Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Die letzten Monate des Zuchthauses

Hunger, Krankheiten, Todesfälle

 

Die Situation im Herbst 1944 schildert Rudi Goguel.

Seit dieser Zeit verschlechterte sich die Ernährungslage im Zuchthaus Epidemien grassierten erste Todesfälle traten auf.

"Inzwischen gibt unsere eigene Lage genug zu denken. Die Ernährung hat sich zusehends verschlechtert. Epidemien grassieren im Bau die Todesfälle im Lazarett mehren sich."

"Ein neuer Erlass verbietet das Fressen von Kartoffelschalen. Das Stehlen roter Steckrüben wird mit Strafe belegt. Gleichzeitig wird ein jeder, der sein Pensum nicht leistet, auf verkürzte Ration gesetzt."
Goguel S. 124 und 129

 
Mit dem Herbst 1944 wurde die Situation dramatisch. Frontnahe Zuchthäuser im Westen z.B. Werl in Westfalen und später auch im Osten wurden evakuiert. Hameln wurde "eine Art Umschlaghafen" (Goguel S. 127).

Anfang 1945 war das Zuchthaus mit 1350 Insassen total überbelegt; pro Einzelzelle lagen 3 - 4 Häftlinge. Auch der Keller und die Flure wurden nun mit Häftlingen belegt.

Dabei kamen ständig Musterungskommissionen der Wehrmacht. Selbst Gewohnheitsverbrecher wurden jetzt gemustert und in Wehrmacht- oder Volkssturmeinheiten gesteckt.

"Das Chaos bricht über uns herein. Mit dem Vorrücken der Alliierten in Ost und West schmilzt der deutsche Lebensraum" von Woche zu Woche zusammen. Gefängnisse und Lager werden evakuiert und ins Landesinnere verbracht.

Hameln ist eine Art Umschlaghafen. Transporte aus dem Rheinland rollen an. Sie bringen eine Flut von Flöhen und Läusen mit, die sich mit Windeseile über das ganze Haus ergießen. Platz ist nicht mehr da. Es fehlt an Kleidung, an Lebensmitteln, es fehlt an allem. Von Ordnung und Menschlichkeit ist nun keine Rede mehr. Die Dinge wachsen uns über den Kopf: Die letzten Monate in Hameln werden schrecklich sein."
Goguel S. 147

 
Für die letzten Monate vor der Befreiung steht uns Rudi Goguel als Chronist der Ereignisse in Hameln nicht mehr zur Verfügung. Er wurde in das KZ Sachsenhausen verschleppt.

Von Hans Bielefeld, der seit 1944 in Hameln einsaß und die Befreiung des Zuchthauses durch die Amerikaner erlebte, liegt ein weiterer Bericht vor, der die Ereignisse bis zur Befreiung des Zuchthauses durch die Amerikaner schildert:

"Das Jahr 1944 brachte im Sommer Sammeltransporte aus Ostpreußen und Schlesien aus Aachen aus Prag und später aus Brandenburg. Die Zuchthäuser unter Feindeinwirkung wurden geräumt. Das waren für uns die Marksteine des Näherrückens der Front.

Mit den Transporten kamen Wanzen Läuse und Typhus. Die Anstalt war zum Bersten voll. Geregelte Arbeit gab es nicht mehr. Wöchentlich kamen jetzt die Musterungskommissionen der Wehrmacht zu uns in den Bau. Selbst notorische Ausbrecher und Gewohnheitsverbrecher wurden angemustert. Das Geschwür war reif. Und in das Grauen dieser Monate fiel wie ein Hoffnungsschimmer die schwache Aussicht auf eine baldige Befreiung.

Inzwischen aber hielt Freund Hein noch reiche Ernte. Die Männer, die an dem langen Arbeitstisch neben mir und mir gegenüber sitzen, wechseln im Laufe einer Woche oft mehrmals. Abgänge Zugänge - Zugänge Abgänge. Der Nachschub rollt. Das Rapportbuch aber auf dem Tisch des Beamten, wo die kleine schwachkerzige Birne brennt und jeden Morgen die Bestandsmeldungen eingetragen werden, das spricht eine deutliche Sprache für uns, die wir eingeweiht sind:
'7.9. Zwei Abgänge ins Lazarett.'
'8.9. Ein Abgang ins Lazarett.'
'9.9. Drei Abgänge ins Lazarett.'"
Bielefeld S. 58f

"Die meisten von uns sind zu apathisch, um noch denken zu können. Sie lassen sich treiben. Sie haben kein Rückgrat mehr. Die Krätze greift um sich und die Wassersucht. Die Körper von vielen sind mit eitrigen Geschwüren und Hautausschlägen übersät. Einige können ihren Kot nicht mehr bei sich behalten. Arzneimittel fehlen. Das Lazarett reicht nicht mehr aus. Zwei Schlafsäle und ein Arbeitsraum werden als Lazarett mitbenutzt. Salzlose Kost soll helfen; aber der Typhusbazillus ist schneller als die alliierten Truppen."
Bielefeld S. 62

"Frische Luft ist die einzige Medizin, die unser Lazarett noch zu vergeben hat. Und wir sind hier nicht so unter Aufsicht. Der eisige Februarwind pfeift durch unsere Lumpen; nur beim Schweinestall ist es erträglich warm. Da wird über Mittag Futter gekocht und da wärmen wir uns auf. Auf den Baracken und in den Zellen und Sälen wird längst nicht mehr geheizt; das bisschen Feuerungsmaterial muss für die Küche bleiben.

Transporte kommen und gehen. Seit Mitte März 1945 steht der Bau unter Wehrmachtsbewachung. Täglich finden Aushebungen für den Volkssturm statt.

Zuchthaus Brandenburg wird geräumt. Koswig in Sachsen und Werl in Westfalen. Unser Bau ist zum Platzen voll. Arbeitskommandos gehen nicht mehr raus. Alle Ein-Mann-Zellen sind mit drei und vier Mann belegt. Ich werde mit vier jungen Franzosen in eine Arrestzelle gesperrt. Seit Wochen haben wir keine Wäsche mehr erhalten; die Läuse und Wanzen fressen uns auf. Schon 14 Tage gibt es auch keinen Spaziergang mehr. Denn jeden Nachmittag, wenn wir raus sollen, ist Vollalarm. Wir sind stumpf geworden gegen den Gestank von Schmutz und Unrat in unserer Zelle. Eine bleierne Lethargie lastet über uns allen."
Bielefeld S. 69

 

Bernhard Huys: Die Situation im Krankenbau des Zuchthauses

Bernhard Huys hat im Krankenbau des Zuchthauses zunächst als Patient und später als Pfleger mehrere Monate verbracht.

Die unsäglichen Zustände, die dort herrschten, hat er in einem aus der Erinnerung geschriebenen Text und in einigen Skizzen geschildert.

 

Bernhard Gelderblom / Mario Keller-Holte:

„Die letzten Monate in Hameln werden schrecklich sein“
Die Eskalation der Gewalt im Hamelner Zuchthaus zum Ende des Zweiten Weltkrieges

 
Bernhard Gelderblom:

Mordbefehl und Todesmarsch.
Das Hamelner Zuchthaus in den Jahren 1944 und 1945

 
Bild