Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

Bericht über den Besuch der ehemaligen
ukrainischen Zwangsarbeiterin Olga Barbesolle
in Hameln in der Zeit vom 15. bis 19. Juni 2009

 

Zur Vorgeschichte des Besuches

 

 

Olga Barbesolle, geb. Mokrousowa, wurde am 8. Juli 1925 im ukrainischen Charkow geboren. Am 28. März 1942 schafften deutsche Behörden das junge 16-jährige Mädchen aus ihrer Heimatstadt zur Zwangsarbeit nach Hameln. Fünf Tage dauerte die Fahrt im Viehwaggon unter unwürdigen Bedingungen nach Deutschland.

 

 
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Die Gruppe der Frauen aus Charkow wurde nach ihrer Ankunft in Hameln zunächst mit 40 bis 45 Menschen in einem einzigen Raum untergebracht. Olga musste im größten Hamelner Rüstungsbetrieb, der Domag, unter harten Bedingungen in wöchentlich wechselnden Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten. Nachdem Baracken aufgestellt waren, lebte sie im Lager der Domag, das sich südlich des Werkes entlang der heutigen Wallbaumstraße erstreckte.

Nur die Freundschaft zu anderen Frauen aus der Ukraine half Olga, die schlimme Zeit zu überstehen. Außerhalb ihrer Arbeitszeit suchte sie Gelegenheiten, um in deutschen Familien zu arbeiten. Auf diese Weise konnte sie etwas Zusätzliches zu essen und auch mal ein Kleidungsstück bekommen.

 

 
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Lebensentscheidend wurde für Olga die Bekanntschaft zu dem französischen Kriegsgefangenen Robert Barbesolle. Dessen Barackenlager grenzte an das Lager der Ukrainerinnen und war nur durch einen hohen Zaun von diesem getrennt. Bei Gesprächen durch den hohen Lagerzaun und heimlichen Treffen an der Weser lernten die beiden sich kennen und lieben.

 

 
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Nach Ablauf von mehr als drei Jahren, am 7. April 1945, wurden die Hamelner Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von amerikanischen Soldaten befreit. Für die letzten, sehr gefährlichen Kriegstage hatten Olga und Robert das in einer Kampfzone liegende Lager der mag verlassen und sich im Wald versteckt. Am 2. Mai 1945 heirateten die beiden in der katholischen St. Augustinuskirche in Hameln.

Anschließend begleitete Olga ihren Gatten nach Frankreich, wo sie seither lebt. Die Entscheidung, dem Ehemann nach Frankreich zu folgen, fiel der jungen Frau damals furchtbar schwer, bedeutete sie doch die dauernde Trennung von den Eltern in Charkow. In der frühen Zeit des Kalten Krieges waren Kontakte in die Sowjetunion nur schwer zu realisieren. 19 Jahre sollte es dauern, bis Olga ihre Eltern in Paris in die Arme schließen konnte. Später kamen ihre Schwestern aus Charkow regelmäßig zu Besuch nach Paris.

Mit ihrem Mann Robert brachte sie drei Kinder zur Welt. Heute ist Olga Barbesolle 84 Jahre alt und lebt mit ihrem inzwischen 97 Jahre alten Mann Robert in Paris.

In Hameln war sie seither nie wieder gewesen. Jetzt kam sie auf Einladung von Bernhard Gelderblom zusammen mit Sohn Michel Barbesolle und Tochter Hélène Coupé und begleitet von dem Soziologen Maurice Born.

 

 

Maurice Born hatte den Kontakt zwischen Olga Barbesolle und Bernhard Gelderblom hergestellt. Er hatte den Hamelner Historiker darauf aufmerksam gemacht, dass unter dem Titel

Les Sans-Amour.
Journal de captivité d’une jeune Ukrainienne en Allemagne nazie 1942-1945

in Frankreich ein Buch vorliegt, das über mehr als 400 Seiten die Geschichte der Zwangsarbeit einer jungen Ukrainerin in einem Rüstungswerk in Hameln beschreibt.

Grundlage des Buches ist ein Tagebuch, das Olga während ihres Aufenthaltes in Hameln auf zusammen gebetteltem Papier geschrieben hat. Dieses Tagebuch ist in seiner Genauigkeit und Anschaulichkeit auch über Hameln hinaus ein einzigartiges Dokument.

Die Geschichte des Tagebuches ist nicht einfach. Als in den letzten Kriegstagen beim Vordringen der US-Truppen das Hamelner Industriegebiet Kampfzone wurde, musste sie ihre Baracke verlassen und sich für einige Tage im Wald verstecken. Nach der Rückkehr war das Tagebuch verschwunden. Frau Barbesolle hat dann in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Paris die Energie aufgebracht, das Tagebuch aus dem Gedächtnis neu zu schreiben.

Mit Hilfe ihrer Tochter Hèléne brachte Olga in den 1990er Jahren ihr Tagebuch in eine druckreife Form, so dass es im Jahre 2000 im Pariser Verlag L’Harmattan in der Reihe "Mémoires du XXe siècle" als Buch erscheinen konnte.

 
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