Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Die letzten Monate des Zuchthauses

Der "Todesmarsch" der Häftlinge
aus dem Lager Holzen nach Dreibergen in Mecklenburg

 

Das Zuchthauslager Holzen wurde kurz vor Kriegsende am 3.4.1945 evakuiert. 426 Gefangene wurden vom Lager Holzen aus auf Marsch gesetzt. Das Ziel war irgendein Zuchthaus, das noch nicht in die Hände der alliierten Truppen gefallen war.

Dass der Marsch nach endlosen elf Tagen im Zuchthaus Dreibergen also im nördlichen Deutschland enden und viele Häftlinge das Leben kosten sollte, stellte sich erst am Ende einer entsetzlichen Irrfahrt heraus. Das Zuchthaus Dreibergen liegt bei Bützow, die Kleinstadt Bützow befindet sich auf halbem Wege zwischen Rostock und Schwerin.

Der im folgenden wiedergegebene Weg des Transportes und die übrigen Daten wurden aus den Angaben von vier Häftlingen, sowie Unterlagen aus dem Archiv in Bützow (Mecklenburg) zusammengestellt. Die Angaben der Häftlinge sind nicht immer widerspruchsfrei, ergeben aber doch ein zusammenhängendes klares Bild.

 
Es handelt sich um die Häftlinge

Gustave Vandepitte Belgien
Antoon Molkenboer Niederlande
Henk Hemmer Niederlande
Richard Schaack Luxemburg.

 
3. April 1945

Zuchthauspersonal begleitet die Lagerinsassen zu nicht weit entfernt liegenden Eisenbahngeleisen.
Die Bahnfahrt geht nach Halle an der Saale. Das dortige Zuchthaus ist jedoch überfüllt.

 
4.-5. April

Für 2 Tage bleibt der Zug vermutlich in Halle stehen.

 
6.-8. April

Im nahen Coswig – auch das dortige Zuchthaus ist überfüllt – wird der Zug entladen. Der Transport bleibt für 3 Tage in einer Art Kirche.

 
9. April

In Kolonne marschieren Hunderte von abgemagerten Gefangenen nach Wittenberg an der Elbe; hinter oder in Wittenberg wird die Elbe überquert. Die Nacht verbringt der Transport auf einem hinter Wittenberg gelegenen Bauernhof.

Gustave Vandepitte ist nach seinen Aussagen hier aus dem Transport ausgebrochen. Er sei zu einem Bauern gegangen, der ihm zu Essen gegeben, dann aber die Polizei gerufen habe. Von der Polizei sei er geschlagen und dann wieder zum Transport zurückgebracht worden.

 
10. April

Auf der westlichen Elbeseite über Pretzsch und Dommitzsch wird der Marsch fortgesetzt (über gut 50 km).
Am Nachmittag wird der Transport in einem Bahnhof in offene Viehwaggons verladen. Die Fahrt geht bis zum Bahnhof Bad Liebenwerda. Dort werden die Männer im Speicher des Polizeipräsidiums untergebracht.

 
11. April

Insgesamt 2 Tage bleibt der Transport im Speicher des Polizeipräsidiums.

In Bad Liebenwerda musste Antoon Molkenboer seinen Freund Henk Hemmer zurücklassen, weil "Hemmer anfing Gras zu essen, und man meinte, er sei fast tot".
Antoon Molkenboer in einem Brief

 
12. April

Der Transport wird erneut auf die Bahn verladen und passiert Neuhof (bei Kloster Zinna südlich von Luckenwalde). Der Zug berührt die Umgebung von Berliner und passiert Potsdam in nördlicher Richtung.

"Von dem Transport, auf dem ich war, sind die meisten leider tot. Wie Ratten sind sie in den Waggons gestorben wegen Hunger und Erschöpfung. Ich war am Ende mehr tot als lebendig und Du wirst verstehen, dass mich die Orte entlang der Bahnstrecke total nicht mehr interessierten.

Ich bin aus dem Waggon gesprungen; das war in Neuhof etwa 60-70 km vor Berlin. Darauf war ich einen ganzen Tag lang ein freier Mann, wurde aber wieder in Sperenberg bei Berlin festgenommen. Aus Sperenberg hat man mich nach Berlin transportiert, wo ich am 28. April durch die Russen befreit wurde. Das war der schönste Tag in meinem Leben."
Antoon Molkenboer in einem Brief

 
Nach Aussagen von Gustav Vandepitte beschossen US-Jagdflugzeuge den Zug. Während die Wachmannschaft in die Wälder floh, mussten die Häftlinge in den offenen Waggons bleiben.

 
13. April

Die Fahrt geht weiter in Richtung Norden.

Am frühen Abend erreicht der Zug den Bahnhof Bützow und wird dort entladen. In Bützow wurden dem Zug 11 Tote entnommen davon 8 unbekannte Männer.

Im Kolonnenmarsch geht es vom Bahnhof bis zum Zuchthaus Dreibergen. Dort herrscht völliges Chaos wegen Überfüllung. Das Zuchthaus ist mit 4000 statt 1000 Häftlingen total überbelegt.

Der Transport aus Holzen wird im Dachspeicher auf Stroh ohne Versorgung und fast ohne Verpflegung untergebracht. In dem "Inferno von Dreibergen-Bützow" sterben weitere Häftlinge aus dem Transport.

 

1. Mai 1945

An diesem Tag hissen Häftlinge die weiße Fahne am Turm des Zuchthauses.

 
2. Mai

SS eilt herbei so dass die weiße Fahne wieder eingezogen wird.

 
3. Mai

Um 9 Uhr wird das Zuchthaus durch russische Truppen befreit.

 
18. Mai

Die niederländischen, belgischen, luxemburgischen und französischen Häftlinge, unter ihnen Gustave Vandepitte und Richard Schaack, können die Heimreise antreten und werden in Wismar an die Britische Armee übergeben. Dreizehn weitere Häftlinge des Transportes sind inzwischen in Dreibergen verstorben.

Der Transport war insgesamt elf Tage (nach anderen Angaben sogar 14 Tage) unterwegs. 426 Gefangene waren nach Angaben von Richard Schaack vom Lager Holzen aus auf Marsch gesetzt worden. 228 Gefangene des Transportes wurden ebenfalls nach Angaben von Richard Schaack am 3. Mai im Zuchthaus Dreibergen durch die Russen befreit.

Bei der Ermittlung der Zahl der Opfer, die dieser Transport gefordert hat, müssen wir berücksichtigen, dass einem Teil der Gefangenen während der Fahrt die Flucht gelang, ein anderer Teil irgendwo krank oder tot zurückblieb. In jedem Fall ist die Zahl der Toten außerordentlich hoch und dürfte über 100 liegen.

 

Quellen

Archiv des Niederländischen Roten Kreuzes, Den Haag

Gerrit van der Vorst, Zeist, Niederlande

Richard Schaack, Luxemburg

Gustave Vandepitte, Oostnieuwkerke, Belgien

 
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