Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

"Gesichter" - Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939-1945

Ausstellung im Hamelner Münster
vom 9. September bis 13. November 2005

 

Kap. 15

"Ich habe eine Abfindung von 2000 DM bekommen.
Das ist für mich sehr erniedrigend." –
Die Entschädigung

 

Die große Mehrzahl der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verschwand nach 1945 hinter dem Eisernen Vorhang. Sie blieb von der deutschen "Wiedergutmachung" ausgeschlossen. Beim Londoner Schuldenabkommen vom Februar 1953 war es der deutschen Delegation gelungen, die Regelung aller noch ausstehenden Reparationsfragen – und damit auch eine etwaige Entschädigung ehemaliger ausländischer Zwangsarbeiter – auf einen künftigen Friedensvertrag zu vertagen.

Eine neue Situation ergab sich erst nach der Wende in Osteuropa mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag des Jahres 1990, da ihn die Beteiligten als Ersatz für einen Friedensvertrag interpretierten. Die Bundesrepublik Deutschland zahlte daraufhin eine erste Globalentschädigung von insgesamt 1,65 Mrd. DM zur Verteilung an ehemalige Zwangsarbeiter vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten. Die durchschnittlich ausgezahlte Summe pro Kopf lag beispielsweise in Polen bei 660 DM.

Aufgeschreckt durch Entschädigungsklagen in den USA fanden sich 1999 zwölf deutsche Großunternehmen in der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zusammen. Dieser Initiative traten 5.000 weitere Unternehmen als Mitglieder bei. Ende 1999 einigten sich Staat und Wirtschaft darauf, dass jede Seite 5 Mrd. DM in einen Fond einzahlen sollte.

Effektiv stehen für die Entschädigung 8,1 Mrd. DM zur Verfügung. KZ-Häftlinge sollen jeweils 15.000 DM erhalten. 5.000 DM erhält, wer im gewerblichen Bereich gearbeitet hat und dabei besonders schlechten Lebensbedingungen unterworfen war. Im Prinzip ausgeschlossen sind also Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft oder in Haushalten eingesetzt waren, aber auch Kinder, die in der Zwangsarbeit geboren wurden. Hier werden jedoch Sonderregelungen durch die Partnerorganisationen der Stiftungsinitiative in den verschiedenen Staaten praktiziert. Erfahrungsgemäß erhalten Zwangsarbeiter, die bei Bauern beschäftigt waren, ca. 2.500 DM.

 
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Die Beweispflicht für die Zeiten der Zwangsarbeit liegt bei den Antragstellern selbst. Sie müssen mit Hilfe von Dokumenten ihre Zeit in Deutschland belegen. Die deutschen Firmen helfen in den weitaus meisten Fällen nicht bei der Nachweissuche. Sie ziehen sich auf die Aussage zurück, dass keine Unterlagen aus der Kriegszeit erhalten seien.

Zahlreiche Briefe der Betroffenen gingen an die Städte und Gemeinden in Deutschland, die bei der Suche nach Belegen in Meldebüchern, Versicherungsunterlagen etc. außerordentlich hilfreich waren. Trotzdem belegen die Briefe, dass es zahlreichen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bis heute nicht gelungen ist, ihren Aufenthalt in Deutschland nachzuweisen. Andere erhalten eine niedrigere Entschädigung, weil sie z. B. nur ihren Aufenthalt in der Landwirtschaft, nicht aber in der Industrie belegen können.


Herr Stanislaw C., geb. am 5. November 1938 in einem Dorf bei Zamosc, Polen.

Es hat mich traurig gestimmt, als Sie geschrieben haben, dass ich eine Entschädigung bekam. Es ist einfach lächerlich, 1000 DM zu bekommen. Das ist einfach Geld für einen Bettler. Wahrscheinlich kennen Sie die Lebensverhältnisse in Polen nicht, wie schwer es für einen kranken Menschen zu leben ist. Ich muss jeden Monat für Medikamente 1000 DM ausgeben, nur für die Medizin. Und wie soll ich die anderen Ausgaben bezahlen?! Ich bekomme nur eine kleine Rente.

Es ist nicht meine Schuld, dass ich meine Gesundheit in meinen jungen Jahren verloren habe. Meine Kindheit kann ich bis heute nicht vergessen, da ich mir damals viele Krankheiten zugezogen habe.

 
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Frau Jewdokija B., geb. im Oktober 1923 im Dorf Sufojenka, Jagatischer Bezirk, Kiewer Gebiet, Ukraine.

Als wir nach Hameln kamen, führte man uns in die Fabrik Domag. Mit mir zusammen arbeitete meine Freundin Marija T. Sie hat gerade ein Dokument von der Stadt Hameln bekommen, dass sie in der Fabrik gearbeitet hat, ich aber nicht. Wir arbeiteten zusammen bei der Domag bis zum Jahr 1944. Von April 1944 bis April 1945 arbeitete ich bei dem Friedrich G. im Dorf Hemeringen.

Bitte helfen Sie mir, die Daten zu finden, dass ich in der Fabrik Domag in Hameln gearbeitet habe. Der Sicherheitsdienst der Ukraine kann meine Arbeit in der Fabrik nicht bestätigen. Es gibt Daten nur über meine Arbeit bei dem Herrn Friedrich G. von April 1944 bis April 1945.


Frau Jekaterina M., geb. am 22. März 1926 im Charkower Gebiet, Ukraine.

Jetzt bin ich Witwe. Ich bin Behinderte der 2. Kategorie. Ich wohne allein in einer Einzimmerwohnung. Ich habe keinen Gemüsegarten, die Rente ist klein. Ich habe einen Sohn. Er hat seine eigene Familie, seine eigenen Ausgaben.

Bis 1989 durften wir nicht sagen, dass wir in Deutschland waren. Erst 1989 begann unsere Regierung uns ein bisschen zu helfen.

Es ist schade, dass ich die Entschädigung noch nicht bekommen habe. Es könnte sein, dass mein Leben nicht ausreichen wird, das Geld zu erhalten. Ich habe doch alle Dokumente, dass ich in Deutschland war. Es fehlt mir nur die Bescheinigung aus Hameln von der Domag. Meine Arbeitskarte von der Domag hat mein verstorbener Mann vor 50 Jahren zerrissen. Er dachte, ich würde sie doch nie mehr brauchen.

Alle meine Erlebnisse in Hameln wieder beschreiben, kann ich nicht. Das muss man dann alles noch einmal erleben. Ich bin am 22. März 2001 75 Jahre alt geworden und habe dazu keine Kraft und keine Gesundheit. Mein Sohn bittet mich immer, ich solle nicht mehr über meine Erlebnisse in Hameln schreiben, weil mich das krank mache.

 
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Frau Maria Z., geb. am 25. Juni 1925 in Russland, heute wohnhaft in Lodz, Polen.

Ich habe eine Abfindung von 2.000 DM bekommen. Das ist für mich sehr erniedrigend. In der Landwirtschaft war die Arbeit nämlich auch sehr schwer.

 

Frau Janina B., geb. am 3. Mai 1939 im Dorf Baszkow, Kreis Sieradz, Polen.

Sie fragen nach der Entschädigung. Die Gruppe, zu der ich als Landarbeiterin gehöre, bekommt 2.000 DM. Davon habe ich 75 Prozent bekommen. Das ist nicht viel. Die Kinder sollten die höchste Entschädigung gleich nach den Lagergefangenen bekommen; das wären zwischen 5.000 und 15.000 DM.

 

Frau Dorothea T., geb. am 27. November 1923 in Charkow, Ukraine.

Wenn nun ein Entschädigungsfond eingerichtet wird, warum macht man einen Unterschied zwischen Arbeitern in der Landwirtschaft und Arbeitern in der Industrie? Die Zeit der Zwangsarbeit war in beiden Bereichen ein schwerwiegender Eingriff in das Leben der Betroffenen.


Frau Janina Z., geb. am 22. Juni 1942 auf einem Bauernhof in Coppenbrügge, heute in Burzenin, Polen.

Ich bin am 22. Juni 1942 in Coppenbrügge geboren. Ich empfinde es als eine große Ungerechtigkeit, dass die Menschen, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben, eine so kleine Entschädigung bekommen. Die Kinder, die in Deutschland geboren wurden, sind auch benachteiligt.

 

Bronislawa K. wurde am 8. Dezember 1943 im Ostarbeiterlager der Domag in Hameln geboren.

Die Kinder von Zwangsarbeitern sollten auch eine Entschädigung bekommen. Heutzutage denkt man an sie nicht mehr. Deswegen bitte ich Sie, in ihrer Arbeit auch an diese Kinder zu erinnern. Ich empfinde keinen Hass, zu gar keinem, weil der deutsche Herr zusammen mit meiner Oma mein Leben rettete. Einige haben mich verletzt, andere haben mich gerettet.

 
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