölf Jahre in Wittenberg studiert habe und ein „fein, gelehrt, geschickt, fromm mensch“ und tüchtig sei.

Walthausen hatte in Wittenberg Philologie, Philosophie und die Rechte studiert. Ende des 15. Jahrhunderts kam das am römischen Recht und der antiken Literatur geschulte moderne juristische Denken auf.

Walthausen blieb nur ein Jahr in Hameln. 1541 wurde er Hofrat an der Residenz in Münden bei Herzogin Elisabeth. Aber er blieb der Stadt, wie wir sehen werden, verbunden.

 

Dr. Rudolf Moller predigte am letzten Sonntag des Kirchenjahres, dem „Ewigkeitssonntag“, dem 25. November 1540, „mit Klarheit und Überzeugungskraft“ im dichtgefüllten Münster über Matthäus 25,1-13, das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen.

Moller wird in seiner Predigt die neue lutherische Lehre betont haben, dass die Memoria, das „gekaufte“ jährliche Totengedenken, angesichts des endzeitlichen Gerichts gar nichts nütze sei und zur Seligkeit des wahren Christen mitnichten tauge. Eine ewige Seligkeit der „Verdienste“ halber schloss die lutherische Lehre vom sola fide und sola gratia (allein aus Glauben, allein aus Gnade) aus.

Während die Gemeinde Moller folgte, verharrte das Stift im Widerstand. Bis zu seinem Tode bekleidete Moller die erste Predigerstelle am Münster.

Bereits 1541 verfügte der Rat, dass in „unsern kirchen, schulen undt gemeine die ware Augspurgische confessio ...verbleiben und behalten werden sulle.“ Das Luthertum wurde verbindlich. Katholische wie reformierte Religionsausübung wurden verboten.

Sowohl der späte Zeitpunkt wie der obrigkeitliche Einfluss dürften dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich die Einführung der Reformation in Hameln friedlich und geordnet vollzog. Es ist anders als z.B. in Braunschweig und Bremen, wo in einem revolutionären Akt Handwerker und gemeines Volk die Träger waren, gleichsam eine Reformation von oben.

In Celle, Northeim, Lüneburg berief der Rat auf Drängen des Volkes Disputationen ein, welche die Entscheidung bringen sollten.

 

1541 genehmigten auch die Landstände die Einführung der Reformation im Calenberger Land. 1542 erschien die von Corvinus ausgearbeitete neue Calenberger „Christliche Kirchen-Ordnung, Ceremonien und Gesenge für arme einfeltige Pfarrherrn“.

Sie enthielt auch das Gebet für die weltliche Obrigkeit. In den Abkündigungen des Gottesdienstes wurden landesherrliche Verordnungen verlesen; die Kanzel wurde zum Medium der Herrschaft der weltlichen Obrigkeit. Es gab also nicht die von Luther geforderte Trennung von Kirche und Staat.

In jedem evangelisch gewordenen Fürstentum entstanden damals eigene Kirchen, die der jeweiligen Obrigkeit unterstanden. Ein Land mit verschiedenen Bekenntnissen galt als unregierbar.

 
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