Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Politische Häftlinge im Zuchthaus Hameln

Karl Baller - Lebenslauf

 

 

  1902   In Hannover-Linden geboren

Von Beruf Tischlergeselle, u. a. bei der Hannoverschen Waggonfabrik, zuletzt als Fräser bei der Hanomag in Hannover-Linden beschäftigt

  1928   Mitglied der SPD
Seit 1932 zweiter Vorsitzender des Ortsvereins Hannover-Westerfeld

  1931/32   15.01.1932 bis 15.06.1932 Aufenthalt in der Sozialistischen Heimvolkshochschule Tinz (Gera) zur Weiterbildung

  1933   Vom 24.6. bis 13.7.1933 in "Schutzhaft" für 11 Tage

  1934   Mitglied der Widerstandsbewegung "Sozialistische Front"

  1936   Vom 24.3. bis 19.5.1936 erneut "Schutzhaft" wegen "Vorbereitung zum Hochverrat"
Am 7.8.1936 endgültige Festnahme

  1937   18. bis 28.10.1937 Prozess gegen insgesamt 57 Personen aus dem Umkreis der "Sozialistischen Front" wegen "Vorbereitung zum Hochverrat"

Verurteilung durch den 2. Strafsenat des OLG Hamm am 28.10.1937 u. a. wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zwei Jahren, vier Monaten und zwei Wochen Zuchthaus

Am 16.11.1937 Einlieferung in das Zuchthaus Hameln

  1938   Gnadengesuch vom 24.5.1938 wird abgelehnt

Entlassung am 25.10.1938 und Übergabe an die Polizei Hameln "zwecks Inschutzhaftnahme"

Seit 5.11.1938 als Häftling Nr. 1335 im KZ Sachsenhausen; ab 1941 die Häftlingsnummer 11137

  1944   Anfang November 1944 Zwangsrekrutierung zur "SS-Sturmbrigade Dirlewanger" und Einsatz in der Südslowakei

Exekution vermutlich durch Wehrmachtsangehörige, nachdem er sich mit einer Gruppe abgesetzt und auf dem Hof eines bulgarischen Bauern versteckt hatte; wahrscheinlich am 19.12.1944 in der Nähe von Sahy/Slowakei (ungarisch Ipolysag) erschossen

Todeserklärung durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 14.8.1954 (festgesetzter Todeszeitpunkt 26.12.1944 um 24 Uhr)

 

 
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Die Haftzeit in Hameln vom 16.11.1937 – 25.10.1938
Auszüge aus der Häftlingsakte
:

 

Karl Baller wird unter der Gefangenen-Nr. 271/37 registriert.


Im Aufnahmeformular wird zu seinem Gesundheitszustand vermerkt:

"Mäßiger Ernährungs- und Kräftezustand; Herz: Irregulär, gesund und arbeitsfähig, zur Außenarbeit geeignet, nicht moorfähig, für Bindfadenentknoten geeignet."


Im Lebenslaufformular vermerkt die Zuchthausverwaltung:

"Rasse: überwiegend nordisch, ... guter Sänger! Weigert sich aber, in der Kirche zu singen."


In den Tagesbeobachtungen verzeichnet der Oberwachtmeister:

10.12.1937 "... wird als Tischler für Behörden beschäftigt, arbeitet mit Interesse, ist willig und fleißig. Seine Führung war bisher gut, auch verspricht er ohne Hausstrafe die Anstalt zu verlassen."

Februar 1938 "Er ist ruhig und fleißig, ... seine Führung ist der Hausordnung entsprechend."

25.3.1938 "Arbeitet in der Tischlerei als Tischler. ... führt seine Arbeiten erstklassig und sauber aus."

16.5.1938 "Führung ist gleich bleibend ordnungsgemäß. Ruhiger und williger Mensch. Seine Straftat verkleinert er, zeigt jedoch Einsicht. Die verfallene Strafe hat ihn geläutert, so dass ein Rückfall nicht im Bereich des Möglichen liegt."


Am 24.5.1938 richtete Karl Baller ein Gnadengesuch an den Generalstaatsanwalt in Hamm:

Bis zu seiner Verhaftung habe er bei seinen Eltern gewohnt. Die seien alt und könnten sich nicht mehr helfen und Haus und Garten nicht mehr instand halten. Zudem habe seine Frau eine schwere Unterleibsoperation gehabt. Er selbst bedauere seine Tat zutiefst.

"Lediglich aus einer früheren Freundschaft heraus habe ich mich zu meiner Tat verleiten lassen. Ich erkläre hiermit nochmals, dass ich mich in Zukunft jeder staatsfeindlichen Handlungsweise enthalten werde."


Das Gnadengesuch wurde vom Abteilungswachtmeister ausdrücklich befürwortet.

"Ich bin der festen Überzeugung, dass eine staatsfeindliche Handlungsweise bei B. nicht mehr vorkommen wird."


Der im Zuchthaus tätige Oberlehrer Ostermeyer gab jedoch eine negative
Stellungnahme ab (3.6.1938):

"... hat sich dann durch eine zweimalige Schutzhaft, die letzte 1936, nicht von einer staatsfeindlichen Betätigung zurückschrecken lassen. Das zeugt von einer Verbissenheit dem Staat gegenüber, die sich nicht so leicht ausrotten lässt.
...

Seine Straftaten sucht er zu verharmlosen, er will lediglich verführt worden sein. ...
Wie weit er innerlich an sich gearbeitet hat und ob eine innere Umstellung nunmehr erfolgt ist, ließ sich bisher nicht erkennen."


Diese Formulierung wurde wörtlich vom Anstaltsleiter Dr. Engelhardt in seine Stellungnahme übernommen und führte möglicherweise zur Ablehnung des Gnadengesuches durch den Generalstaatsanwalt Hamm (17.6.1938):

"Nach Prüfung des Sachverhalts habe ich keine Veranlassung gefunden, einen Gnadenerweis für Sie zu befürworten."


Die negative Stellungnahme des Oberlehrers Ostermeyer wurde wörtlich ebenfalls in das Entlassungsgutachten übernommen und mit dem Formblatt "Anzeige über die Entlassung des politischen Gefangenen ..." der Stapoleitstelle Hannover übersandt.


Die Stapoleitstelle Hannover schrieb am 15.10.1938 an den Oberbürgermeister Hameln als Ortspolizeibehörde:

"Ich bitte Baller nach der Entlassung vorläufig festzunehmen und mit dem nächsten Sammeltransport dem Polizeigefängnis Hannover zuführen zu lassen."


Nach einem Arztvermerk erlitt Baller am 22.10.1938 einen Kreislaufkollaps und wurde mit "Hoffmann´s Tropfen" behandelt. Er dürfte an diesem Tage erfahren haben, dass er nicht entlassen, sondern in "Schutzhaft" genommen wird.


In seinem ersten Brief aus dem KZ Sachsenhausen vom 19.11.1938 schrieb er an seine Frau Elfriede:

"Kam doch die Nachricht über meine Inschutzhaftnahme wie der Blitz aus heiterem Himmel."


Am 25.10.1938 wurde Karl Baller um 10.45 Uhr aus der Strafhaft entlassen und der Polizei Hameln "zwecks Inschutzhaftnahme" übergeben.

Seit 1937 war es üblich, Personen, die mehr als einmal wegen eines politischen Deliktes verhaftet worden waren, in ein KZ einzuweisen. Karl Baller wurden die vorherigen beiden "Inschutzhaftnahmen" vom Sommer 1933 und Frühjahr 1936 zum Verhängnis.

 

Quellen

Häftlingsakte im Hauptstaatsarchiv Hannover

Uwe Schaper, Bielefeld

 
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