Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

Nach dem Sonderstrafrecht Verurteilte

Paul Jost - Lebenslauf

 

 

  1892   Geboren am 4.5.1892 in Witten an der Ruhr

"Werkhelfer" bei der Reichsbahn in Bad Münder

Sozialdemokrat
Mitglied im Arbeiterturn- und Sportbund

  1943   Musste sich regelmäßig bei der Gestapo melden.
Paul Jost stand im Verdacht, in den Zügen der Reichsbahn regimefeindliche Flugblätter ausgelegt zu haben sowie Zwangsarbeitern Essen zugesteckt zu haben.

Am 28.6.1943 Festnahme durch die Gestapo "wegen Verbrechen gegen die Rundfunkverordnung"

Am 28.7.1943 Verurteilung durch das Sondergericht Hannover zu 2 Jahren Zuchthaus

August 1943 Einlieferung in das Zuchthaus Hameln

  1944   Gnadengesuch der Ehefrau Dorothea Jost vom 25.2.1944 beim Amtsgericht Hannover

Das Gnadengesuch wird vom Direktor des Zuchthauses Hameln nicht unterstützt (14.3. 944) und vom Oberstaatsanwalt in Hannover abgelehnt (31.5.1944).

  1945   Am 28.4.1945 um 14 Uhr im Zuchthaus Hameln verstorben
Todesursache laut Totenschein: Durchfall, Herzschwäche"

 
Bild
 

Paul Jost, Der Wortlaut des Urteils des Sondergerichts Hannover

"Das Sondergericht Abt. 1 für den OLGbezirk Celle beim LG in Hannover hat in der Sitzung vom 28. Juli 1943,
an der teilgenommen haben:
Landgerichtsrat Dr. Schmedes als Vorsitzender,
Amtsgerichtsrat Dr. Poos,
Amtsgerichtsrat Baldamus als Beisitzer,
Staatsanwalt Dr. Wenzel,
für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird wegen Abhörens eines ausländischen Senders zu 2 Jahren Zuchthaus sowie 2 Jahren Ehrverlust verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wird angerechnet. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Angeklagten zur Last. Das beschlagnahmte Rundfunkgerät wird eingezogen.

Gründe:
...
Von 1931 bis zur Machtübernahme gehörte der Angeklagte der SPD als Mitglied an und war als solcher auch im Arbeiter- Turn- und Sportbund. Heute ist er Angehöriger der DAF, NSV und des RLB.

Seit 1935 ist der Angeklagte im Besitz eines Rundfunkgerätes – Volksempfänger – und pflegte mit diesem Gerät Frontberichte, Nachrichten und Musik zu hören. Wie er unwiderlegt angibt, kam er im November 1941 eines Abends beim Drehen der Skala auf eine deutschsprachige Sendung, die er alsbald als eine feindliche, vermutlich englische, erkannte.
...
Der Angeklagte hörte diese Sendung ab und fand insofern Gefallen daran, als er nun in der Folgezeit versuchte, um die gleiche Stunde den betreffenden Auslandssender wieder zu bekommen. Der Angeklagte hat, wie er selbst zugibt, alsdann in den Wintermonaten jede Woche ein paar Mal diesen Sender abgehört. Er war sich auch niemals im Zweifel darüber, dass es sich hier um einen feindlichen Sender handelte.
...
Der Angeklagte setzte sein Treiben bis in den Februar 1943 fort, obwohl er die Strafbarkeit seines Tuns kannte und obwohl ihn auch seine Frau gelegentlich gewarnt hatte. Von diesem Zeitpunkt an will er das Abhören der feindlichen Nachrichten aufgegeben haben, einmal, weil er von anderer Seite gewarnt worden sei und schließlich auch, weil ihm durch die Zeitung die hohen Strafen bekannt geworden seien, die auf das Abhören von Auslandssendern erkannt wurden. Während der Sommermonate, behauptet der Angeklagte unwiderlegt, dass er den Sender nicht eingeschaltet habe, weil er sich dann abends meistens außerhalb seiner Wohnung aufgehalten habe.

Dieser Sachverhalt ist festgestellt auf Grund der Angaben des Angeklagten. Der Angeklagte gibt an, er habe das Abhören der feindlichen Sender u. a. deshalb getan, weil er wegen seines bei der Kriegsmarine dienenden Sohnes in Sorge gewesen sei und sich daher für die Namen der in Gefangenschaft geratenen Seeleute interessiert habe. Im übrigen habe er aus Neugierde gehandelt. Er habe diese Kenntnisse, die er durch das Abhören erworben habe, aber nicht weiter verbreitet, weil sie ihn schließlich angewidert hätten. Er selbst habe sich durch das Abhören in seiner politischen Meinung nicht beeinflussen lassen.

Diese Einlassung des Angeklagten kann ihn nicht entschuldigen. Das Verbot, ausländische Sender zu hören, ist bewusst von der Staatsführung erlassen, .... An diesem Verbot hat sich jeder zu halten und es kann nicht irgend jemand überlassen bleiben, selbst darüber zu befinden, ob er gefestigt genug ist, feindliche Sender abzuhören oder nicht. Wer deshalb gegen dieses Verbot verstößt, gefährdet einmal sein persönliches Vertrauen zur Staatsführung und außerdem die geistige Geschlossenheit und Willenszusammenfassung des deutschen Volkes. Er muss daher schwer bestraft werden. Der Angeklagte war gemäß § 1 der Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. 9. 1939 zu verurteilen. Eine Verurteilung nach § 2 konnte nicht erfolgen, weil dem Angeklagten nicht nachgewiesen ist, dass er die abgehörten Mitteilungen weiterverbreitet hat.

Bei der Strafzumessung war dem Angeklagten zuzubilligen, dass er zuerst aus Sorge um den Verbleib seines Sohnes, der bei der Marine ist, die feindlichen Sender abgehört hat. Weiter kam hinzu, dass der Angeklagte heute voll geständig ist, und offenbare Reue zeigt. Außerdem hat er, wie er unwiderlegt behauptet, das Abhören der feindlichen Sender aus freien Stücken aufgegeben. Schließlich ist der Angeklagte unbestraft und hat sich auch sonst nicht als gegen den Staat eingestellt gezeigt. Er hat seine Pflicht als Beamter dem Staat gegenüber durch bisher geleistete 25jährige Dienste erfüllt.

Andererseits war aber zu berücksichtigen, dass der Angeklagte über 1 ½ Jahre fast ständig, wenigstens in den Wintermonaten, die feindlichen Nachrichten und Propagandavorträge abgehört hat. Sein Verhalten ist um so verwerflicher, als er von seiner Frau öfter verwarnt worden ist. Das Gericht hat deshalb die Tat des Angeklagten nicht als leichteren Fall ansehen können, vielmehr erschien unter Berücksichtigung aller Umstände eine Zuchthausstrafe von 2 Jahre als angemessene und erforderliche Sühne."

 
Bild
 

Paul Jost, Die Umstände seines Todes und der Beerdigung

Paul Jost ist 3 Wochen nach der Befreiung des Zuchthauses gestorben. Der amtliche Totenschein gibt für Paul Jost als Ort des Todes das Zuchthaus an:

"Gestorben 28.4.1945 Münsterwall 2".

Die Todesursache, die der Totenschein für Paul Jost verzeichnet, findet sich in gleicher oder ähnlicher Formulierung dutzende Male:

"Durchfall, Herzschwäche".

Die Familie Jost in Rodenberg ist damals über den Tod des Vaters nicht informiert worden. Seit dem 8. April wartete die Familie auf die Rückkehr des Ehemannes bzw. Vaters. Die Tochter von Paul Jost berichtet über die Umstände, unter denen sie vom Tode des Vaters erfuhr.

"Am 30. April fuhren drei Männer, Freunde der Familie, von Rodenberg nach Hameln, um Paul Jost aus dem Zuchthaus zu holen. 'Wir bringen ihn bestimmt gleich mit', sagten die drei. Zu Hause bereiteten wir etwas Gutes zu essen zum Empfang vor.

Im Zuchthaus begegneten sie allerlei Ausflüchten. Es müssten erst noch die Papiere in Ordnung gebracht werden. Als es dann soweit war, hieß es: 'Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass der Gefangene Jost vorgestern an Herzversagen gestorben ist.'

Mit Hilfe der Besatzungsmacht erzwangen die Freunde es immerhin, dass sie trotz Typhus- und Choleragefahr den Toten sehen konnten. Mithäftlinge sagten, vor zwei Monaten hätte er den Weg nach Hause noch zu Fuß schaffen können, aber zuletzt sei er völlig abgemagert gewesen. Jost sei einer von vielen Toten.

Seinen Freunden blieb nichts anderes übrig, als die unfassbare Todesnachricht zu überbringen. Die Leiche konnte nicht überführt werden, zur Beerdigung durfte niemand hin."

Paul Jost, Die Bestattung und das Schicksal des Grabes

Wie alle Toten des Zuchthauses wurde Paul Jost auf einem gesonderten, abgelegenen Feld des Friedhofes Wehl (Feld C 1) bestattet. Die Bestattung erfolgte ohne Sarg. Nach Auskunft der Tochter von Paul Jost habe die Familie ab Juni 1945 das Grab auf dem Friedhof Wehl besuchen dürfen.

Das Gräberfeld war nach Auskunft der Tochter von Paul Jost über die gesamte Zeit außerordentlich ungepflegt. Beschwerden beim Friedhofsamt der Stadt Hameln hätten keine Besserung gebracht. Eine Umbettung zum Wohnsitz der Familie nach Rodenberg sei verweigert worden.

Nach Ablauf der gesetzlichen Liegefrist hat die Stadt Hameln das gesamte Feld, das ca. 300 Grabstellen umfasste, im Jahre 1975 einebnen lassen. Das Gräberfeld C 1 ist bis heute nicht neu belegt worden. Ein Hinweis auf die Menschen, die hier bestattet worden sind, fehlt.

 

Quellen

Prozessakte Paul Jost im Hauptstaatsarchiv Hannover (Die Häftlingsakte des Zuchthauses Hameln ist nicht vorhanden)

Margarete Stüber, Rodenberg

 
Bild