Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

"Gesichter" - Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939-1945

Ausstellung im Hamelner Münster
vom 9. September bis 13. November 2005

 

Kap. 2

Die Kriegsgefangenen

 

Kap. 2.1

Kriegsgefangene und ihre Lager

 

Aus nahezu allen Ländern, gegen die Deutschland Krieg führte, waren Kriegsgefangene in der Stadt und im Landkreis vertreten: aus Polen, Frankreich und Belgien, Serbien, der Sowjetunion und schließlich aus Italien.

In insgesamt 44 Landkreisgemeinden und in Bad Pyrmont gab es Kriegsgefangenenlager, allein in der Stadt Hameln waren es acht. Die Zahl der Gefangenen mag zeitweise bei 2000 Mann gelegen haben, davon über 650 in Hameln. Insgesamt haben noch weit mehr Gefangene die Lager durchlaufen.

Die Hamelner Kriegsgefangenen kamen aus dem großen Stammlager (Stalag) XI B in Fallingbostel. Sie wurden dort "Arbeitskommandos" zugeteilt, die in der Regel 20 Mann zählten, in großen Kommandos auch 50 oder mehr, und auf Städte und Dörfer verteilt.

Als Lagerstandorte dienten in den meisten Dörfern Gasthaussäle, in Hameln Baracken und andere Räumlichkeiten von Fabriken. Viele Lager waren so genannte Gemeinschaftslager, d.h. die Insassen kamen bei verschiedenen Betrieben zum Einsatz, auf dem Land in der Regel bei verschiedenen Bauern. Größere Firmen unterhielten eigene Lager.

Der Lagerführer von Groß Berkel, der Gefreite Höppner von der 4. Kompanie des Landesschützenbataillons Nr. 719, schilderte, wie zwei Wachleute die 20 polnischen Gefangenen unter Kontrolle hielten:

"Morgens würden die Gefangenen von den beiden Wachmännern vom Lager zu den einzelnen Arbeitsstätten hingebracht und während des ganzen Tages führen nun die beiden Wachmänner auf Fahrrädern in der Feldmark bezw. auf den Höfen herum und übten so die Kontrolle über die Gefangenen aus.

Nachdem die Gefangenen Feierabend und gegessen hätten, holten die Wachmänner jeden einzelnen Gefangenen von der Arbeitsstätte ab und brächten sie geschlossen zum Lager zurück."

 
Bild
 

Jedes Lager war durch Stacheldraht und Vergitterungen nach außen abgeschlossen und wurde von bewaffneten Wehrmachtsangehörigen bewacht; es hatte über einen separaten Zugang und eigene Wasch- und Abortgelegenheiten zu verfügen. Kontakte der Gefangenen zur Zivilbevölkerung waren verboten.

Die Kriegsgefangenen standen unter dem Schutz der Genfer Konvention. Soweit sie keine Offiziere waren, mussten sie arbeiten, hatten aber auch Anspruch auf eine angemessene Behandlung und Unterbringung. Machten sie sich strafbar, unterstanden sie allein der Militärjustiz.

Krasse Fälle von Misshandlungen, wie sie bei Zivilarbeitern vorkamen, finden wir bei Kriegsgefangenen nicht. Eine Ausnahme machten allerdings die sowjetrussischen Gefangenen, denen die Wehrmacht die Schutzrechte der Genfer Konvention verweigerte.

 
Bild
 

Kap. 2.2

Polnische Kriegsgefangene

 

Keine zwei Wochen nach dem deutschen Überfall auf Polen meldete der Landkreis Hameln-Pyrmont einen Bedarf von knapp 900 Kriegsgefangenen. 640 würden die Bauern in der Kartoffel- und Rübenernte einsetzen wollen. Diese Männer sollten an 13 "Unterbringungsorten" stationiert werden, von denen aus auch umliegende Dörfer Arbeitskräfte erhalten sollten.

Über 100 Gefangene würden für Drainagearbeiten in Grupenhagen und Dörfern bei Coppenbrügge benötigt. Für 110 Polen hätten Betriebe wie die Vereinigten Osterwald-Salzhemmendorfer Kalkwerke und das Holzwerk Bock in Oldendorf Verwendung.

Im Oktober und November 1939 trafen allerdings nur 330 Polen am Güterbahnhof Hameln ein. Per Lkw wurden sie in die Dörfer gebracht. Schließlich hatten 24 Gemeinden Lager mit polnischen Gefangenen.

Die polnischen Kriegsgefangenen wurden fast ausschließlich in der Landwirtschaft eingesetzt. Darin liegt auch begründet, warum fast keine polnischen Gefangenen in Hameln stationiert wurden.

Ab Frühjahr 1940, als die Wehrmacht in Frankreich und Belgien zahlreiche neue Gefangene gemacht hatte, erhielten die meisten Polen, ob sie wollten oder nicht, den Status von zivilen Arbeitern. In der Regel blieben sie bei dem Bauern, bei dem sie auch vorher gearbeitet hatten. Ende 1941 gab es im Landkreis nur noch knapp 100 polnische Kriegsgefangene.

 
Bild
 

Kap. 2.3

Französische Kriegsgefangene

 

Nach dem Sieg der Wehrmacht über Frankreich im Sommer 1940 wurden über 1000 französische Kriegsgefangene und einige Hundert Belgier in sieben Lagern in Hameln und in fast 30 Gemeinden des Landkreises stationiert.

Zeitweise über 400 Gefangene mussten in den großen Rüstungsfabriken in Hameln arbeiten, einige waren bei kleinen Firmen oder der Stadtverwaltung tätig. Im Landkreis wurden die Gefangenen zum größten Teil in Land- und Forstwirtschaft eingesetzt.

Der Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion band ab Sommer 1941 Millionen deutscher Soldaten und damit Arbeitskräfte, was einen wachsenden Bedarf an ausländischen Arbeitskräften in Deutschland zur Folge hatte. Um auch Zivilarbeiter aus Frankreich zu bekommen, wurden den Kriegsgefangenen Erleichterungen wie Ausgang bei guter Führung und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gewährt. Sie durften Vertrauensmänner aus ihrer Mitte bestimmen. Auf Lkw-Inspektionsfahrten konnten Offiziere der Regierung Petain, die mit Deutschland kollaborierte, Versorgungspakete aus der Heimat verteilen.

Im Frühjahr 1942 besuchte ein "Petain-Lkw" die Lager in Hameln und bis Aerzen sowie in Bad Pyrmont. Der knappe, durchaus auch kritische Bericht des verantwortlichen Offiziers vermittelt einen flüchtigen Eindruck von den Zuständen in 14 Lagern.

Angesichts der relativ humanen Behandlung sahen sich französische Gefangene zu recht selbstbewusstem Auftreten in der Lage; kleinere Widersetzlichkeiten oder Vergehen konnten sie sich ohne Angst vor strenger Bestrafung herausnehmen.

Durch relativ laxe Bewachung und häufige Außeneinsätze begünstigt, kam es zu mehreren Fluchtversuchen aus Hamelner Lagern.

 
Bild
 

Kap. 2.4

Sowjetische Kriegsgefangene

 

Die Millionen von Rotarmisten, die seit dem Sommer 1941 in deutsche Gefangenschaft gerieten, sollten ursprünglich nicht als Arbeitskräfte im "Reich" eingesetzt werden, sondern als "Untermenschen" dem Hunger-, Erfrierungs- und Erschöpfungstod preisgegeben werden. In dem für Hameln-Pyrmont zuständigen Stammlager XI B Fallingbostel mussten sowjetische Gefangene im Herbst und Winter 1941 im Freien kampieren und kamen dabei massenhaft um.

Als der schnelle Sieg ausblieb und immer mehr Deutsche eingezogen wurden, zeichnete sich ein Umdenken ab. Seit 1942 kam es in großem Stil zum Arbeitseinsatz von sowjetischen Gefangenen in Deutschland.

Eine angemessene Behandlung, wie sie gegenüber Franzosen und Belgiern praktiziert wurde, war allerdings nicht die Folge. Unter Missachtung internationaler Bestimmungen blieben Hunger und Entbehrungen sowie ein extrem harter Arbeitseinsatz ständige Begleiter der "Arbeitskommandos" vor Ort. Entgegen den Bestimmungen mussten auch die sowjetischen Offiziere arbeiten.

Kap. 2.4.1

Sowjetische Gefangene im Keller des Pyrmonter Konzerthauses

 

Die ersten sowjetischen Gefangenen trafen noch 1941 in Bad Pyrmont ein und wurden ausgerechnet im Keller des Konzerthauses, mitten im Herzen der Stadt, untergebracht. Ein Bretterzaun "schützte" die Öffentlichkeit vor dem Anblick der Gefangenen.

Die ukrainische Zwangsarbeiterin Dorothea T. schildert eine Begegnung mit den russischen Kriegsgefangenen, die im Konzerthaus untergebracht waren:

"Mit den russischen Kriegsgefangenen hatte ich keinen direkten Kontakt. Die Kriegsgefangenen waren im Keller des Konzerthauses untergebracht. Von vornherein wurden sie gegen die Einwohner der Stadt Pyrmont abgeschirmt. Ein Bretterzaun machte das Abgeschirmtsein perfekt. Nur rein zufällig war eine Begegnung möglich.

Als ich eines Tages im Schuppen an der Straße Kartoffeln zu sortieren hatte, kam die Kolonne dieser russischen Gefangenen unter Bewachung vorbei. So unauffällig wie es nur möglich war, gaben sie Zeichen, um ein paar Kartoffeln zu. bekommen. Manchen gelang es, einige Kartoffeln in die Tasche zu stecken, andere bekamen die Gewehrkolben der Bewacher zu spüren. Es schmerzte mich besonders, da es ja Menschen aus meiner Heimat waren."

 
Bild
 

Kap. 2.4.2

Fluchtversuche der sowjetischen Gefangenen

 

Um den miserablen und unmenschlichen Lebens- und Arbeitsverhältnissen in den großen Lagern der Kalkwerke Salzhemmendorf, der Maschinenfabrik Aerzen und der Rüstungsfabrik Kaminski in Hameln zu entgehen, wagten immer wieder Gefangene einzeln oder in Gruppen die Flucht – ein aus der Verzweifelung geborenes, schier aussichtsloses Unterfangen, das teils tödlich endete.

Major B., Hauptmann K. und Oberleutnant A. flüchteten in den frühen Morgenstunden des 23. August 1943 aus dem Lager Salzhemmendorf. Der Dorfgendarm Mewes berichtet umgehend dem Landrat in Hameln:

Die Gefangenen haben an der Westseite des Lagers den Stacheldraht mit einer Zange durchschnitten und sind so in den an dem Lager befindlichen Wald entkommen. Da es stark regnete, konnten Spuren der Fluchtrichtung nicht festgestellt werden. Die von dem Unterzeichneten in Gemeinschaft mit der Landwacht vorgenommene Verfolgung war ohne Erfolg. Die benachbarten Gendarmeriestationen wurden telefonisch in Kenntnis gesetzt.
Quelle: KA Hameln-Pyrmont

Bericht der Kripo Hameln über die Flucht von drei sowjetischen Gefangenen aus dem Lager Kaminski in Hameln. Im Fahndungsschreiben heißt es:

Bekleidet sind sie mit einer blauen Arbeitshose, grünen Uniformjacke und russischen Feldmütze. Schuhe haben sie nicht, vermutlich tragen sie Holzpantoffel.
Quelle: KA Hameln-Pyrmont

 
Bild