Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit
und in der Nachkriegszeit
Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit
Politische Häftlinge im Zuchthaus Hameln
Rudi Goguel, Lebenslauf
Rudi Goguel, Fotos aus der Ermittlungsakte (Quelle: HStA Hannover)
"Der Hauptinhalt meines Lebens war die Wandlung eines jungen Menschen bürgerlicher Herkunft zum bewussten Revolutionär und Klassenkämpfer."
Rudi Goguel 1975 im Exposé seiner (nicht vollendeten) Memoiren
1908 | Geboren in Straßburg (Elsaß) als Sohn einer bürgerlichen Familie |
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1926 | Nach dem Abitur Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten Arbeit in der Werbeabteilung einer Düsseldorfer Maschinenfabrik |
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1930 | Mitglied der KPD und der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) |
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1932 | Wegen des politischen Engagements als KPD-Funktionär Entlassung und Arbeitslosigkeit |
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1933 | Erste Verhaftung; Aufenthalt im KZ Börgermoor im Emsland; Komposition des "Moorsoldatenliedes" |
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1934 | Nach der Entlassung illegale Tätigkeit für die KPD. Erste größere Konflikte mit der Partei. Am 27.9.1934 zweite Verhaftung, Folter und Suizidversuch; Verurteilung zu zehn Jahren Zuchthaus "wegen Vorbereitung zum Hochverrat" |
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1934-1944 | Insasse in den Zuchthäusern Remscheid-Lüttringhausen, Wolfenbüttel, Celle und Hameln |
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1937 | 13.7.1937 Einlieferung ins Zuchthaus Hameln |
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1944 | Negatives Entlassungsgutachten des Oberlehrers Ostermeyer (Ende Juli/Anfang August): "... Ob die abschreckende Wirkung der zehnjährigen Zuchthausstrafe groß genug ist, ihn dauernd vor einem Rückfall zu bewahren, lässt sich nicht erkennen." Goguel kommt über das KZ Sachsenhausen in das KZ Neuengamme. |
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1945 | Anfang Mai Räumung des KZ Neuengamme vor den britischen Soldaten. Die KZ-Häftlinge werden auf Schiffe in der Lübecker Bucht gebracht. Die Bombardierung der Häftlingsflotte durch britische Flugzeuge am 3.5.1945 überlebt Rudi Goguel auf dem Häftlingsschiff "Cap Arkona". |
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1946 | Arbeit als Redakteur und Politiker für die KP Südbaden Autobiographie "Es war ein langer Weg" |
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1949 | Kandidatur bei der Bundestagswahl für die KPD Nach einer massiven parteiinternen Auseinandersetzung enthält sich Goguel fortan jedes Engagements in seiner Partei. |
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1952 | Übersiedlung nach Ostberlin und Tätigkeit beim "Deutschen Institut für Zeitgeschichte" (DIZ) in Ostberlin |
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1959-1968 | Abteilungsleiter an der Humboldt-Universität Berlin für die "Geschichte der imperialistischen Ostforschung" |
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1964 | Mitbegründer der Lagergemeinschaft Neuengamme im Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR |
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1972 | Buch "Cap Arkona" |
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1973 | Mitautor von "Juden unterm Hakenkreuz" |
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1976 | Verstorben am 6.10.1976. Beisetzung auf dem Ehrenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde |
"Ich glaube, dass ein wesentlicher Charakterzug von Rudi nicht unerwähnt bleiben darf. Er, dessen Freundlichkeit und Nachsicht wir alle liebten, war gleichzeitig unduldsam gegen jede Form des Bürokratismus, gegen Trägheit des Herzens, gegen alle Verletzungen unserer geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze zur Achtung des Menschen."
Der Journalist Gerhard Leo in seiner Grabrede
Rudi Goguel, Über die Haftzeit in Hameln
"Wir kommen als Kriegsgefangene, die eine Schlacht geschlagen haben, und die nun einmal im Kampf unterlegen sind.
Was, Strafvollzug? Sind wir Ganoven? Wollt ihr Faschisten uns erziehen?
Ordnung und Disziplin – schön und gut – was sein muss, das muss sein. Aber demütigen lassen wir uns nicht!"
Goguel, Es war ein langer Weg, S. 47
Rudi Goguel ist einer der bedeutendsten Häftlinge, die in Hameln eingesessen haben. Unter der politischen Häftlingen nahm er bald eine führende Rolle ein. Konspirativ, mitunter unter Duldung von Seiten der Wachtmeister, wurden politische Schulungs- und Debattierzirkel abgehalten. Für bedürftige politische Gefangene wurden Lebensmittel besorgt.
Goguel bekannte sich mehrfach gegenüber dem Personal als überzeugter Kommunist. Daher wurde er zeitweise in Einzelhaft gehalten und durfte nicht arbeiten.
Auch unter dem Zuchthauspersonal genoss Goguel Ansehen. Als ihn Ende September 1941 der Erste Hauptwachtmeister Hentrich zusammenschlug, erreichte Goguel, dass der prügelnde Hauptwachtmeister aus Hameln versetzt wurde und dass die Misshandlungen aufhörten. Das Zuchthaus war dank des Anstaltsleiters Karl Stöhr kein rechtsfreier Raum. Stöhr glaubte der Aussage Goguels.
Rudi Goguel - Komponist des "Moorsoldatenliedes
Das Moorsoldatenlied ist eines der bekanntesten Lieder aus dem Widerstand. Es entstand im KZ Börgermoor, einem der berüchtigten Emslandlager. Rudi Goguel ist der Komponist des Liedes.
"Meine Kameraden erreichten, dass ich für drei Tage mit einer simulierten Verletzung in das Revier eingeliefert wurde, und dort habe ich nächtlich auf eingeschmuggeltem Papier dann einen vierstimmigen Satz geschrieben, der späterhin, als ich wieder herauskam, illegal im Waschraum einer Baracke einstudiert wurde. Und zwar suchte ich mir 16 Sänger eines Solinger Männergesangvereines, der geschlossen bei uns inhaftiert war, mit denen ich das Lied einstudiert habe. Auf der Veranstaltung war das Lied die letzte Nummer, und schon bei der ersten Strophe merkten wir, welche Wirkung es ausstrahlte."
Rudi Goguel – Das Hafttagebuch
Im Nachlass Rudi Goguel hat sich ein äußerst wertvolles Hafttagebuch erhalten. Goguel hat es unter dem Titel "Mein Tagebuch 1934 bis 1941" in den Jahren 1934 bis 1939 geführt. Es umfasst also die Jahre von der Verhaftung im September 1934, den Prozess sowie die Zeit in den Zuchthäusern Lüttringhausen, Wolfenbüttel, Celle und Hameln. Im Jahre 1939 bricht die Darstellung aus ungeklärten Gründen ab.
Das Dokument, das im Original erhalten ist, ist auf festen Kartons (teils bräunlich, teils grünlich) mit Tusche bzw. schwarzer Tinte ausgeführt. Es ist unklar, unter welchen Umständen die Arbeit angefertigt wurde und wie sie aus dem Zuchthaus Hameln herauskommen konnte.
Die Darstellung ist in allen Blättern in gleicher Weise aufgebaut. Ein Zeitstrahl in Schlangenlinien zählt die Monate und Jahre. Darauf sind mit Datum persönliche Daten aus dem Umkreis Goguels ("Vaters Tod"), aber auch politische Ereignisse ("Wahl in CSR", "Wahl in Spanien", "Abessinien zu Ende") abgetragen. In den Feldern ober- und unterhalb des Zeitstrahls finden sich ausdrucksstarke Zeichnungen der jeweiligen Haftumstände Goguels.
Juni/Juli 1937
Oben: "Das alltägliche Bild in Celle"
Mitte: "Abtransport aus Celle"
Unten: "Marsch zum Bahnhof" (Quelle: Privat)
Juli bis Dezember 1937
Oben: "800 Tage zu zwölf Stunden. Tütenkleben in Einzelhaft"
Unten: "Zeremonie des 'Einschluß' auf der Station der
Fluchtverdächtigen" (Quelle: Privat)
September bis Dezember 1938
Oben: "Theorie – und Praxis; '... Man hat dich nicht aus Rache oder
Willkür bestraft ...'; '... kommt dann die Zeit, wo du für die
Freiheitsentziehung von Herzen dankbar (sein) wirst ..."
Mitte: "Zermürbt durch die Einzelhaft macht Gustav einen
Selbstmordversuch."
Unten: "'Fluchtverdächtige' bei der Freistunde" (Quelle: Privat)
Quellen
Rudi Goguel, Es war ein langer Weg, Singen 1946
Ders., "Cap Arcona". Report über den Untergang der Häftlingsflotte in der Lübecker Bucht am 3. Mai 1945, Frankfurt 2. Auflage 1982
Privatarchiv Susanne Nicklich/Thomas Goguel
Häftlingsakte im Hauptstaatsarchiv Hannover
Achim Arndt, Goguel, Rudi (1908-1976), in Siegfried Mielke (Hg.), Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, Bd. 1, Berlin 2002, S. 68-77
Joachim Arndt, Rudi Goguel – eine politische Biographie. Diplomarbeit an der FU Berlin 1998