Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der Nachkriegszeit

Der Umgang mit den Gräbern der Hingerichteten in Hameln

 

  Die Jahre 1949 bis 1975
  Die Jahre 1975 bis 1985
  Die Jahre 1985 bis 1986
  Die Jahre 1985 bis heute

 

Die Jahre 1985 bis 1986

 

  Die Gründung eines Kreisverbandes der FAP in Hameln-Pyrmont
  Die Demonstration der FAP am Vorabend des Volkstrauertages (16.11.1985)
  Zur Beurteilung des Polizeiverhaltens
  Am Nachmittag. Die Gedenkstunde der Bürgerinitiative
  Die anschließende Diskussion im Rat der Stadt Hameln und im Landtag
  Antrag der SPD vom 22.11.1985 an den Rat der Stadt und seine Ablehnung
  Die Veröffentlichung der Liste der Hingerichteten
  Die Ratssitzung vom 19.2.1986
  Die Kündigung an Buchmeier und die Einebnung
  Die Demonstration der FAP am 8.3.1986

 

Die Rechtsradikalen bemächtigen sich der Gräber.
Die Schritte, die zur Einebnung der Gräber führen.

 

Zwischen Herbst 1979 und Herbst 1984 war Ruhe um die Gräber. Am 14.11.1984 macht sich die DEWEZET erneut zum Fürsprecher der Bürgerinitiative:

"Die BI besteht seit 8 Jahren. Ihr ist es zu verdanken, dass dieses geschichtsträchtige Gräberfeld, über dem die Tragik der Zeitläufe liegt, nicht eingeebnet und vergessen wurde. Ruhen doch dort die Opfer vorschneller und harter Urteile, die ... nicht selten sich später, als es zu spät war, als Irrtum herausstellten. Wer der BI zur Erhaltung der Hingerichteten-Gräber am Friedhof Wehl helfen will, kann das mit Spenden tun. ..."

 

Die Gründung eines Kreisverbandes der FAP in Hameln-Pyrmont

 
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Im September 1985 wird in Hameln ein Kreisverband der FAP gegründet (vgl. DEWEZET 25.9.1985, Artikel und Kommentar Stefan Reineking). Laut Verfassungsschutz ist die FAP eine Nachfolgeorganisation der verbotenen 'Aktionsfront Nationaler Sozialisten' unter Führung von Michael Kühnen.

Zentrale Figur für Hameln ist der Kiesgrubenbesitzer Oskar Hinzmann, "Stellvertretender Gauführer Niedersachsen", der eine Gruppe junger Anhänger um sich scharte.

Im Oktober 1985 kommt es in Afferde mehrmals zu offenen Auseinandersetzungen zwischen FAP und SDAJ (vgl. DEWEZET 3.10.1985 und DEWEZET 21.10.1985). Der SPD-Unterbezirk tritt für ein generelles FAP-Verbot ein (DEWEZET 29.10.1985).

Dass für Oskar Hinzmann die Gräber am Wehl einen hohen Symbolwert haben, konnten rechte Kreise am 9.12.1983 im Deutschen Anzeiger, Nr. 50, S. 9 lesen:

Oskar Hinzmann

Den Toten am Wehl

Über Gräber weht der Wind –
Über Gräber, die längst vergessen sind.
Noch weinen Mütter und Frauen um die Lieben,
die dort unter der Erde geblieben.

Über Deutsche hielt man damals Gericht.
Heute vergessen und beugen nur wenige sich nicht.
Ihr Glaube an Deutschland, das war ihr Tod.
Von den Siegern gehenkt, als Deutschland in Not.

An der Mauer verscharrt, wie räudige Hunde.
Mit den Henkern, da stand der Teufel im Bunde.

Deutschland, du schweigst.
Das Vermächtnis der Toten, du hörst es nicht.
Für unser besiegtes Land, da gibt es noch immer kein Recht.

An Gräbern, die zeugen von des Siegers Rache,
da halten nur wenige treu die Wache.

Über Gräber weht weiter der Wind,
über Gräber, die von vielen vergessen sind.

 
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Was damals noch so in Hameln passierte

Derartige Bildchen klebten damals überall in der Stadt.

Am 18.11.1985 gab es den Vortrag von David Irving "Befreiung? Vertreibung? Wiedervereinigung?" im Kleinen Haus des Dorint-Hotels. Irvings Vorträge waren von der DVU (Dr. Frey) organisiert. Eingeladen von der BdV-Kreisgruppe HM-Pyr, Ratsherr Bruno Ibsch (BdV HM) distanziert sich.

Irving vertritt die These, Hitler habe von der Judenvernichtung nichts gewusst, die Vertreibung sei "ungesühnter Holocaust".

Polizei bahnte Irving-Besuchern den Weg (DEWEZET 19.11.1985).

 
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Die Demonstration der FAP am Vorabend des Volkstrauertages (16.11.1985)


Am 16.11.1985, Sonnabend vor Volkstrauertag 1985, demonstrieren FAP und NPD am Gräberfeld. Ich lese aus dem Bericht der DEWEZET vom 18.11.1985:

"Besucher fassungslos: Schlägerei auf Friedhof Wehl
Die Szenerie rund um den Friedhof Wehl ist gespenstisch. Ein Riesenaufgebot von Polizei, darunter zwei Hundertschaften aus Hannover, nur an ihren Funkgeräten zu erkennende Kriminalbeamte und Dokumentationstrupps mit Fotoapparaten und Videokameras, wartet zwischen den Gräbern oder in respektvollem Abstand auf seinen Einsatz. Vor dem Tor Demonstranten mit roten Transparenten. Besucher, die an diesem Sonnabend morgen zu Hunderten die Gräber ihrer Angehörigen zum bevorstehenden Volkstrauertag und Totensonntag herrichten wollen, sind verängstigt, verwirrt und ratlos. ...

Was die Besucher nicht wissen und die Polizei geheim halten wollte, ist offensichtlich in der linken Hamelner Szene durchgesickert: Oskar Hinzmann ... will an diesem Morgen mit einer Anzahl von Gefolgsleuten eine Feierstunde an den Hingerichtetengräbern abhalten. ...

Die Polizei, die Ausschreitungen befürchtet, patrouilliert deshalb seit dem frühen Morgen im ganzen Stadtgebiet und hat rund um die Ruhestätten ihre massiven Kräfte zusammengezogen. ... Erst gegen 12.30 Uhr setzt sich ein wider Erwarten nur kleines Trüppchen Rechtsradikaler, es sind rund 20 Männer und Frauen jeden Alters aus dem norddeutschen Raum, (erg.: Richtung Wehl) in Bewegung." ...

 
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Ca. 20 FAPler marschieren unter den Augen der Polizei in 3er Reihen zu den Gräbern. Es folgen:

Auf Seiten der Gegendemonstranten gibt es Buh-Rufe; es gelingt, den mit einer schwarz-weiß-roten Schleife geschmückten Kranz zu entreißen.
Tumulte folgen. Die Rechten haben Holzlatten, Blut fließt. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen aus Pyrmont stolpert über eine Baumwurzel und wird von den Rechten mit Stiefeln getreten und schwer am Kopf verletzt; der Notarzt stellt einen Schädelbruch fest.

Schließlich greift die Polizei ein und eskortiert die FAP (mit Hitlergruß) zum Ausgang des Friedhofs.

"Der ganze Spuk dauert nur eine halbe Stunde."

 
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Zur Beurteilung des Polizeiverhaltens


Das Verhalten der Polizei ist skandalös. Die Demo der FAP war der Stadt und der Polizei vorher bekannt. Sie war nicht angemeldet. In einer Notiz der Verwaltung vom 13.11.1985 heißt es:

"Die Polizei bat darum, aus einsatztaktischen Gründen und beabsichtigten Observationsmaßnahmen keine Untersagungsverfügung zu erlassen."

Mit Recht fragt der Ortsverband Die Grünen Hameln (Hamelner Markt 28.11.1985):

"Wie kann man gewalttätige Extremisten, die sich so deutlich zu erkennen geben, mit Schaufeln und Kanthölzern gewappnet, die Kontrollen passieren lassen; und das mit der fadenscheinigen Begründung, sie wollten ein Gestell für ihr Kreuz errichten?"

In der Ratssitzung vom 16.4.1986 erhält J. C. Kruse darauf die folgende Antwort der Verwaltung:

Die Polizei habe die Veranstaltung als Spontandemonstration aufgefasst, die nicht zuvor angemeldet sein muss, "und zwar deshalb, weil nicht auszuschließen war, dass der zur FAP gehörende Personenkreis lediglich einen Kranz niederlegen wollte, sich der hierzu mitgeführten Gegenstände zum Aufrichten des Kranzes bediente und sich die Aktion auf dem Friedhof erst aufgrund der Gegendemonstration entwickelte." 

Also sind eigentlich die Gegendemonstranten schuld.

Warum wurden die Mitglieder der FAP nicht strafrechtlich verfolgt? Schließlich hatten sie den Hitlergruß gezeigt.

Die Ermittlungen der Kripo haben "ergeben, dass die FAPler wegen einer Verfremdung des Hitlergrußes durch Abspreizen einiger Finger rechtlich nicht zu belangen sind. Es wird lediglich gegen vier identifizierte Teilnehmer der FAP-Gedenkfeier wegen Körperverletzung und Störung der Totenruhe ermittelt (DEWEZET 18.12.1985)."

Das Singen der ersten Strophe des D-Liedes und des Horst-Wessel-Liedes war offenbar gar nicht zur Anzeige gebracht worden.

 
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Am Nachmittag. Die Gedenkstunde der Bürgerinitiative

Am Nachmittag desselben Tages fand die Gedenkstunde mit Kranzniederlegung der Initiative statt. 50 ältere Teilnehmer waren anwesend, unter ihnen der Ratsherr Fedor Roloff (FDP). Redner war Alfred Manke aus Bassum (Mitbegründer und Bundestagskandidat der NPD):

"Diesen Opfern fühlen wir uns verbunden, nehmen die mahnende Verpflichtung in uns auf und bewahren ihnen ein ehrenvolles Angedenken. Dies hat uns heute auch an dieses Gräberfeld geführt, durch das uns die schicksalsschwere Tragik und der harte Opfergang dieser Toten bewusst wird. Sie stehen für die millionenfachen Opfer unseres Volkes in dieser Umbruchszeit. … Die Gräber gebieten uns Lebenden aber, uns daran zu erinnern, dass in den Notzeiten des Krieges die Macht des Siegers niemals Recht setzen kann."

Dann folgte die Kranzniederlegung. Ein Solotrompeter blies: Ich hatt’ einen Kameraden.

 
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Die Veranstaltung, die ungestört verlief, ist durch Radio, Fernsehen und schreibende Presse gut dokumentiert. Es liegen mehrere Interviews mit dem Vorsitzenden der BI, Manfred Buchmeier, vor.

Aus zwei Interviews mit Buchmeier:

Ob es Versuche politischer Gruppen gebe, Einfluss auf die Initiative zu nehmen?

Buchmeier distanzierte sich entschieden von den politischen Parteien im Allgemeinen und von den Rechtsradikalen im Besonderen. Gegen eine Unterwanderung der Initiative durch rechtsradikale Gruppen wehre sich die BI erfolgreich.

"Das haben wir im Griff. Wir legen da auch keinen Wert drauf, in die rechte Ecke gedrängt zu werden."

Zur Zusammensetzung der BI:

Mitglieder seien Bürger aus Hameln und dem Landkreis

Ob er denn wisse, wen sie hier ehrten?

"Im Einzelnen nicht. Da gibt es ja wohl auch sehr wenig Material darüber."
Auf den KZ-Kommandanten Kramer angesprochen sagt er, dass er die Gründe, weswegen dieser hingerichtet worden sei, nicht kenne.

Im Bericht des Fernsehens wird dazu ein Holzkreuz mit der Inschrift Irma Grese und ihren Lebensdaten gezeigt.

Auf eine gezielte Frage nach seiner persönlichen politischen Vergangenheit musste er einräumen (NDR Extra 3 vom 7.3.1986 um 20.15):

"Wie ich die Bürgerinitiative gegründet habe, gehörte ich nicht mehr der NPD an."

Der Stadtverwaltung und auch den Lesern der HAZ (11.12.1985 HAZ Leserbrief des Landessekretärs der VVN-Niedersachsen, Dirk Addicks) war damals bereits bekannt, dass der Hauptredner Alfred Manke seit 1970 Vorsitzender des "Arbeitskreises volksdeutscher Verbände" und Mitbegründer der "Aktion W" wie Widerstand = "Brandt an die Wand" und 1972 NPD-Bundestagskandidat war.

Die VVN-Niedersachsen hatte in Briefen an die Stadtverwaltung darauf hingewiesen, dass die Initiative Verbindungen mit der NPD und dem rechten "Deutschen Kulturwerk europäischen Geistes" habe. Auch in der DEWEZET konnte man schließlich lesen, dass die Initiative nach Polizeiaussagen als NPD-unterwandert gelte und dass sie 1975 von Angehörigen der NPD gegründet worden sei und heute stark von der NPD Northeim unterstützt werde.

 
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Die anschließende Diskussion im Rat der Stadt Hameln und im Landtag


Über die sich anschließende Diskussion im Rat titelt die DEWEZET (21.11.1985):

"Rat verstrickte sich in zweistündige Debatte über Extremismus".

Laut Ratsprotokoll definierte Siebelt Eden die Probleme in folgender Weise:

"Die Grünen sind knallharte Kommunisten. Die Presse bauscht auf, wo es nicht nötig wäre."

Der gemeinsame Antrag der Grünen und der SPD auf Kritik an den Aktivitäten der FAP wird vom Rat schließlich angenommen.

Der Friedhofstumult beschäftigt auch den Landtag (DEWEZET 23.11.1985). Die Grünen hatten angefragt: Warum wurde Gedenkfeier nicht verhindert? Warum wurde der Hitlergruß nicht verhindert?

 
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Antrag der SPD vom 22.11.1985 an den Rat der Stadt und seine Ablehnung


Für die Ratssitzung am 11.12.1985 legte die SPD einen Antrag vor:

"Die allgemein als 'Hingerichtetengräber' bezeichnete Fläche des Friedhofes Am Wehl soll umgestaltet und zu einer würdevollen Gedenk- und Mahnstätte für alle Opfer des NS ausgebaut werden" (DEWEZET 27.11.1985).

Das war – recht verklausuliert – die Aufforderung, die Gräber einzuebnen und durch ein Mahnmal zu ersetzen. An wen die Gedenk- und Mahnstätte erinnern sollte, wurde nicht präzisiert. In ihrer Erläuterung kritisierte die SPD "Unbelehrbare, die nicht die erforderlichen Lehren aus unserer Geschichte ziehen können oder wollen" und beklagte "eine unheilvolle Geschichtsfälschung".

Die Grünen fragten:

"Wenn ... ein Mahnmal errichtet wird – für oder gegen wen? Gegen die Schergen der Hitlerdiktatur oder gegen die englische Siegerjustiz? Wären da nicht peinliche Verwechslungen möglich?"

Schon im Vorfeld hatte die DEWEZET (4.12.1985) auf den SPD-Antrag reagiert. In den Worten des Chefredakteurs:

"Müssen alle anderen Toten mitdiffamiert werden, wenn einige KZ-Schergen irgendwo liegen?"
"Sollen die zum Teil tragischen Opfer anders als andere Soldaten behandelt werden,
die ein ‚ewiges Ruherecht’ genießen?"

Entsprechend wiesen die Vertreter von CDU und FDP im Rat auf "zu Unrecht" Hingerichtete hin. Bruno Ibsch sagte: Es gebe keinen Grund das Gräberfeld zu räumen; die Pflege sei ordnungsgemäß, der Vertrag mit der BI müsste eingehalten werden.

 
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Dr. Hermann Kater (CDU) stützte sich auf Gespräche mit älteren Justizbeamten und zitierte den Pastor Greve, der den Verurteilten geistlichen Zuspruch gegeben hätte:

"Er hat ... mehrfach versichert, dass dort auch eine große Zahl aufrechter Menschen hingerichtet worden ist, die keine Verbrechen begangen haben. Sie waren in den Stunden vor ihrem Tode ihm gegenüber offen und ehrlich gewesen. Vielfach wären sie nur wegen geringfügiger Vergehen gegen das Besatzungsrecht angeklagt gewesen. Man hätte ihnen keinen fairen Prozess gemacht und auch keine ausreichende Hilfe durch Anwälte gewährt."

Eine derartige Berufung auf Zeugen vom Hörensagen galt in Hameln damals als seriöse Geschichtsforschung. Niemand sah die Notwendigkeit, zur Beantwortung der Frage, wer damals hingerichtet worden ist, Archivquellen heranzuziehen.

Mit der Mehrheit aus CDU und FDP wurde der Antrag der SPD auf Einebnung der Gräber abgelehnt. Der Fraktionsvorsitzende Hoffmann bezeichnete die Ratsentscheidung als eine Katastrophe.

Und das war sie auch. Die HAZ vom 13.12.1985 warf den Hamelner Ratsmitgliedern vor, "kein Fingerspitzengefühl" gehabt zu haben. Viele Kommunalpolitiker seien überfordert, wenn sie in einer so delikaten Angelegenheit die richtige Entscheidung treffen sollten. Auch die DEWEZET (17.12.1985) stellte die Frage:

"Ratsbeschluss ein Skandal?"

 
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Die Veröffentlichung der Liste der Hingerichteten

Bisher hatte sich die Stadt HM geweigert, die ihr vorliegende Liste mit den Namen der Hingerichteten zu veröffentlichen. Nun berichtet die DEWEZET (1.2.1986), dass die handgeschriebene Liste des Henkers errepoint aufgetaucht sei. Ein Hamelner Antiquar hatte sie aus dem Nachlass von Pierrepoint erworben.

Nun war die Verwaltung immerhin bereit, die Liste der Hingerichteten "geeigneten Personen" zugänglich zu machen und sie kam auf die beachtliche Idee, einen geeigneten Historiker mit Nachforschungen zu beauftragen (Verwaltungsausschuss vom 29.1.1986). Bis hierhin war die gesamte Diskussion ohne den geringsten schriftlichen Beweis und mit ständigen Verweisen auf mündliche Überlieferungen gelaufen.

 
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Die Ratssitzung vom 19.2.1986

Max Schröder von der SPD traf damals den Nagel auf den Kopf, wenn er sagte:

"Der Ruf der Stadt ist bald ruiniert. Hameln ist schon als Stadt verschrien, die mit ihrer braunen Vergangenheit nicht fertig wird."

Auch die DEWEZET (17.2.1986) berichtete, dass der Streit um die Nazi-Gräber weite Kreise ziehe und zahlreiche Briefe den OB erreichten.

Die Amicale Internationale de Neuengamme schrieb (3.3.1986):

Im KZ Neuengamme starben von 106.000 Häftlingen 55.000 "durch tödliche Benzin-Injektionen, Erschießungen, Erhängungen, Vergasungen, ... und nicht zuletzt ‚Vernichtung durch Arbeit’. ...
Allein der Gedanke, dass die Gräber dieser Mörder ... durch Mithilfe der Stadtverwaltung Hameln, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und einer ominösen ‚Initiative’ nicht eingeebnet, sondern noch mit einem Hingerichtetendenkmal geehrt werden sollen, ist für uns unerträglich.

Aber auch die Tatsache, dass bereits 12 Jahre über diese skandalöse Absicht beraten und verhandelt wird, ist Ausdruck eines besonderen Demokratie-Verständnisses der Mehrheit im Stadtparlament.

Es drängt sich der Gedanke auf, dass es Kräfte in Hameln gibt, die gerne die mörderischen SS-Verbände der Konzentrationslager rehabilitieren möchten.

Völlig unverständlich ist für uns das Verhalten der CDU- und FDP-Fraktion im Stadtparlament, die die Anträge auf Einebnung der Gräber ablehnten und diese damit 12 Jahre verhinderten."

 
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Es gibt noch einen zweiten Brief ehemaliger polnischer Neuengamme-Häftlinge an den OB. Beide wurden in Hameln damals nicht veröffentlicht. Ich habe sie im Archiv der Gedenkstätte Neuengamme gefunden.

Ursprünglich hatte die Tagesordnung des Rates vom 19. Februar 1986 gar keinen Beschluss über die Gräber vorgesehen. Die Verwaltung wollte lediglich die Anfrage der beiden Grünen beantworten.

"Was gedenkt die Stadt … dagegen zu tun, dass diese Stätte Wallfahrtsort alter und neuer Nationalsozialisten wird?"

Nun wurde ganz überraschend ein gemeinsamer Antrag von SPD und CDU vorgelegt, der lautete:

"Hinsichtlich der Hingerichtetengräber ... ist nach der Friedhofssatzung zu verfahren."

Da die Liegezeit längst abgelaufen war, bedeutete das die Einebnung. Dieser Antrag wurde bei einer Gegenstimme und 2 Enthaltungen angenommen. 4 Ratsherren hatten sich allerdings an der Abstimmung nicht beteiligt.

Was hatte die Mehrheit auf Seiten von CDU und FDP dazu gebracht, dem Antrag zuzustimmen? Rolf Wilhelms, der städtische Pressesprecher, räumte gegenüber der HAZ (21.2.1986) ein:

"Zum Beschluss mag beigetragen haben, dass ein Fernsehteam im Saal war."

Der öffentliche Druck, die Angst um das Ansehen der Stadt nach außen, waren zu groß geworden.

Günther Raß von der CDU formulierte damals nachdenklich und kritisch gegenüber seiner eigenen Partei:

"Wir werden mit braunen Resten fertig werden müssen. ... Wir können eine derartige Gesinnung nicht einfach wie mit einem Radiergummi wegradieren. Wir müssen an dem Problem arbeiten" (DEWEZET 21.2.1986).

 
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Die Kündigung an Buchmeier und die Einebnung


Die Verwaltung hatte nach dem Ratsbeschluss angekündigt, mit der BI über die Einebnung sprechen zu wollen.
Diese hatte auf den Ratsbeschluss hin einen Rechtsanwalt bestellt, um eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Buchmeier wolle - so hieß es - bis zur letzten Instanz um das Pflegerecht kämpfen.

Erst sieben Jahre später, am 25.3.1993, wurde die Klage der Initiative vom Verwaltungsgericht Hannover abgewiesen.

Zehn Tage nach dem Ratsbeschluss sieht sich ein Redakteur der DEWEZET (1.3.1986) zu der Frage gedrängt:

Wie will jetzt die Verwaltung die Ratsentscheidung in die Tat umsetzen? Angesichts der Ankündigung der BI, den Rechtsweg ausschöpfen zu wollen, "schien sich der Einebnungseifer (erg.: der Stadt) ... bereits wieder etwas gelegt zu haben."

Und er argwöhnt, " ... dass man vielleicht doch nicht so ganz vollen Herzens hinter dem Einebnungsbeschluss steht ...", der so offensichtlich "unter dem Druck" der Anwesenheit des Kamerateams von "Extra drei" zustande gekommen sei.

Dann bewegte sich die Verwaltung plötzlich doch. Die FAP, welche die Einebnung als einen "Akt bundesdeutscher Barbarei" bezeichnete

("Wir werden es niemals hinnehmen, dass der Verrat an Deutschland und unseren toten Helden derartige Ausmaße annimmt, dagegen werden wir immer wieder aufstehen. ... Wir vergessen nicht!" Undatiertes Flugblatt der FAP)

kündigte ein Bundestreffen in Hameln für den kommenden Sonnabend an.

 
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Sogleich am 3.3.1986 schickte die Stadt HM an Manfred Buchmeier die "Kündigung",

"... um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhindern."

Es fehlte nicht der Hinweis auf die Auseinandersetzungen am Volkstrauertag des letzten Jahres und die für den 8.3.1986 angekündigte Demonstration. Der Brief ist außerordentlich vorsichtig formuliert ("Ich bitte um Verständnis für diesen Schritt.") und erstaunlicherweise fehlte jeder Hinweis auf die mangelnde Abgrenzung der BI nach Rechts.

Nun ließ auch der letzte Schritt nicht lange auf sich warten. Im Morgengrauen des 5. März zog die Stadtgärtnerei aus und räumte die Gräber ab. Um 7.10 Uhr rückten 20 Mitarbeiter des Garten- und Friedhofsamtes an, entfernten aus dem gefrorenen Boden 200 Eisenkreuze und etliche Grabplatten und sammelten sie zu Händen von Herrn Buchmeier auf Transporter (DEWEZET 6.3.1986).

 
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Die Demonstration der FAP am 8.3.1986


Die bundesweite Demonstration der FAP am 8. März war erneut nicht angemeldet worden. Die Grünen kündigten zusammen mit der VVN, der Antifa und anderen Organisationen eine Gegendemo an. Die Stadt hatte den Friedhof Wehl geschlossen. Über 100 Journalisten aus ganz Europa waren gekommen. 1200 Polizisten waren vor Ort.

Während Konvois der FAP in Afferde bei Hinzmann eintrafen (die Polizei durchsuchte Pkws und stellte massenhaft Sprühdosen, Äxte, Gaspistolen etc. sicher), war die Innenstadt durch Kundgebungen von Gegendemonstranten geprägt. Die Polizei hielt beide Gruppen auseinander.
Die "Sumpfblume", damals noch am Güterbahnhof, wurde für mehrere Stunden umstellt, weil von dort aus angeblich Steine auf Fahrzeuge geworfen worden seien. Ein Teil der Gegendemonstranten wurde auf diese Weise stundenlang festgehalten.

 
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Die Gegendemonstranten (insgesamt etwa 700) zogen vom Hochzeitshaus zum Bahnhof (dort sprach mit Emil Carlebach ein Mann, der in der NS-Zeit als Kommunist über ein Jahr in Hameln im Gefängnis verbringen musste) und vom Bahnhof wieder zum Hochzeitshaus (dort sprach u. a. Jürgen Trittin).

In der aktuellen Stunde des Landtages am 19.3.1986 schilderte Jürgen Trittin den Umgang mit den Gegendemonstranten:

"Die Demonstration wurde in einem Polizeispalier mit Behelmten und Hundestaffeln an jeder Seite wie eine Gruppe Gefangener durch die Hamelner Innenstadt geführt. Über ihnen kreiste permanent und lautstark ein Hubschrauber. Vor allen Banken und Sparkassen waren Polizeiketten mit Schilden und langen Holzknüppeln postiert. In den Nebenstraßen lauerten Mannschaftswagen. 1200 Polizisten, darunter 100 zivile, haben Hameln in den Ausnahmezustand versetzt."

Etwa 50 Gegendemonstranten "wurden festgenommen und auf den Revieren erkennungsdienstlich behandelt."

 
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Gegen 14.45 Uhr brachen die FAP-Leute zum Wehl auf, wurden allerdings in die Nordstadt abgedrängt. Dort marschierten etwa 100 Mann ab 15.30 Uhr in geschlossenen Reihen, grölten Kampfliedern, schrien Parolen ("Rotfront verrecke", "Deutschland erwache", "Ausländer raus") und zeigten den Hitlergruß. Zwei Hundertschaften der Polizei folgten der Gruppe, griffen jedoch nicht ein.

Im Bericht von Hallo Niedersachsen vom 10. März, den wir eingangs gehört haben, wurde mit Recht gesagt:

"Die Polizei war wie gelähmt. Geltendes Recht wurde gebrochen. Der Nazi-Gruß wurde nicht geahndet. Die Polizei schaute zu. Die Demo wurde von FAP als Sieg gefeiert."

Noch recht wohlwollend kommentierte die SPD (DEWEZET 16.3.1986):

"Die Betroffenheit über das späte Eingreifen der Polizei ist groß."

Die Grünen stellten lapidar fest:

"Die Polizei räumte den FAP die Straße frei."

In einer "Aktuellen Stunde" im Landtag rechtfertigte Innenminister Möcklinghoff (CDU) die Zurückhaltung seiner Beamten unter anderem damit, dass die Polizei auf Grund der "diffusen Rechtsprechung" hoher deutscher Gerichte unsicher sei, wann sie gegen Rechtsradikale vorgehen könne und wann nicht" (HAZ 19.3.1986).

Jürgen Trittin kommentierte mit Recht:

"Statt der Warnung vor dem neuen Nazismus wurde den Bürgern Hamelns mit Hilfe dieses Polizeivorgehens weisgemacht, die eigentliche Gefahr ginge von den Antifaschisten aus."

Der Bericht der DEWEZET vom 10.3. verharmloste die schlimmen Vorgänge, wenn sie titelte:

"Ausschreitungen blieben aus".

Oskar Hinzmann bedankte sich in einem Leserbrief (14.3.1986) bei der DEWEZET für ihre "objektive Berichterstattung".

Als humoristischen Beitrag kann man die Antwort der Verwaltung auf eine Anfrage von Jürgen C. Kruse in der Ratssitzung vom 16.4.1986 sehen:

Beim Weg durch die Nordstadt "wurden die FAP-Anhänger von der Polizei vor sich hergetrieben, und zwar in einem Tempo, das der örtliche Anführer nicht mehr mithalten konnte (der war, mit Verlaub, wieder total betrunken). ... Oberbürgermeister und Verwaltung haben der Polizei für ihren Einsatz Dank und Anerkennung ausgesprochen."

 
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