Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der Nachkriegszeit

Der Umgang mit den Gräbern der Hingerichteten in Hameln

 

  Die Jahre 1949 bis 1975
  Die Jahre 1975 bis 1985
  Die Jahre 1985 bis 1986
  Die Jahre 1985 bis heute

 

Die Jahre 1975 bis 1985

 

Die Diskussion um die Einebnung im Jahre 1975
und die Entscheidung, die Gräber der Hingerichteten
in der Pflege der BI zu übergeben

 

1971 erbat die Stadt HM vom RP eine Stellungnahme zur Dauer der Liegezeit. Der Innenminister antwortete am 30.3.1972:

Die Gräber fallen nicht unter das Kriegsgräbergesetz vom 1.7.1965. Die Ruhefrist sollte nach der gültigen Friedhofssatzung enden.

Das bedeutete die Einebnung.

1974 (4.10.1974) wurde in einem Gespräch zwischen Vertretern der Stadt und dem Vorsitzenden des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge die Einebnung von CI und CIII beschlossen. Gleichzeitig sollte ein Gedenkstein für beide Felder errichtet werden.

Wer die Idee für den Gedenkstein hatte, ist heute nicht mehr zu erkennen, vermutlich war es der Volksbund, der auch einen Zuschuss geben wollte. Der Gedenkstein sollte, so der Volksbund, an "die Opfer der britischen Militärregierung bzw. der Gewaltherrschaft" erinnern (4.6.1975 Volksbund an Garten- und Friedhofsamt), eine abenteuerliche Pauschalisierung und groteske Gleichsetzung von Opfern und Tätern!

 
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Im Sinne der getroffenen Absprache erschien am 14.1.1975 in der DEWEZET der "Amtliche Aufruf zur Einebnung der Reihengräber CI und CIII". Er sah eine Frist von 6 Monaten zwischen Aufruf und Einebnung vor. In Hameln blieb dieser Aufruf ohne öffentliche Reaktion.

Obwohl die Frist längst abgelaufen war, existierten die Gräber im Oktober 1975 immer noch. In diesem Monat titelte die rechte "Deutsche Wochenzeitung" vom 10.10.1975 im Stile eines Enthüllungsjournalismus:

"Das grauenhafte Geheimnis von Hameln
Totgeschwiegene Gräber, totgeschwiegene englische Massenhinrichtungen, weder Urteile noch Totenscheine.
1945 regierte in Hameln der britische Henker Pierrepoint. Im Gefängnishof der Anstalt starben die von den britischen Militärgerichten am laufenden Band zum Tode Verurteilten durch seine Hand; es waren rund 200 Deutsche, Männer und Frauen. Da waren zuerst elf Angehörige der KZ-Bewachungsmannschaft von Bergen-Belsen. ... Zu ihnen kamen viele Männer und Frauen, deren einzige Schuld es war, Befehlen gehorcht und in schwerer Zeit ihre Pflicht erfüllt zu haben. ...

Über das erschütternde Schicksal dieser Gräber "Am Wehl" senkte sich durch all die Jahre eine Verschwörung des Schweigens, die wir damit brechen. ...

Sollen nun diese Gräber, die die einseitige Kriegsverbrecherjustiz anklagen, eingeebnet werden? Will man sich so aus der furchtbaren Tragödie herausstehlen?"

Wenige Tage später griff die DEWEZET das Thema auf (3.11.1975).

Der Chefredakteur wandte sich gegen die Einebnung und forderte zumindest eine Diskussion im Rat.

"Einige Hamelner Bürger sind schockiert darüber, dass ein solches Vorhaben ohne Beratung im Rat abgeschlossen werden soll."
Hier liegen "viele zum Teil willkürlich verurteilte Menschen"; der Friedhof "stellt ein Stück Nachkriegsgeschichte dar" …

Als historischen Fachmann führt die DEWEZET dann Dr. Bulczak ein:

"Auch der Leiter der Justizvollzugsanstalt, Dr. Gerhard Bulczak, hat sich um die weitgehende Aufklärung jener fast vergessenen Jahre bemüht:
‚Damals wurden viele Deutsche im ganzen Land aufgrund der strengen Besatzungsvorschriften ... verhaftet und von alliierten Stellen zum Tode verurteilt.’
Das hätten ihm ältere Beamte der Anstalt berichtet. Die Verurteilten ... waren vorwiegend Soldaten und Offiziere, die gegen irgendwelche Besatzungsverordnungen verstoßen haben sollen und nach der Beurteilung der Sieger sich schwerer Verfehlungen schuldig gemacht hatten. ‚Wie das aussah, mag ein Beispiel zeigen: Ein Todesurteil wurde vollstreckt, weil dem Deutschen der Besitz von fünf Schuss Karabinermunition nachgewiesen worden war.’"

An diese Qualität der historischen Beweisführung werden wir uns nun gewöhnen müssen.

 
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Wenige Tage nach dem DEWEZET-Bericht trat plötzlich eine Initiative auf den Plan. Zusammen mit dem Ratsmitglied Werner Bruns und unter Vermittlung des Vorsitzenden des Volksbundes in Niedersachsen stellte diese an die Stadt den Antrag, ihr die Pflege der Gräber zu genehmigen (11.11.1975). Vorsitzender war ein Manfred Buchmeier aus Halle bei Bodenwerder.

Über die Motive der Initiative heißt es in der DEWEZET 12.12.1975:

"Wie von der BI mitgeteilt wird, sei ihr bekannt, dass von den über 200 Hingerichteten, die in Hameln beigesetzt wurden, auch eine kleine Zahl, etwa elf, krimineller oder auch Unmenschlichkeits-Verbrechen wegen verurteilt worden waren. Dieses Umstandes wegen aber dürften die überwiegend als Opfer des Besatzungsrechts hingerichteten Deutschen nicht einfach als ‚verurteilte Verbrecher’ vergessen werden."

Die Legende von den Opfern des Besatzerunrechts wurde also weiter erzählt.

Den Antrag der Initiative behandelte der Verwaltungsausschuss am 3.12.1975. Am 11. März 1976 wurde dann mit Buchmeier eine schriftliche Vereinbarung getroffen:

"Das Grabfeld C III wird absprachegemäß durch ihre Initiativgruppe gestaltet und unterhalten. Die übergebene Grabpflege ist zeitlich nicht begrenzt."
(26.3.1976 Brief von OSD Guder an Buchmeier; vgl. DEWEZET 12.12.1975).

Die groteske Konsequenz war, dass das Gräberfeld CI mit den Toten des Zuchthauses eingeebnet wurde, "da die BI hier nicht tätig" wurde (Bericht des Amtsleiters des Garten- und Friedhofsamtes im Bauausschuss vom 10.6.1976).

Während das Feld der Opfer beseitigt wurde, wurde das Feld der Täter weiter gepflegt.

Die Initiative stellte in der Folgezeit zuerst Holz-, später Eisenkreuze auf und gestaltete das Feld C III einheitlich.

 
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1978 ging die Initiative in die Offensive und forderte bei der Stadt die 1974 angeblich getroffene Zusage eines Mahnmals ein (mit Berufung auf die Absprache vom 4.10.1974; 8.11.1978 DEWEZET-Bericht). Umgehend wurde diesem Wunsche Rechnung getragen. In der Sitzung des Garten- und Friedhofausschusses vom 2. März 1979 stellten Verwaltung, Volksbund und Initiative das Modell eines Gedenksteines vor.

Den ursprünglichen Beschriftungsvorschlag: "Den Toten zum Gedenken", der noch der Toten beider Felder gedacht hätte, hatte man konsequenter Weise fallen gelassen. Nun lautete die Inschrift

"Schuld und Sühne – Not und Tod – Opfer und Vergeltung".

"Opfer und Vergeltung"! – die letzte Zeile klagt das Unrecht der Besatzungsmacht an und trägt der Ideologie der Initiative Rechnung.

Kritik kam im Garten- und Friedhofausschuss allein von einem Vertreter der SPD:

"Kriegsverbrechern ein Mahnmal zu erstellen, sei sehr bedenklich."

 
In den Folgemonaten plädierte die DEWEZET mehrmals für die Aufstellung des Gedenksteines.

10.5.1979:

"Sie sind alle Opfer einer wirren Zeit. Die Gräberstätte stellt ein Stück Schicksal der Deutschen dar. Soll das nun ein Hinderungsgrund sein, ohne falsches Pathos einfließen zu lassen, dieses zwar düstere, aber doch besondere Stück Schicksalsgeschichte Hamelns durch ein Erinnerungskennzeichen kenntlich zu machen? Vielleicht eine Mahnung gegen Terror und Gewalt und gegen Ungerechtigkeit."

16.8.1979:

"Welcher Grad an Schuld ist diesen Hingerichteten in den Schnellverfahren wirklich bewiesen worden?"

20.10.1979 Ratsherr Fedor Roloff in der DEWEZET:

Hier wurden "Todesurteile ohne rechtmäßige Verurteilung" vollstreckt.

Das Thema wurde schließlich im Verwaltungsausschuss erörtert. Am 31.10.1979 entschied dieser mit knapper Mehrheit (5 ja, 4 nein) gegen ein Denkmal. Die Initiative erhielt aber noch einmal die Zusicherung des Pflegerechts, solange, wie sie eine ordnungsgemäße Pflege gewährleistete (29.11.1979 Stadt Hameln an Buchmeier).

 
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