Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Politische Häftlinge im Zuchthaus Hameln

Die Rolle der sozialdemokratischen und kommunistischen Häftlinge

 

Der kommunistische Häftling Rudi Goguel schreibt über seine Beziehung zu sozialdemokratischen Häftlingen:

"Die Verhältnisse in Hameln zeigen einen grundsätzlichen Unterschied gegenüber allen anderen Strafanstalten: die Mehrzahl der politischen Gefangenen besteht aus Sozialdemokraten.

Ich bin eine Erklärung schuldig, warum ich diese Tatsache herausstelle. In unseren Reihen herrschte eine tiefe Erbitterung gegen die Sozialdemokraten, die wir für unser Unglück verantwortlich machten. Warum haben sie nicht mit uns gekämpft?

Hameln sagt etwas anderes: 120 Mitglieder der sozialdemokratischen Partei mit zwei bis zehn Jahren Zuchthaus, verurteilt vor wenigen Monaten wegen illegaler Organisationstätigkeit in Hannover und Umgebung, bevölkern von den annähernd 250 Mitgliedern das Haus. Wir Kommunisten sind dagegen eine kleine Minderheit.

Auch sie, die 'Stützen der Bourgeoisie', sind streng isoliert wie wir, legen nachts die Kleider heraus wie wir (denn sie sind ebenso fluchtverdächtig wie wir). Auch sie hatten Misshandlungen durch Gestapo und SS erfahren wie wir."

Goguel, S. 69f

Für die häufig in strenger Einzelhaft einsitzenden politischen Häftlinge war es lebensnotwendig, die Isolation zu durchbrechen. Sie traten mittels in Tüten versteckten Kassibern in Gedankenaustausch.

"... Und so debattierten wir Woche um Woche, Monat um Monat. Die Probleme des dialektischen Materialismus, der politischen Oekonomie, moderner Währungsfragen, die Probleme von Strategie und Taktik wurden bewältigt.

Der Stockhof in Hameln kann mit einer gewissen Berechtigung den Ruf für sich in Anspruch nehmen, die erste marxistische Fakultät des Dritten Reiches beherbergt zu haben.
...

Unsere Diskussionen nehmen hitzige Formen an.

Es kann nicht ausbleiben, dass wir von den sachlichen, objektiven Themen abweichen und uns ausgesprochen persönlichen, subjektiven Problemen zuwenden.

Und die entscheidende Frage ist und bleibt nach wie vor: Warum ist alles so gekommen, wie es gekommen ist? Welche Fehler haben wir gemacht, dass es uns nicht gelang, die Massen in Deutschland von der Richtigkeit unserer Thesen zu überzeugen?"

Goguel, S. 71 und 73

 
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Politische Häftlinge in wichtigen Funktionsstellen

Es gelingt den politischen Häftlingen, mit der Zeit immer mehr wichtige Funktionen in der Anstalt zu übernehmen.

"Wir Vorarbeiter bekommen weiße Binden mit einem Stempel darauf. Wer sie trägt, kann sich im ganzen Haus frei bewegen. Jeder Beamte muß ihn durch verschlossene Zwischentüren hindurchschleusen.

...

Die Tischlerei steht unter dem Kommando von Hannes Lau, einem Hannoveraner Sozialdemokraten. ...
In der Küche arbeitet Albert Schröder aus Duisburg.

...

Aber was das Wichtigste ist: Walter Spengemann, ein Führer der Hannoveraner Sozialistischen Jugend, übernimmt die Bücherei.

Für den politischen Gefangenen ist die Bücherei wichtiger als Essen und Trinken. Walter ... meistert seine Aufgabe geradezu genial. Bald haben wir einen Ueberblick über den Bestand. Interessante politische Werke machen die Runde. ... Bald wird er das Vertrauen des Oberlehrers gewonnen haben und Einblick in wichtige interne Vorgänge des Anstaltslebens nehmen."

Goguel, S. 93

 
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Der Kreisschulrat 1937 in seinem Bericht über die politischen Gefangenen

"Sie (erg.: die politischen Gefangenen) sind durchweg begabter und wissenshungriger als die Kriminellen und bestehen zu 90% aus deutschen verhetzten Arbeitern, die für die Volksgemeinschaft zurückgewonnen werden können und nach dem Willen des Führers auch gewonnen werden sollen.

Die übrigen 10% sind verbissene, fanatische Funktionäre, die allen Beeinflussungsversuchen gegenüber sich ablehnend verhalten.

Erfahrungsgemäß ist der Weg zur Volksgemeinschaft für den willigen, aufnahmebereiten politischen Gefangenen sehr lang und schwer. ...

Zu Beginn jeder Unterrichtsstufe dürfen die Gefangenen Fragen über alle Wissensgebiete stellen. Dabei konnte festgestellt werden, daß die innerlich noch nicht gewonnenen Schüler sehr großes Interesse für außenpolitische Ereignisse (Kämpfe in China, in Spanien, Gemeindewahlen in Frankreich) zeigen, die ihrer Meinung nach die Weltlage in ihrem Sinne beeinflussen könnten, gar keins oder doch nur sehr geringes dagegen für innerdeutsche Angelegenheiten (Winterhilfswerk)."

Klaus Mlynek, Gestapo Hannover meldet. Hildesheim 1986, S. 535f.

 
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