Historische Orte in Hameln

 

Das Hamelner Münster

Hameln zwischen Reformation, Renaissance
und Dreißigjährigem Krieg –
Vom glücklichsten Jahrhundert der Stadtgeschichte

Vortrag am 19. September 2016 im Münster

 

Bauliche Aktivitäten des Stifts

 

Der repräsentative Kapitelsaal war der Versammlungsort des Stiftskapitels. Besonders fein gezeichnet ist das Blattwerk in den Kapitellen.

 

Die spätmittelalterliche Frömmigkeit

Das Spätmittelalter ist durchdrungen von Frömmigkeit. Überall gibt es Wallfahrten und Prozessionen, religiöse Bruderschaften und fromme Frauen (z.B. die Beginen). Es ist die Epoche der großen Monstranzen – prächtig ausgeschmückter, tragbarer Reliquienbehälter, die bei Prozessionen dem Volk dargeboten werden.

Ein Schatzverzeichnis des Münsters aus der Zeit um 1430 zählt acht meist silberne Monstranzen „mit vielen Türmen darauf“. Sie enthalten Reliquien der 11.000 Jungfrauen, des Bonifatius, der seligen Katharina u.a.m.

Den Kirchenraum schmückten zwei Dutzend Schnitz- und Flügelaltäre. Nur von vier haben sich Reste erhalten, die im Hamelner Museum zu sehen sind. Die Altarstiftungen waren zumeist mit einer Finanzierung einer Priester- oder Vikarsstelle verbunden. Diese hatten zu bestimmten Zeiten Messen für das Seelenheil der Stifter zu lesen. Dafür waren im Jahre 1424 vier Vikare, vier Kapellare und zwei Vizevikare tätig. Weitere kamen hinzu.

Die Menschen wetteiferten darin, Gott mit den edelsten und raffiniertesten Formen zu preisen.

 

Reliquien und Heiligenbilder vergegenwärtigen Heilswahrheiten.

Die Sitzfigur des hl. St. Bonifatius aus dem späten 14. Jahrhundert erschafft die dingliche Gegenwart des Heiligen als Person an den Sitzungen des Kapitels.

Das Marienbild an der Ostwand des Nordquerhauses stellt die Mondsichelmadonna aus der Apokalypse dar, umgeben vom Chor der musizierenden Engel. Es gibt Legenden von ihrem Wunderwirken. Sie entfaltet eine eigene Heilsmächtigkeit und -wirklichkeit.

Das Bild vom leidenden Christus an der Westfläche des ersten Pfeilers zum Südseitenschiff erfüllt den Betrachter mit Mitleid gegenüber der menschlichen Natur Christi und regt zur imitatio (Nachahmung) an. Wir hören von Geißlern, die durch die Lande ziehen und sich selbst öffentlich peinigen.

Das Kreuz aus der Kreuzigungsgruppe um 1427 wurde 1428 vom Bischof von Minden geweiht. Es stand auf dem Hochaltar, also in dem Bereich der Kirche, der den Stiftsherren vorbehalten war. Von den Gläubigen im Kirchenschiff war es nur teilweise zu sehen, weil der Lettner ihnen die volle Sicht versperrte.
Die anbetende Betrachtung der Kreuzigungsgruppe verschaffte jedem Gläubigen einen vierzigtägigen Ablass von zeitlichen Sündenstrafen. Die Stiftsherren ermöglichten den Gläubigen den Zutritt zum Hohen Chor nicht ohne die Hand aufzuhalten; sie verkauften die Heilswirklichkeit gegen milde Gaben.

In den sich mehrende Stiftungen von Bildern jeglicher Art drückt sich die steigende Heilssehnsucht des Einzelnen aus.

 

Die Memoria, das Totengedenken

Die Memoria, das Totengedenken, war der Hauptgrund, das Münster zu gründen. Im Zentrum des Baus stand die Grabstätte des Gründerpaares, des Grafen Bernhard und seiner Frau Christina, die den Bau dem Kloster Fulda schenkten.

Das alljährlich zum Todestag der Gründer begangene Gedenken galt auch für alle nachfolgenden Stiftsherren, die sich im oder beim Münster bestatten ließen und dafür dem Stift große Kapitalien oder Ländereien zugetragen hatten. Zum Jahrestag wurde ihr Grabdenkmal geschmückt und für ihr Seelenheil gebetet.

Auf dem Grabmal des Kanonikers Hermann Colleman, gest. 1431, sind groß dargestellt das Kruzifix sowie Maria und Johannes unter dem Kreuz.
Zur Rechten Christi und vor Maria kniet der Kanoniker, erkennbar an dem Kapuzenumhang, der Almutie. Die Almutie ist aus Tierfellen zusammengesetzt, deren Schwänze als Quasten herabhängen.
Als kleine anbetende Stifterfigur hält der Stiftsherr ein ursprünglich metallenes Schriftband, auf dem der Anfang seines Gebetes um Sündenvergebung steht. Die Umschrift gibt seinen Todestag mit dem 21. März an. Dies war eine ständige Erinnerung, dass an diesem Tag das Totengedenken zu erfüllen war.

Nahezu jede Stiftung von Ausstattungsstücken ist im Memorialzusammenhang zu sehen, auch der sog. Schusteramtsleuchter aus der Zeit um 1490, eine Spende der Innung der Schuhmacher.

 
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