Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont
Der Besuch der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen
Merem Osmanowa, Marija Sapliwaja und Marija Titowa
aus der Ukraine in Hameln
vom 27. Oktober bis 2. November 2006
Die Gäste
Merem Osmanowa
Marija Saplijawa
Marija Titowa
Marija Titowa
Frau Marija Titowa kam aus der am Asowschen Meer liegenden Stadt Mariupol (Gebiet Donezk) und brachte ihre Tochter Valentyna Kotowa mit. Das Foto zeigt Maria Titowa (2. von rechts) als ukrainische Hausgehilfin bei der Gärtnerei Albert Friedrichs in der Ohsener Straße. Das rechte Foto zeigt sie mit Tochter und Hund in ihrer Wohnung in Mariupol.

Marija Titowa (Foto links privat)
Brief von Maria Titowa an Bernhard Gelderblom (vom Dezember 2000)
Maria Titowa
Bulwar B. Chmelnitzki 10/9, Wohnung 51, 87525 Mariupol
Donezker Gebiet, Ukraine
Sehr geehrter Herr Gelderblom,
Ihren Brief von 10.9.2000 habe ich am 20. November erhalten und war angenehm überrascht, dass Sie eine solche komplizierte, sehr nötige und interessante Arbeit übernommen haben. Es ist wunderbar, dass Sie versuchen, jene schwere Zeit wieder lebendig zu machen. Ich hoffe, dass Ihr Werk eine Lehre sein wird für künftige Generationen, die etwas Ähnliches nicht erleben sollen. Die Vergangenheit soll niemand vergessen. Sie haben Recht: die Zwangsarbeiten haben viel Leid mit sich gebracht. Damals waren wir sehr jung, haben das erste Mal unsere Heimat verlassen, waren in weiter Ferne, unter Bewachung, ohne Sprachkenntnisse; fremde Leute, fremde Sitten - das bedrückte sehr. Das schlimmste aber war Heimweh. Ich werde versuchen ausführlich auf Ihre Fragen Antwort zu geben.
Ich bin im Januar 1924 im Orlover Gebiet geboren; seit dem 3. Lebensjahr lebe ich in Mariupol. Als ich nach Deutschland gekommen war, hatte ich weder Bildung noch Beruf. Vor dem Krieg habe ich die 7. Klassen beendet, dann bezog ich eine Fachschule für Maschinenbau. Der Krieg unterbrach mein Studium. 1941 war unsere Stadt von den deutschen Truppen besetzt. Um zu leben, haben wir verschiedene Sachen gegen Lebensmittel getauscht.
Im Frühling (1942) sollten wir mit unserem Hab und Gut zum Bahnhof kommen, um zur Zwangsarbeit transportiert zu werden. Wer dem Befehl nicht folgte, sollte nach deutschen Gesetzen bestraft werden. Da ich um andere Mitglieder meiner Familie bangte, kam ich wie andere zum Bahnhof, wo wir in die Viehwaggons getrieben wurden und unter Bewachung von Soldaten nach Donezk transportiert waren. Dort verweilten wir drei Tage. Auf dieselbe Weise, ohne Unterbrechung, ohne jegliche Verpflegung, fuhren wir nach Przemysl. In diesem Verteilungslager wurden wir einer Hygienebearbeitung unterzogen. Am zweiten Tag wurde die Anzahl der Menschen bestimmt, darunter auch ich, die direkt nach Hameln transportiert wurden. Dort wurden wir zur Arbeitsbörse gebracht. Dort wurden konkrete Arbeitsplätze bestimmt.
Ich wurde von der Familie Albert Friedrich aufgenommen. Sie hatte einen eigenen Gemüsegarten. Dafür bin ich dem Gott dankbar: diese Leute haben mir nur Gutes getan. Ich arbeitete auf dem Feld und im Haus. Ich arbeitete vom Morgen bis zum Abend, wie auch meine Herren selbst. An Ausländern arbeitete dort noch ein Pole, und später auch ein Weißrusse. Wir hatten dasselbe Essen wie unsere Herren, nur saßen wir am aparten Tisch. Im Hause hatte ich ein Zimmer für mich.
Sie fragen mich über meine Eindrücke über die Stadt. Ich habe fast nichts zu sagen. Das war eine ruhige Provinzstadt mit ihrem eigenen Leben. Die Stadt zu besuchen, hatte ich keine Zeit. Manchmal besuchte ich das Lager der Ostarbeiter, um mich mit ihnen in der Muttersprache zu unterhalten. Auf der Brust trug ich immer das OST, ohne dieses Zeichen war es verboten, das Haus zu verlassen.
Im Mai 1945 wurden wir durch die Alliierten befreit. Die Amerikaner haben uns wieder in einem Lager gesammelt, dann brachte man uns mit dem Wagen bis zur Elbe, wo wir von den russischen Soldaten empfangen wurden. Und wieder ein Lager bis zur Zugbildung und die Fahrt nach Hause. In einem Monat war ich schon in meiner Heimatstadt, die in Ruinen lag. Man brauchte Arbeitskräfte. Ich ging ins Werk. Zuerst arbeitete ich als Lehrling und später als Schleiferin. Also 35 Jahre habe ich im Hüttenkombinat gearbeitet. Jetzt bin ich Rentnerin, habe 2 Kinder: einen Sohn und eine Tochter, 3 Enkel und eine Urenkelin. Seit 8 Jahren bin ich Witwe.
Ich weiß nicht, ob der Inhalt meines Briefes Ihrer Bitte entspricht. Ich habe alles aufrichtig geschrieben, alles, woran ich mich noch erinnere. Und jetzt habe ich eine Bitte an Sie. Ich möchte gerne wissen, wie es Frau Ingeborg Meier geht (sie war die Tochter meiner Hausherrin). Ich habe ihr geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Ich weiß nicht warum. Wir hatten immer gute Beziehungen zueinander. Es kann sein, dass etwas in der Familie passierte. Seien Sie so nett und schreiben Sie mir bitte ein paar Wörter über sie, wenn es Ihnen keine Umstände macht.
