Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

"Gesichter" - Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939-1945

Ausstellung im Hamelner Münster
vom 9. September bis 13. November 2005

 

Kap. 11

"Weinen mochte man, aber man durfte es nicht zeigen." -
Die Deutschen und "ihre" Zwangsarbeiter

 

Für das Regime war der Umgang mit den ausländischen Arbeitskräften aus dem Osten eine Gratwanderung. Einerseits brauchte man sie in großer Zahl aus wirtschaftlichen Gründen; andererseits wollte man ihren Kontakt mit der deutschen Bevölkerung auf ein Minimum beschränken.

Bei ihrem Bemühen um Abgrenzung nutzten die Nationalsozialisten in der Bevölkerung bereits vorhandene Abneigungen und Vorurteile gegen Polen und Russen, die durch die jahrelange rassistische Hetze in fataler Weise verstärkt worden waren. Die NS-Rassedoktrin vom deutschen Herrenmenschen wurde der deutschen Bevölkerung keineswegs aufgedrängt. Die slawischen Ausländer galten vielen nicht als individuelle Menschen, sondern als Vertreter eines fremden, feindlichen Volkes. "Wir oder sie", war die Parole. Bei fanatisierten Deutschen brachen die rassischen Vorurteile zu Kriegsende in besonderer Weise auf.

Durch die Kennzeichnungspflicht waren die Arbeitskräfte aus dem Osten öffentlich als minderwertig gebrandmarkt. In Geschäften und auf der Straße wurden sie sofort erkannt. Das erschwerte auch aufgeschlossenen Deutschen den Umgang mit ihnen.

Während Kriegsgefangene von Zivilisten nicht einmal gemaßregelt werden durften, waren bei "zivilen" Polen und "Ostarbeitern" anfangs Prügel als Straf- oder "Erziehungsmaßnahme" erlaubt. Obwohl dies seit August 1942 offiziell verboten wurde, blieben Züchtigungen in der Praxis weit verbreitet und wurden durch die Polizei nicht geahndet.

Es gab Deutsche, welche die Diskriminierung der Polen, Russen und Ukrainer nicht guthießen. In ihrem persönlichen Erfahrungsbereich nahmen sie diese Ausländer nicht als minderwertige Wesen wahr, sondern als Mitmenschen. Dies war um so leichter möglich, je weiter entfernt das Auge des totalitären Staates war, also im privaten Umfeld, vor allem in Privathaushalten und auf Bauernhöfen.

 
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Auch am Arbeitsplatz in der Fabrik gab es verdeckte Hilfe der deutschen Arbeitskollegen, die den hungernden Frauen und Männern aus dem Osten immer wieder Essen zusteckten. Beide Seiten gingen angesichts der großen Gefahr, denunziert zu werden, ein hohes Risiko ein.


Herr Jozef B., geb. am 27. Juli 1926 in Polen.

Ich arbeitete bei einem Bauern in Groß Hilligsfeld und wohnte in einem kleinen Zimmerchen ohne jegliche Bequemlichkeit. Nahrung erhielt ich drei Mal täglich. Weinen mochte man, aber man durfte es nicht zeigen, denn der Herr schrie einen an oder er versetzte einem einen Fußtritt. Ich sehnte mich nach den Eltern.


Herr Stanislaw C., geb. am 5. November 1938 in einem Dorf bei Zamosc, Polen.

Ich kann mich an eine Situation sehr stark erinnern, und zwar, als ich eines Tages mit hohem Fieber im Bett lag und nicht aufs Feld konnte, um Rote Beete zu sammeln. Da kam ein Deutscher und hat mich so verprügelt, dass ich mich tagelang nicht bewegen konnte.


Frau Monika K., geb. am 9. Februar 1912 in Warschau, Polen.

Einmal kamen wir nach einem Luftangriff auf die Bahnanlagen zurück aus dem Wald. Da erschien plötzlich eine Gruppe von Hitlerjungen und hat uns mit Schneebällen und Steinen beworfen. Ich sprach einen von ihnen an, dass man so etwas nicht mache. Er lachte nur und antwortete:

"Schön vielleicht nicht, aber es macht Spaß!"

Ich schaute mir das Gesicht an, so ein hübsches Gesicht, und dachte, dass sogar die Kinder voll gestopft sind mit Hass. Wie lange wird man brauchen, das alles zu heilen und den Hass aus den Köpfen weg zu kriegen!?


Frau Halina M., geb. am 8. Mai 1931 in Warschau, Polen.

Ich habe im Alter von 13 Jahren in den Wollwarenfabriken Marienthal an der Webmaschine gearbeitet. Außer mir waren da ein Meister und noch ein Jugendlicher mit Namen Helmut. Er war "Hitlerjunge" und trug Uniform. Wenn ich von der Arbeit wegging, lauerte er mir auf, schlug mich und beschimpfte uns als "polnische Schweine". Einmal hätte nicht viel gefehlt und er hätte mich totgeschlagen.

 
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Frau Zofia O., geb. am 13. Januar 1927 in Brzeg, Kreis Turek, Polen.

Die Arbeitsbedingungen waren für mich als 14jähriges Mädchen schwer. Auf dem Hof wohnten wir mit meinen Eltern zusammen im Haus der Knechte. Die Wohnbedingungen und die Ernährung waren für die damalige Zeit erträglich. Die Bauersleute waren gut. Ab und zu gaben sie uns Milch zu trinken und bewirteten uns mit Kuchen. Auch die übrigen Deutschen waren in gewissem Maße verständnisvoll. Im Dritten Reich hatten nicht alle so erträgliche Lebensbedingungen wie wir.
Wenn nicht die Tatsache gewesen wäre, dass wir Freiheit, Würde, Ehre und Gesundheit verloren haben! Wenn der Buchstabe "P" nicht gewesen wäre, der uns als Menschen zweiter Klasse bezeichnete!
Sehr schlimm war die Hitlerjugend. Einer von ihnen trat ohne Grund an mich heran und trat mich mit dem Schuh in den Schenkel. Ich kam ins Krankenhaus und hatte zwei Operationen an diesem Bein. Seit dieser Operation habe ich Schmerzen und werde sie bis an mein Lebensende haben. Bei Witterungswechsel ist der Schmerz nicht auszuhalten.


Frau Monika K., geb. am 9. Februar 1912 in Warschau, Polen.

Frau K. musste bei den Wollwarenfabriken Marienthal in Afferde arbeiten. Eines Tages erkrankte ihr Sohn ernsthaft.

Noch an diesem Tage ging ich zu der deutschen Familie, die auf dem Fabrikgelände wohnte. Ich gab ihr 10 Mark und bat sie darum, irgendeine bessere Medizin für meinen Sohn zu kaufen. Diese deutsche Frau hatte Mitleid mit mir und half mir auch. Sie hat mir auch ein Ei in die Hand gedrückt. Das war das einzige Ei, das mein Sohn in der Zeit, als wir im Lager waren, gegessen hat. Aber langsam ging es ihm besser.

 
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Frau Halina C., geb. am 15. Dezember 1921 im Dorf Glowczynie bei Plock, Polen.

Alle Mahlzeiten habe ich mit den Wirtsleuten zusammen eingenommen in der warmen Küche. Nach dem Abendessen blieb ich noch und spielte mit dem Kind der Wirtsleute. Die Leute waren sehr gut zu mir. Ich hatte keine schlechten Erlebnisse.

 

Frau Marianna M., geb. am 8. September 1930 in Lodz, Polen.

Ich habe in Aerzen in der Landwirtschaft gearbeitet. In Aerzen gab es eine Kirche. Dort standen drei sehr große Birnbäume. Sie hatten kleine, aber sehr schmackhafte Birnen. Wenn es windig war, fiel so viel Obst herunter. Das war damals das einzige Obst, das ich gegessen habe.

Ich ging jeden Morgen die Birnen in einer Milchkanne sammeln. Manchmal sah mich der Pastor. Er drohte mit dem Finger, aber er war lieb zu mir und hatte stets ein Lächeln im Gesicht. Er hat mich manchmal in der Kirche gesehen, obwohl es polnischen Leuten verboten war, dahin zu gehen. Dann habe ich gehört, dass er verheiratet war. Er hatte Frau und Kinder. Das hat mir sehr gut gefallen. So eine Religion fand ich gut. Er war für mich ein gutes Vorbild.

Ich wohnte drei Häuser weiter von der Straße. Auf der Ecke war ein Kino. Es war uns Polen nicht erlaubt, dort hinzugehen. Zweimal habe ich gesehen, wie man Polen aus dem Kino herausführte. Unterdessen habe ich gebetet, dass mich keiner entdeckte, wenn ich ins Kino ging. Ich konnte nur am Sonntag gehen. Sonst habe ich von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends gearbeitet.

 

Frau Marianna S., geb. am 8. Juli 1925 in Strzalki, Kreis Sieradz, Polen.

Ich betone, dass einige Deutsche sehr gut waren, andere waren aber sehr hochfahrend. Wir waren nicht schuld am Kriege. Hitler hat den Krieg erklärt. Uns hat man damit vernichtet, dass man behauptete, wir seien an allem schuld. Als der Krieg mit Russland ausbrach, wurde es noch schlimmer für uns, denn viele Deutsche kamen in Russland ums Leben.

 
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