Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Die Verfolgung Homosexueller

Walter Timm – Lebenslauf

 

 

  1905   Geboren am 17.3.1905 in Osnabrück

Studium der Fächer Deutsch, Geographie, Kunst und Theatergeschichte
Timm wollte ursprünglich freier Künstler werden.

  1932   Staatsexamen

  1934   Assessorexamen

  1933-36   nebenamtlicher Lehrer an der Heeresfachschule Münster
Mitglied der NSDAP

  1936   Gefolgschaftsführer; Leiter der Kulturabteilung in der HJ-Gebietsführung Westfalen sowie einer HJ-Bannspielschar

  1937   16.1.1937 Verhaftung durch die Gestapo wegen Verfehlungen nach § 175

Am 5.10.1937 Verurteilung durch das Landgericht Münster zu sechs Jahren Zuchthaus wegen "widernatürlicher Unzucht"

Timm habe seine Stellung als Leiter der Spielschar ausgenutzt.
"Er, der als Hitler-Jugendführer berufen war, die ihm anvertraute Jugend seelisch und geistig nach dem Willen des Führers gesund, stark und rein zu erhalten und für alles Schöne und Gute zu begeistern, hat diese Jugend in schmutzigster und ekelhaftester Weise verdorben."


Am 13.10.1937 Einlieferung in das Zuchthaus Herford

  1938   Kurzer Aufenthalt im Moorlager Esterwegen

  1939   Am 15.4.1939 Einlieferung in das Zuchthaus Hameln

  1943   Nach Ablauf der Strafzeit am 22. oder 23.1.1943 Einlieferung in das KZ Sachsenhausen
Im KZ zuerst Pfleger, später Blockschreiber, schließlich Blockältester auf der Tbc-Station

  1945   Timm überlebt den Todesmarsch, auf dem im April 1945 etwa 6.000 Häftlinge sterben.

  Nach 1945   Heirat; Tätigkeit in Mecklenburg in der Erwachsenenbildung (besonders im Laienschauspiel); großes Ansehen in der Bevölkerung.

  1963   Verstorben am 18.2.1963 im Alter von 58 Jahren

 
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Die Haftzeit im Zuchthaus Hameln vom 15.4.1939 – 22.1.1943
Auszüge aus der Häftlingsakte


Walter Timm wird unter der Gefangenen-Nr. 115/39 registriert.

 
Folgende Tagesbeobachtung wird durch den Oberwachtmeister verzeichnet:

18.8.1939 Seine Arbeit führe er zur Zufriedenheit aus, in seinem Wesen sei er mäßig und bescheiden.

 
Im "Hilfsbogen Anträge" finden sich folgende Einträge:

31.7.1939 Bitte um Zeichenerlaubnis; Timm gibt an, er wolle sich für einen neuen Beruf vorbilden.

26.8.1939 Bitte um Aushändigung seines Malergerätes. Timm ist Zeichner als für die Anstalt tätig, vom Herrn Arbeitsinspektor bereits genehmigt.

11.1.1940 Bitte um Befreiung von der Auflage, die Kleidung für die Nacht herauszulegen zu müssen (die Maßnahme sollte der Fluchtgefahr vorzubeugen).

4.3.1940 Bitte um Aquarellblock, Radiergummi und Aquarellfarben.

 
Tagesbeobachtung des Oberwachtmeisters vom 27.3.1940:

Timm verrichte die ihm übertragenen Aufgaben sehr geschickt und zur vollen Zufriedenheit. Er werde außerdem als Zeichner fürs Haus beschäftigt.

Den Beamten gegenüber verhalte er sich anständig und höflich und führe sich der Hausordnung entsprechend. Er sei willig und folgsam, auch halte er seine Zelle in Ordnung.

 
Die Nachweise über Beschäftigung enthalten die folgenden Stationen:

Tütenkleberei
Pantoffelmacherwerkstatt
Werkstatt für Peitschenschnüre
Außenarbeit in der Rüstungsfabrik Domag.

 
Die Mitteilung des Zuchthauses Hameln an die Kripoleitstelle Hannover wegen der bevorstehenden Entlassung vom 23.11.1942 ist außergewöhnlich positiv und wohlwollend, was besonders bei homosexuellen Häftlingen völlig ungewöhnlich ist:

Timm habe sich "tadellos geführt und fleißig gearbeitet. Er hat durch ehrliches Arbeiten an sich selbst seinen Willen in einem Maße gestärkt, dass er allem Anscheine nach künftigen Versuchungen nicht mehr unterliegen wird."

Gez. Stöhr, Direktor, gez. Ostermeyer, Oberlehrer

 
Die Kripoleitstelle Recklinghausen ist von der wohlwollenden Beurteilung Timms unbeeindruckt und schreibt am 9.1.1943 an den Vorstand des Zuchthauses Hameln:

"Zum Schutze der deutschen Jugend und im Hinblick auf die augenblicklichen Zeitverhältnisse wird gegen Timm nach Strafverbüßung die polizeiliche Vorbeugungshaft angeordnet. Ich bitte, Timm durch Sammeltransport in das Polizei-Gefängnis Recklinghausen zu überstellen."

 
Die Kripoleitstelle Recklinghausen folgt damit dem Himmlererlass vom 12.7.1940, der bestimmt, dass alle Homosexuellen mit mehr als einem Partner nach der Haft in ein KZ zu bringen sind.

Zum Ende seiner Strafhaft am 22.1.1943 wird Walter Timm deshalb nicht entlassen, sondern "dem Polizeigefängnis Recklinghausen überstellt". Von dort wird er in das KZ Sachsenhausen gebracht.

 
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Zum künstlerischen Nachlass von Walter Timm


Im Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen befinden sich 26 Aquarelle von Walter Timm, die zwischen 1939 und 1942 im Zuchthaus Hameln entstanden sind.

Diese Arbeiten haben zumeist aus der Erinnerung oder der Phantasie gemalte Landschaften und Stadtansichten sowie Blumenstillleben und romantische Sujets zum Gegenstand.

Da seine Arbeiten von der Zuchthausverwaltung kontrolliert wurden, setzte sich Timm mit den unmittelbaren Umständen seiner Gefangenschaft nur in wenigen Bildern und sehr vorsichtig auseinander.

Im Bild "Der Klüt bei Hameln" (1942) gibt er die unmittelbare Umgebung seiner langjährigen Haft im Zuchthaus Hameln wieder, wie sie sich ihm beim Blick aus dem Zellenfenster erschloss.

Die beiden Bilder "Große Presse im Metallwerk Hameln" (1942) und "Produktionshalle im Metallwerk Hameln" (1942 - liegt nicht vor) stellen Werkhallen in der 1936 eröffneten "Domag" dar, die während des Zweiten Weltkrieges der wichtigste Rüstungsbetrieb in Hameln war. Hier mussten neben Zwangsarbeitern auch Gefangene des Zuchthauses arbeiten.

Unmittelbar nach der Befreiung aus dem KZ Sachsenhausen entstand eine eindrucksvolle Serie von neun Bleistiftzeichnungen, die Eindrücke aus dem KZ und vom Todesmarsch schildern.

 

Quellen

Häftlingsakte im Hauptstaatsarchiv Hannover

Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen

Rainer Hoffschildt, Die Verfolgung der Homosexuellen in der NS-Zeit. Zahlen und Schicksale aus Norddeutschland, Berlin 1999, S. 155-157

Fred Brade, "... die trotz Nazi-Terror Menschen geblieben sind." Homosexuelle Häftlinge und Pfleger im Krankenbau 1943-1945, in Joachim Müller und Andreas Sternweiler, Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, Berlin o. J. (2001), S. 300-315

 
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