Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

Besuch der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
aus Polen vom 18. - 25. September 2005 in Hameln

 

Berichte der DEWEZET

 

Sie will ihren Geburtsort wiedersehen

60 Jahre nach Kriegsende Einladung polnischer Zwangsarbeiter nach Hameln

Hameln (wft). 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bereiten sich in Polen etwa 20 ehemalige Zwangsarbeiter darauf vor, vom 18. bis 25. September Hameln zu besuchen, wo sie zum Teil jahrelang in Werken wie der Domag unter meist unmenschlichen Bedingungen Sklavenarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie zu leisten hatten oder auch als kleine Kinder in den Baracken lebten. Vorbereitet wird diese Versöhnungsaktion mit der Vergangenheit derzeit von dem Historiker Bernhard Gelderblom, der polnischen Studentin Magdalena Bilska (24) und dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hameln, Pastor Herbert Dieckmann. Thematisch verknüpft wird der Besuch mit der Ausstellung "Zwangsarbeit in Hameln-Pyrmont" im Hamelner Münster.

Den Kontakt zu den ehemaligen Zwangsarbeitern stellte Gelderblom in den Jahren 2000 bis 2003 brieflich her. In ihren Briefen äußerten viele von ihnen den Wunsch, noch einmal an die Orte ihrer Zwangsarbeit zurückzukehren, "um sich ihren traumatischen Erlebnissen in Deutschland erneut zu stellen", wie es in einem Informationsblatt heißt, das seit wenigen Tagen in den Hamelner Buchhandlungen, der Stadtsparkasse, der Volksbank und am Ticket-Schalter der DEWEZET ausliegt.

Bei einer Fahrt durch Polen über Torn, Warschau, Lodz und Posen nahmen Gelderblom und Magdalena Bilska, die den Historiker als Dolmetscherin begleitete, persönlichen Kontakt zu den ehemaligen Zwangsarbeitern auf. Als bestürzend empfindet es Gelderblom, dass einige der Briefschreiber kurz vor seinem Besuch in Folge ihres hohen Alters verstorben waren.

Einige der Zwangsarbeiter und ihre Kinder, die vor 60 Jahren in Hameln waren, haben sich inzwischen in Warschau getroffen. Janina Zdewska zum Beispiel, 1942 in Coppenbrügge geboren, äußerte gegenüber Gelderblom und Magdalena Bilska: "Das wäre mein Traum, meinen Geburtsort noch einmal zu sehen!" Bei seinem Besuch in Polen stellte Gelderblom fest: "Das Bedürfnis, nach Hameln zu kommen, ist groß. Die Erinnerung an die Zwangsarbeit ist außerordentlich stark. Der Besuch soll die Erinnerungsarbeit abrunden."

Geplant sind für die Besuchswoche ein Empfang durch Oberbürgermeister Klaus Arnecke, Besuche an den Stätten ihrer Zwangsarbeit, eine Kranzniederlegung auf dem Friedhof Wehl, wo einige der Eingeladenen sogar Angehörige liegen haben, die hier den Tod fanden. Auch eine öffentliche Veranstaltung wird es geben: "Zwangsarbeiter als Zeitzeugen". Dazu Begegnungen mit Hamelner Bürgern, etwa bei einem Gesprächskreis im Hamelner Münster, und Gespräche mit Schulklassen. Die Unterbringung der Gäste soll bei Hamelner Familien organisiert werden.

Weil die Eingeladenen die Reise wegen ihrer meist sehr kleinen Renten selbst nicht finanzieren können, werden für den Besuch noch Sponsoren und Spender gesucht. Gelderblom und Dieckmann schätzen die Kosten auf etwa 10 000 bis 12 000 Euro. 500 bis 1000 Euro hat die Stadt Hameln in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: In Osnabrück finanzierte die Stadt einen Besuch von Zwangsarbeitern mit 40 000 Euro. In anderen Städten wurden Mitarbeiter abgestellt, um den Besuch zu organisieren. In Hameln geschieht dies alles auf ehrenamtlicher Basis und in der Hoffnung, dass Hamelner Bürger, Banken und Firmen sich an der Finanzierung der Fahrtkosten, der Verköstigung, der Dolmetscherkosten und des Programms beteiligen.

Spenden erbitten die Organisatoren auf das folgende Konto des Kirchenkreisamts: Stadtsparkasse Hameln, BLZ 254 500 01, Konto-Nr. 3384, Stichwort: "Zwangsarbeiter-Besuch".

Weitere Informationen bei Bernhard Gelderblom, Tel.: 05151 61839, und Herbert Dieckmann, Tel.: 05151/106053

© DEWEZET, 26.04.2005

 
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Wichtige Zeitzeugen kommen zu Besuch

Ehemalige Zwangsarbeiter bei "Gesichtern"

Hameln (red). Vor 60 Jahren waren sie vielleicht das letzte Mal hier - jetzt kommen sie wieder zurück an einen Ort, an den sie wahrscheinlich nur wenig gute Erinnerungen haben. Bernhard Gelderblom hat für seine Ausstellung "Gesichter", die zurzeit im Münster St. Bonifatius zu sehen ist, 115 Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern aus Polen knüpfen können. "Wir haben diesen Menschen durch unser Interesse sehr geholfen", so Gelderblom. Heute werden einige von ihnen bis zum 24. September nach Hameln kommen.

"Die Ausstellung wäre ohne die Briefwechsel nicht so gut gelungen", betont Gelderblom die Wichtigkeit der Zeitzeugen. Ein volles Programm erwartet sie deshalb: Am Sonntag werden die Gäste aus Polen die Ausstellung besuchen und an Gottesdiensten und Gesprächen teilnehmen. Am Montag fahren sie nach einem Treffen mit Oberbürgermeister Klaus Arnecke in die Linsingen-Kaserne, in der sie nach ihrer Befreiung damals untergebracht waren. Am Dienstag kehren sie dann an den Ort ihrer Zwangsarbeit zurück: Sowohl zu Arbeits- als auch zu Aufenthaltsorten führt Gelderblom seine Gäste. Am Mittwoch und Donnerstag werden sie in der Elisabeth-Selbert-Schule und im Albert-Einstein-Gymnasium Gespräche führen und das Weserbergland neu entdecken. Am Freitag gibt es eine ökumenische Andacht zum Abschluss der Besuchswoche, bei der auch die Spender anwesend sein werden. Der Besuch der ehemaligen Zwangsarbeiter wird mit einem städtischen Zuschuss finanziert.

© DEWEZET, 17.09.2005 

 
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Zum Gebet reichten sie sich die Hände

Zwangsarbeiter berichteten von bitteren Erinnerungen / Aufruf zur Versöhnung

Hameln (gro). Im Rahmen der zurzeit stattfindenden Ausstellung in der Münsterkirche "Gesichter", Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939-1945, besuchen 13 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen die Rattenfängerstadt. In diesen Tagen suchten sie ihre damaligen Arbeitsstätten und Wohnorte auf, wobei es auch zu Begegnungen mit den damaligen Arbeitgebern oder deren Nachkommen kam.

Der Historiker Bernhard Gelderblom hatte alle, Polen sowie Deutsche, in die Münsterkirche zu einem Begegnungsabend eingeladen. "Wichtig ist mir, die ehemals Gezwungenen an den Ort des Leidens zurückkehren zu lassen, um die Wunden der Erinnerung schließen zu können. Wir möchten", so der Moderator gegenüber den 13 Gästen aus Polen, "dass Sie hier zu Wort kommen und uns das gesamte Bild der Zwangsarbeit und Deportation klarmachen."

Begegnung

Mehr als 60 Personen waren der Einladung zu diesem Begegnungsabend gefolgt, darunter die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Warschau, Lodz und Posen. Als Jugendliche und Kinder hatten sie die leidvolle Deportation und Zwangsarbeit erlebt. Bittere Erinnerungen und Einzelschicksale wurden in ihren Erzählungen über das Erfahrene wachgerufen, dem das Publikum schweigend und teilweise betroffen zuhörte. Nicht nur Einzelpersonen waren damals willkürlich in ihrer polnischen Heimat festgenommen und deportiert worden - nein, ganze Familien wurden in das Deutsche Reich verschleppt. Geschätzt wird, dass damals in Hameln und Umgebung bis zu 10 000 Menschen anderer Nationen zur Arbeit gezwungen wurden.

"Sicherlich gibt es hier und da noch Hass und Vergeltungsgedanken der ehemals Gezwungenen", so Gelderblom vor der Veranstaltung, "aber nicht bei denen, die uns in Hameln besuchen." Das bestätigten diese auf eindrucksvolle, ja, beschämende Weise. Sie seien dankbar, dass sie in Hameln sein dürften, mit der Hoffnung, nicht vergessen zu werden. "Ich habe keinen Hass und danke dafür, dass sie offen dafür sind, dass anzuhören, was wir erlebt haben", sagte Stanislaw Kicman. Er war es auch, der nach dem Schlusswort von Gelderblom nochmals um das Wort bat: "Ich möchte, dass wir uns alle in der Kirche die Hand reichen und zusammen das Vater unser beten", damit zur Versöhnung aufrief, dem alle Teilnehmer folgten.

© DEWEZET, 22.09.2005

 
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