Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit

und in der Nachkriegszeit

 

Das Zuchthaus Hameln in der Nachkriegszeit

Der Umgang mit den Gräbern

 

Bernhard Gelderblom
Das Gräberfeld der Opfer des Zuchthauses Hameln
auf dem Friedhof Am Wehl:
Auf dem Weg zu einem Ort des Erinnerns und Lernens

 


 

Die Insassen des Zuchthauses Hameln – ein Überblick

 


In den Jahren 1933 bis 1945 saßen imZuchthaus Hameln mehrheitlich aus politischen und rassischen Gründenverurteilte Männer ein.

Mit Kriegsbeginn traten die sog. „Kriegstäter“ hinzu. Es handelte sich nicht selten um unbescholtene Menschen oder Kleinkriminelle, die vom NS-Regime zu Schwerverbrechern erklärt wurden.

Seit 1942 waren zahlreiche Widerstandskämpfer und „Nacht- und Nebel“-Häftlinge aus Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden im Zuchthaus Hameln inhaftiert und machten bis zu 25 Prozent der Insassen aus.

 
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Die Toten des Zuchthauses

 

Im Zeitraum vom 1. September 1939 bis 31. August 1945 starben im Zuchthaus Hameln 313 Männer. Im Zeitraum Ende 1944 bis April 1945 erreichten die Zahlen eine dramatische Höhe. Ursachen waren die unsäglichen Zustände im Zuchthaus, die durch Überbelegung und Vernachlässigung bedingt sind. Monatelanger Hunger, fehlende Heizung und die katastrophale medizinische Versorgung forderten viele Menschenleben.

Die Zahl der Toten liegt noch deutlich höher, nimmt man die 33 Toten des Zuchthausaußenlagers Holzen sowie der vier Todesmärsche hinzu, die von Hameln ausgingen. Sie forderten ungezählte Tote.

 
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Die Anlage von Feld C I und die Umstände der Bestattungen

 

Bis 1944 wurden die deutschen Toten nach Möglichkeit in ihre Heimatorte überführt. Auf einem Kriegsgräberfeld aus dem ErstenWeltkrieg, dem sog. „Russenfriedhof“, beerdigte man die ausländischenToten. Wegen des starken Anstiegs der Totenzahlen legte die Friedhofsverwaltung im Dezember 1944 ganz am Rande des Friedhofs das neue Gräberfeld C I an, auf dem nun alle Zuchthaustoten zu bestatten waren.

Beerdigt wurde offenbar ohne Angehörige. Die weitaus überwiegende Zahl der Toten bestattete man ohne Sarg. Insgesamt 96 Leichname, gut die Hälfte der Toten, legte man zu zweit übereinander in eine Grube. Die Umstände der Bestattungen waren also würdelos. DieKörper wurden eher verscharrt, denn bestattet.

 
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Die Gräberverzeichnisse für das Feld C I

 

Aus den im Stadtarchiv Hameln liegenden Gräberverzeichnissen lassen sich 180 Bestattungen mit Namen, Beruf, Nationalität sowie Geburts- und Sterbedaten ermitteln.

 
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Der Pflegezustand

 

Nach dem Kriege bepflanzte das Friedhofsamt die Grabhügel einheitlich mit Efeu und versah sie mit durchnummerierten kleinenTafeln.

Die Angehörigen mussten für die Grabpflegebezahlen. Das Gräberfeld war nach Auskunft von Zeitzeugen über die gesamte Zeit außerordentlich ungepflegt.

Auf Antrag von Angehörigen waren einige wenige bescheidene Grabplatten bzw. Kissensteine von Angehörigen gesetzt worden.

Wie die Friedhofsverwaltung das Gräberfeld einordnete, zeigt die Tatsache, dass sie auf dem benachbarten Feld CIII seit 1947 die von der britischen Besatzungsmacht im ZuchthausHameln hingerichteten Kriegsverbrecher bestattete. Dabei handelte es sich um 200 Männer und Frauen, die britische Militärgerichte wegen Kriegsverbrechen an Mitgliedern der Alliierten zum Tode verurteilthatte. Damit legte man Täter und Opfer nebeneinander.

 
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Die weitere Geschichte des Gräberfeldes

 

Westeuropäische Ausländer wurden nach dem Kriege in derRegel, aber nicht ausnahmslos, in ihre Heimat oder auf zentrale deutsche Friedhöfe mit besonderen Abteilungen für Ausländer(„Ehrenfriedhöfe“) umgebettet.

14 Niederländer waren auf C I bestattet worden. Zu 13 von ihnen liegen Nachrichten zu einer Umbettung vor, acht nach Hannover-Seelhorst, vier in die Heimat, einer innerhalb des Wehl nachFeld F II.

Insgesamt 11 Ausländer blieben auf C I liegen. Für zwei Westeuropäer, den Franzosen Jouvenet und den Niederländer Peters, liegt keine Umbettungsnachricht vor, so dass davon auszugehen ist, dass sie noch auf C I liegen. Die Leichname von neun Ausländern aus Dänemark (2), Österreich (4), der Tschechoslowakei (2)sowie der Sowjetunion (1 aus Aserbeidschan) sind nicht umgebettet worden.

1972 legte die Zuchthausverwaltung auf eine entsprechende Aufforderung des Regierungspräsidenten „anerkannte Gräber im Sinne des Kriegsgräbergesetzes“ von ausländischen Kriegsopfern (Zwangsarbeiter und Zuchthausinsassen) auf dem neu angelegten Feld F II zusammen. Sie hatten bisher verstreut auf demFriedhof Wehl gelegen, mehrere auch auf Feld C I.

Am 2. März 1972 wurden neun ausländische Zuchthausopfer von Feld C I nach Feld F II umgebettet, vier Belgier, drei Franzosen, je ein Niederländer und Pole.

Auf den Gedanken, das gesamte Feld C I unter den Schutzdes Gräbergesetzes zu stellen, ist die Stadt Hameln damals nicht gekommen.

 
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Die Beseitigung des Gräberfeldes C I im Jahre 1976

 

Die Beseitigung des Gräberfeldes C I ist imKontext mit der gleichzeitigen Erhaltung des benachbarten Gräberfeldes C III zu sehen. Auf C III waren in den Jahren 1945 bis 1949 insgesamt 200 Männer und Frauen bestattet worden, welche die britische Besatzungsmacht hingerichtet hatte.

1971 erbat die Stadt Hameln vom Regierungspräsidenten eine Stellungnahme zur Dauer der Liegezeit der Gräber auf Feld C III. Laut Antwort des Innenministers vom 30. März 1972 fallen die „Gräber von Personen, die durch die britische Militärregierung zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden“, nicht unter Paragraph 1 des Gräbergesetzes vom 1. Juli 1965. Die Ruhefristsollte nach 25 Jahren enden. Das bedeutete die Einebnung des Gräberfelds C III.

In der Folge dehnte die Stadtverwaltung die Genehmigung, die Gräber der Hingerichteten abzuräumen, stillschweigend auf Feld C I aus. So wurde am 4. Oktober 1974 in einem Gespräch zwischen Vertretern der Stadt und dem Vorsitzenden des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Einebnung von C III und C I beschlossen.

Anstelle der Gräber sollte ein gemeinsamer Gedenkstein für beide Felder errichtet werden. Vermutlich stammte der Vorschlag vom Volksbund, der auch einen Zuschuss geben wollte. Der Gedenkstein sollte an „die Opfer der britischen Militärregierung bzw.der Gewaltherrschaft“ erinnern, eine abstruse Pauschalisierung und groteske Gleichsetzung der auf C I bestatteten Opfer und der auf C III liegenden Täter.

Obwohl die Frist für die Einebnung längst abgelaufen war, existierten die Gräber im Oktober 1975 noch immer. In diesem Monat titelte die rechtsradikale „Deutsche Wochenzeitung“ vom 10. Oktober 1975 im Stile eines Enthüllungsjournalismus:
„Das grauenhafte Geheimnis von Hameln
Totgeschwiegene Gräber, totgeschwiegene englische Massenhinrichtungen, weder Urteile noch Totenscheine.“

Gegen die Einebnung wandte sich wenige Tagespäter (3.11.1975) auch die Hamelner Deister- und Weserzeitung. Hier liegen „viele zum Teil willkürlich verurteilte Menschen“.

Bald trat eine Bürger-„Initiative“ mit einem gewissen Manfred Buchmeier aus Halle bei Bodenwerder als Vorsitzendem auf den Plan. Zusammen mit dem Hamelner FDP-Ratsmitglied Werner Bruns und unter Vermittlung des Vorsitzenden des niedersächsischen Landesverbandes des Volksbundes stellte diese an die Stadt den Antrag, ihr die Pflege der Gräber von C III zu genehmigen.

Am 11. März 1976 kam es zu einer schriftlichen Vereinbarung mit der Stadt. Die groteske Konsequenz war, dass das Gräberfeld C I mit den Toten des Zuchthauses wie vorgesehen eingeebnet wurde. Während das Feld der Opfer beseitigt wurde, wurde das Feld der Täter weiter gepflegt. Die „Initiative“ stellte zuerst Holz-, später Eisenkreuze auf und gestaltete das Feld C III einheitlich.

Später wurde öffentlich, dass die BI engeVerbindungen zur NPD und zu Neo-Nazis hatte. Als es 1985 und 1986 zu Demonstrationen und Gegendemonstrationen an den Gräbern kam und Hameln in der überregionalen Presse negative Schlagzeilen machte, ließ die Stadt das Gräberfeld C III am Morgen des 5. März 1986 einebnen.

 
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Die Kennzeichnung und Wiederherstellung des Gräberfeldes in den Jahren 2005 und 2006

 

Knapp 30 Jahre nach der Einebnung, im Jahr 2005, erforschten Schüler eines Leistungskurses Geschichte desAlbert-Einstein-Gymnasiums die Geschichte des Gräberfeldes C I und machten es durch eine Tafel kenntlich.

2006 richteten überwiegend ausländische Jugendliche im Rahmen eines internationalen Jugendlagers des Volksbundes die verwilderte Fläche wieder her.

Die Herrichtung des Feldes als Rasenflächewar ein erster und ganz entscheidender Schritt. Eine würdige, den hier ruhenden NS-Opfern angemessene Gestaltung steht aber noch aus. Im selben Jahr 2006 war endlich auch die Stadt Hameln bereit, im Bereich des ehemaligen Zuchthauses an der Weserpromenade eine Tafel zu installieren, die an das Leiden der Zuchthausopfer erinnert.

 
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Die Weiterarbeit im Jahre 2014

 

Im Rahmen des von Bernhard Gelderblom und Mario Keller-Holte realisierten Projekts „Bürger aus denBenelux-Staaten als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945“ fanden mit Beginn des Schuljahres 2012/2013 am Albert-Einstein-Gymnasium Hameln zwei Schulprojekte zur Erinnerungskultur statt. Das Seminarfach Geschichte befasste sich mit den Zuständen im NS-Zuchthaus Hameln und erarbeitete Häftlingsbiographien.

Schülerinnen und Schüler des SeminarfachesKunst stellten sich der Aufgabe, das Gräberfeld der Zuchthaustoten künstlerisch zu gestalten, um es zu einem würdigen Gedenkort für diese Opfer des Nationalsozialismus zu machen. Die Schülerinnen und Schüler hat das Projekt auch deswegen fasziniert, weil es eine Chance auf Realisierung bot. Drei der insgesamt 17 Modelle seien vorgestellt.

 

Am 13. Februar 2014 wurden die Entwürfe in der Ausstellung „… unbeweint begraben“ im Albert-Einstein-Gymnasium der Öffentlichkeit vorgestellt.

Zeitgleich erschien eine Dokumentation vonBernhard Gelderblom. Sie stellt die Materialien zusammen, die zurAnerkennung des Gräberfeldes als Begräbnisstätte im Sinne des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) nötig sind. Berücksichtigt man die Umbettungen der Jahre 1946-1972 liegen heute auf dem Gräberfeld C I des Friedhofs Am Wehl 140 Zuchthausopfer, darunter 11 Ausländer.

Auf dieser Grundlage hat die Stadt Hameln inzwischen den entsprechenden Antrag an das niedersächsische Innenministerium gestellt. Sobald die Anerkennung vollzogen ist, kann das Land Niedersachsen Bundesmittel zur Verfügung stellen, die eine angemessene Gestaltung des Ortes ermöglichen.

 

Die Stadt Hameln hat die Zusage gegeben, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Die Realisierung ist für das Jahr 2015 geplant.

 
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