Historische Orte in Hameln

 

Der historische Hintergrund

Die Gräber der Opfer aus dem Zuchthaus Hameln

 

Erarbeitet von Anke Sielaff, Maike Dieckmann,
Carmen Schneider und Eva Sander

 

Inhaltsverzeichnis

Die Baulichkeiten des Zuchthauses Hameln
Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit – ein Überblick
Die Arbeit der Häftlinge
Die Zusammensetzung der "Häftlingsgesellschaft"
Politische Häftlinge im Gefängnis Hameln (bis 31. Oktober 1935)
Politische Häftlinge im Zuchthaus Hameln
Die Verfolgung der Homosexuellen
Die Ausgrenzung der Juden
Nach dem Sonderstrafrecht im Kriege Verurteilte
Justiz im Dienste der Besatzung: Ausländische Häftlinge
Ein Einzelschicksal – Paul Jost
Die letzten Kriegsmonate im Zuchthaus
Die Bestattung der Toten des Zuchthauses
Das Zuchthaus nach 1945

 

Die Baulichkeiten des Zuchthauses Hameln

Die Strafanstalt Hameln, der Stockhof, wie er genannt wird, war 1827 gebaut worden. In dem Hauptgebäude gab es vier große Räume für die Gefangenen, welche auf zwei Etagen verteilt waren. In einem der Räume konnten jeweils 24 bis 30 Gefangene untergebracht werden. Es gab noch eine dritte Etage in der sich die Arbeitsräume befanden. Im Jahre 1830 wurden zwei kleine zweigeschossige Gebäude errichtet. Sie flankierten das Hauptgebäude. In ihnen befanden sich die Küche, die Verwaltung, die Wäscherei und das Hospital. Der Gefängnispfarrer bewohnte das Obergeschoss des Torgebäudes, welches 1834 gebaut wurde.

Durch den Neubau der Hamelner Strafanstalt wurde ein neuer Strafvollzug ermöglicht (Besserung durch Arbeit). Das Hamelner Gefängnis war in Sachen Gefängnisbau führend und sorgte für Aufsehen.

Das Hauptgebäude wurde 1845 durch einen Ost- und einen Westflügel erweitert, in denen kleine Einzelzellen sich befanden. Damit erweiterte sich die Kapazität des Gefängnisses auf maximal 300 Häftlinge. Zur selben Zeit wurde auch die Anstaltskirche errichtet.

Im Jahre 1860 wurde der Stockhof um ein langes Zellengebäude erweitert und somit die Kapazität des Gefängnisses wieder erhöht. Nun konnten im Hamelner Gefängnis maximal 500 Häftlinge untergebracht werden. Im Süden des Gefängnisgeländes befanden sich das Freigelände, eine Gärtnerei mit Treibhäusern, einige Baracken zur handwerklichen Arbeit und eine Schmiede. Die Gefangenen arbeiteten in den Gefängniswerkstätten. Allerdings wurden sie auch in näheren Fabriken als Arbeitskräfte eingesetzt.

 
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Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit – ein Überblick

Unmittelbar mit Beginn des Dritten Reiches gab es mehrere Wellen von Verhaftungen. Die SA verschleppte oder ermordete die verhafteten politischen Gegner. Zu diesen zählten Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftler. Ebenso beteiligte sich die Justiz an der Bekämpfung der politischen Gegner. Sie stellte Gefängnisse zur Verfügung, um die politischen Gegner unterbringen zu können. Dies geschah auch im Hamelner Gefängnis.

Weil in der NS-Zeit allgemein längere Strafen ausgesprochen wurden, wurde das Hamelner Gefängnis am 1.November 1935 in ein Zuchthaus umgewandelt. Die Außenmauern wurden erhöht sowie die Gitter verstärkt. Es kam zum Austausch der Häftlinge; Häftlinge aus anderen preußischen Anstalten zogen ein. Im September 1936 saßen ca. 400 politische Gefangene im Hamelner Zuchthaus; das waren ungefähr 80 Prozent der Insassen. Viele von ihnen gehörten der "Sozialistischen Front" an und waren zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. KPD-Mitglieder, die anfangs die Mehrheit der Insassen ausgemacht hatten, waren jetzt in der Minderheit.

Ebenso waren Homosexuelle und Juden im Zuchthaus vertreten; sie bildeten jedoch eine Minderheit. Juden, Homosexuelle und politische Gefangene mussten ein besonders schweres Schicksal erleiden, denn gleich, nachdem sie ihre Haft abgesessen hatten, wurden sie der Gestapo gemeldet und durch die Polizei einem Konzentrationslager übergeben.

Nach Kriegsbeginn 1939 änderte sich mit den sogenannten "Kriegstätern" die Zusammensetzung der Häftlinge erneut. Es kamen Männer, die Straftaten begangen hatten, die erst seit Beginn des Krieges unter Strafe standen. Sie hatten z. B. ausländische Sender ("Feindsender") gehört, "schwarz" geschlachtet, eine Beziehung mit einer Fremdarbeiterin geknüpft.

Im Jahre 1942 begann der Anteil ausländischer Häftlinge aus Westeuropa zu wachsen und erreichte ca. 20 Prozent der Insassen.

 
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Die Arbeit der Häftlinge

Das Ziel der Gefangenenarbeit sollte eine vollkommene Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sein. Die Gefangenen, die in strenger Einzelhaft waren, mussten in ihren Zellen Tüten kleben für die Papierverarbeitungswerke Ernst C. Behrens, Alfeld. Für die übrigen Häftlinge gab es zahlreiche Werkstätten, eine zum "Bindfadenentknoten", eine weitere zum Tüten Kleben (für die Papierverarbeitungswerke Friedrich Serong, Höxter) und eine andere, in der für die Hamelner Firma Marquard und Pigge Pantoffeln gemacht wurden. Das Zuchthaus besaß eine Schneiderei und eine Werkstatt, in der die Häftlinge Peitschenschnüre herstellen mussten.

Mit den Jahren wurden immer häufiger Kommandos von 15-20 Häftlingen zu Erntearbeiten geschickt sowie zu Steinbrüchen und Gleisbauarbeiten. Jeder Gefangene brachte dann 3 Reichsmark pro Tag für das Zuchthaus ein.

Die Arbeitsbedingungen verschärften sich seit Kriegsbeginn und die Häftlinge wurden verstärkt in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Häftlingskommandos gab es dann zum Beispiel in der Eisengießerei Concordia, der Waggonfabrik Kaminski, der Teppichfirma Mertens, welche Flugzeugteile herstellte, und natürlich bei der Domag, dem größten Hamelner Rüstungsbetrieb. Nun mussten die Häftlinge sogar 72 Stunden in der Woche arbeiten. Wenn deren Arbeitskraft nachließ, gab es schwere Strafen, z. B. Essensentzug oder Dunkelhaft. Das Zuchthaus wurde am 15.Juni 1944 wegen totaler Kriegsführung zum Rüstungsbetrieb erklärt. Die Gefangenen bekamen deshalb Besuchs- und Schreibverbot.

Das Hamelner Zuchthaus galt bei den Gefangenen als eine vergleichsweise milde Anstalt – ganz im Gegenteil zu den Zuchthäusern Celle und Wolfenbüttel. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass das Hamelner Gefängnis erst 1935 Zuchthaus wurde und das alte Personal übernommen wurde. Erst der Krieg änderte diesen Zustand.

Der Häftling Rudi Goguel berichtet, dass das Arbeitsamt Zivilisten an die Anstalt dienstverpflichtete, weil viele Beamte eingezogen wurden. Zahlreiche Hilfsbeamte besaßen gesunden Menschenverstand. Ebenso seien aber auch Berufsbeamte human gewesen. Die Feinde der Gefangenen seien frontunfähige junge SA-Männer und fanatische junge Nazis gewesen. Der Anstaltsleiter war zunächst Dr. Engelhardt und später der SS-Mann Siegfried Stöhr. In den Häftlingsakten stößt man immer wieder auf den Oberlehrer Karl Obermeyer. Er hat häufig harte Gutachten zu den Häftlingen verfasst, vor allem bei homosexuellen und politischen Gefangenen. Seine Entwürfe wurden in der Regel von der Anstaltsleitung übernommen und waren mitentscheidend etwa für die Beurteilung von Gnadengesuchen.

In den letzten Jahren des Krieges war das Zuchthaus überbelegt und in den letzten Kriegsmonaten waren die Verhältnisse im Zuchthaus katastrophal. Es mangelte an allem und viele Häftlinge erkrankten schwer. Am meisten traten Tuberkulose, Entkräftung und Herzkrankheiten auf. Viele Strafgefangene mussten zu dieser Zeit sterben.

In der Zeit vom 1.9.1939 bis zum 31.8.1945 wurden weit über 300 Todesfälle registriert. 78 Prozent der verstorbenen Häftlinge waren Deutsche und 22 Prozent waren Ausländer. Das Durchschnittsalter aller Gefangenen betrug 49 Jahre. Im Jahre 1945 sind die meisten Häftlinge gestorben, es waren 172 Häftlinge. Die meisten Gefangenen sind laut Totenschein an Herzschwäche und anderen Herzkrankheiten gestorben, ähnlich viele an Darmkatarrh oder einer Lungenentzündung verstorben.

 
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Die Zusammensetzung der "Häftlingsgesellschaft"

Die Zusammensetzung der "Häftlingsgesellschaft" war während des Dritten Reiches einem steten Wandel unterlegen.

 
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Politische Häftlinge im Gefängnis Hameln (bis 31. Oktober 1935)

Aus Anlass des Brandanschlages auf das Reichstagsgebäude Ende Februar 1933 konnten die Nationalsozialisten die "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat" durchsetzen, welche die wichtigsten Grundrechte der Verfassung aufgehoben hat. So konnte eine Verhaftungswelle gegen politische Gegner stattfinden. Dies betraf vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler. Besonders die als Hilfspolizei fungierende SA ging sehr brutal vor, viele der Verhafteten wurden verschleppt und Hunderte ermordet.

Die Justiz unternahm nur selten etwas gegen diese von der SA begangenen Morde und Körperverletzungen. Im Gegenteil, sie beteiligte sich vielmehr an der Bekämpfung des politischen Widerstandes. Die politischen Gefangenen wurden in die verschiedenen Gefängnisse gebracht, auch in das Gefängnis Hameln. In den ersten Monaten des Regimes wurden dort massenhaft Kommunisten und Sozialdemokraten aus der Region eingewiesen, bevor sie in Konzentrationslager verschleppt oder vor Gericht gestellt wurden.

 
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Politische Häftlinge im Zuchthaus Hameln

Von 1933 bis zum Beginn des Krieges war die Mehrheit der Häftlinge im Zuchthaus Hameln politischen Häftlinge. Dabei überwogen die Sozialdemokraten gegenüber den Kommunisten. Viele der politischen Häftlinge waren Angehörige der "Sozialistischen Front", einer Widerstandsgruppe aus Hannover und Umgebung, gegründet von enttäuschten Sozialdemokraten, welche die abwartende Position der Parteiführung kritisierten. Die "Sozialistische Front" zählte bis zu 1.000 Mitglieder und ihre Parteizeitung griff die NS-Politik an. Doch 1936 wurde die Bewegung von den Nationalsozialisten zerschlagen und gegen insgesamt 230 Angeklagte wurden hohe Strafen verhängt.

Verhängnisvoll für die politischen Gefangenen war, dass sie oftmals, nachdem sie ihre Strafe abgesessen hatten, der Gestapo übergeben und in ein Konzentrationslager verschleppt wurden.

Den politischen Häftlingen ist es mit der Zeit gelungen wichtige Funktionen in der Anstalt zu übernehmen, wie z.B. Vorarbeiter einer Werkstatt oder Leiter der Bücherei. Damit konnte sie ein netz gegenseitiger Hilfe etablieren.

Für den Kreisschulrat in seinem Bericht von 1937 bestanden die politischen Häftlinge zu 90 Prozent aus "deutschen verhetzten Arbeitern", die man wieder zurück auf den nationalsozialistischen Weg führen könnte. 10 Prozent aber bestünden aus verbissenen, fanatischen Funktionären, denen nicht mehr zu helfen sei.

 
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Die Verfolgung der Homosexuellen

Seit 1871 gab es den Paragraph 175. Dieser wurde 1935 erheblich verschärft. Nun stand jegliche Form von "Unzucht" zwischen Männern unter Strafe. Das Reichsgericht entschied 1939, dass auch dann Unzucht vorliege, wenn "keine körperliche Berührung des anderen stattgefunden hat". Die Höchststrafe für "schwere Unzucht zwischen Männern" war 10 Jahre Zuchthaus. Insgesamt kam es bis 1945 zu circa 50.000 Verurteilungen nach diesem Paragraphen.

1936 wurde eine "Reichszentrale zur Bekämpfung von Homosexualität und Abtreibung" gegründet. Die Nationalsozialisten glaubten, dass es nur wenige Hauptverführer gab und von diesen wenigen würde sich die Homosexualität seuchenartig ausbreiten. Dies war der Grund, warum Männer mit mehreren homosexuellen Kontakten besonders streng verfolgt wurden.

Zwischen 1937 und 1938 gab es reichsweit Sonderaktionen gegen Männer, die als Homosexuelle der Polizei bekannt waren. Sie kamen in Vorbeugehaft und wurden teilweise ohne weitere Vernehmung ins KZ geschickt.

Wenn man den homosexuellen Straftätern mehrere Kontakte hatte nachweisen können, so wurden sie kurz vor Ablauf ihrer Strafzeit der Gestapo gemeldet und der Polizei zur Überweisung in ein KZ übergeben, genau wie bei den politischen Häftlingen.

Der Paragraph 175 blieb bis zum Jahre 1969 in Kraft. Die Alliierten befreiten 1945 nur dann Homosexuelle, wenn sie Ausländer waren oder in Konzentrationslagern waren. Deutsche homosexuelle Männer blieben so lange in Haft, bis ihre Haftzeit abgelaufen war.

 
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Die Ausgrenzung der Juden

Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre", welches im September 1935 in Kraft trat, verbot Eheschließungen und sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden und stellte diese als "Rassenschande" unter Strafe.

Für das Reichsgericht war dieses Gesetz einer der Grundpfeiler des NS-Staates. Die Richter legten fest, dass "Rassenschande" auch dann gegeben sei, wenn es zu keinerlei Berührung zwischen den Beteiligten gekommen sei.

Es gab vergleichsweise wenige jüdische Häftlinge im Zuchthaus Hameln. Wenn, dann war das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" der hauptsächliche Haftgrund. Jüdische Häftlinge wurden ohne Ausnahme nach der Verbüßung ihrer Strafzeit in Schutzhaft genommen und in ein KZ "überstellt".

 
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Nach dem Sonderstrafrecht im Kriege Verurteilte

Kurz nach dem Beginn des Krieges wurden strafverschärfende Bestimmungen geschaffen. Schon wegen geringfügiger Strafen wurden Personen vor eigens geschaffene Sondergerichte gebracht. Die Verfahren waren verkürzt und sahen keine Rechtsmittel zum Schutze der Angeklagten vor, die Urteile waren sofort rechtskräftig.

Häufig wurde "schwarzgeschlachtet"; es gab Schwarzmarkt- und Tauschhandelgeschäfte, Hehlerei, Preistreiberei, Unterschlagung und Fälschung von Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen. Dies waren "Kriegswirtschaftsverbrechen" und Vergehen gegen die "Verbrauchsregelungsstrafverordnung".

Wer am Siege zweifelte, führende Personen des Reiches herabsetzte oder Sympathien für die Gegner äußerte, konnte wegen "Wehrkraftzersetzung" oder "Heimtücke" verurteilt werden.

Die "Volksschädlingsverordnung" wurde besonders angewandt beim Diebstahl von Feldpostpäckchen oder Güterdiebstahl bei der Reichsbahn.

Besonders hart wurden Delikte wie Diebstahl unter Ausnutzung der Verdunkelung oder "Plünderung" nach Luftangriffen bestraft, mit Zuchthaus oder sogar mit dem Tode.

Auch Verstöße gegen die Verdunklungsvorschriften waren strafbar.

Das Abhören "feindlicher" Sender war in der "Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" verboten. Wer Nachrichten ausländischer Sender nicht nur hörte, sondern auch verbreitete, konnte in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft werden.

 
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Justiz im Dienste der Besatzung: Ausländische Häftlinge

Da der Widerstand in den besetzen Ländern im Laufe des Krieges wuchs, nahm die Zahl der Verurteilten durch deutsche Kriegsgerichte erheblich zu. Ab Mai 1942 wurden durch ein Abkommen zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht und dem Reichsjustizministerium Verurteilte der besetzten Gebiete auch in Strafanstalten auf deutschem Gebiet gebracht.

Die meisten Verurteilten kamen aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg und waren wegen politischer Vergehen verurteilt. Es gab nur wenige Ausländer im Hamelner Zuchthaus, die einen kriminellen Hintergrund hatten.

Die ausländischen Häftlinge machten einen immer größer werdenden Teil der Insassen des Hamelner Zuchthauses aus. In den letzten Jahren des Krieges dürfte ihr Anteil bei bis zu 20 Prozent gelegen haben.

 
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Ein Einzelschicksal – Paul Jost

Paul Jost wurde 1943 zu zwei Jahren Zuchthaus "wegen Verbrechen gegen die Rundfunkverordnung" verurteilt. Er wurde in das Zuchthaus Hameln eingeliefert und verstarb dort im Jahre 1945.

Geboren wurde Paul Jost am 4.5.1892 in Witten an der Ruhr. Er arbeitete als Werkhelfer bei der Reichsbahn in Bad Münder. Von 1931 bis 1933 war er Mitglied der SPD und des Arbeiterturn- und Sportbundes.

Ab 1943 musste sich Paul Jost regelmäßig bei der Gestapo melden, weil er im Verdacht stand, regimefeindliche Flugblätter in den Zügen ausgelegt zu haben und Zwangsarbeitern Essen zugesteckt zu haben.

Am 28.6.1943 wurde er durch die Gestapo festgenommen und im Juli 1943 durch das Sondergericht Hannover zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er hatte gegen die Rundfunkverordnung verstoßen.

Der Wortlaut des Urteils des Sondergerichts Hannover im Fall Paul Jost lautete, dass er "wegen Abhörens eines ausländischen Senders zu zwei Jahren Zuchthaus ... verurteilt (wird)". Als Gründe wurden u. a. auch die Mitgliedschaft in der SPD und dem Arbeiterturn- und Sportbund angesehen.

Paul Jost gab zu, dass er vom November 1941, als er zufällig auf den feindlichen, deutschsprachigen Sender stieß, "bis in den Februar 1943" den Sender hörte. Er hörte den Sender "in den Wintermonaten jede Woche ein paar Mal", in den Sommermonaten aber habe er den Sender nicht eingeschaltet. Ein Grund, weshalb Paul Jost den Sender abgehört habe, war die Sorge um seinen bei der Kriegsmarine dienenden Sohn. Daher interessierte sich Paul Jost für die Namen der in Gefangenschaft geratenen Seeleute. Diese Kenntnisse habe er aber nicht weiter verbreitet und auch seine politische Meinung sei davon nicht beeinflusst worden.

Trotzdem war das Sondergericht Hannover der Meinung, dass der Fall schwer zu bestrafen sei, weil es das "persönliche Vertrauen zur Staatsführung" und "die geistige Geschlossenheit und Willenzusammensetzung des deutschen Volkes" gefährdet sah. Obwohl Paul Jost voll geständig war, Reue zeigte und das Abhören des Senders aus freien Stücken aufgegeben hatte, wurde die zweijährige Zuchthausstrafe als "angemessene und erforderliche Sühne" betrachtet.

Im August 1943 wurde er ins Zuchthaus eingeliefert. 1944 stellte seine Ehefrau, Dorothea Jost, ein Gnadengesuch, das jedoch vom Zuchthaus Hameln nicht befürwortet und vom Oberstaatsanwalt in Hannover abgelehnt wurde.

Am 28.4.1945 um 14 Uhr verstarb Paul Jost im Zuchthaus Hameln. Die Todesursache – laut Todesschein "Durchfall, Herzschwäche" – findet man dutzende Male auf den Totenscheinen.

Seine Familie in Rodenberg ist damals nicht über seinen Tod informiert werden. Diese wartete seit dem 8.April auf seine Rückkehr. Am 30.April fuhren drei Männer, Freunde der Familie, nach Hameln, um Paul Jost zu holen. Sie waren guter Hoffnung, dass sie ihn finden und mitbringen würden. In Hameln angekommen, wurde ihnen, nach allerlei Ausflüchten, mitgeteilt, dass der Gefangene Paul Jost vorgestern verstorben sei. Mit Hilfe der Besatzungsmacht konnten die Freunde den Toten, trotz Typhus- und Choleragefahr, noch einmal sehen. Mithäftlinge erzählten, er sei zum Schluss völlig abgemagert gewesen. Vor zwei Monaten hätte er es noch zu Fuß nach Hause schaffen können.

Die drei Männer kehrten mit der unfassbaren Todesnachricht zur Familie zurück. Die Leiche konnte nicht überführt werden und auch zur Beerdigung durfte niemand kommen. Paul Jost wurde wie alle Zuchthaustoten auf dem Friedhof Wehl (Feld C1) ohne Sarg bestattet.

Ab Juni 1945 durfte die Familie die Grabstelle besuchen. Das Gräberfeld war über die gesamte Zeit hin ungepflegt und auch eine Umbettung nach Rodenberg wurde verweigert. 1975 wurde das Gräberfeld von der Stadt Hameln eingeebnet.

 
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Die letzten Kriegsmonate im Zuchthaus

Während der letzten Monate des Zuchthauses in Hameln mehrten sich die Todesfälle im Lazarett auf Grund von schlechter Ernährung und grassierender Epidemien zusehends. Epidemien wurden durch die täglich neu ankommenden Häftlinge aus den bereits unter Feindeinwirkung geräumten Zuchthäusern im Westen und im Osten Deutschlands nach Hameln verschleppt und dort verbreitet. Durch die mangelnden Arzneimittel waren Geschwüre, Hautausschläge, Läuse, Wanzen und Typhus an der Tagesordnung. Die Zustände der Häftlinge waren erbärmlich und nicht menschenwürdig. Das Zuchthaus war schon bald überfüllt. Wegen dieser Überfüllung wurde im August 1944 das Zuchthausaußenlager in Holzen (Eschershausen) errichtet. Dort sollten 400-600 Mann in fünf Baracken untergebracht werden, wo sie in unterirdischen Stollen Schienen verlegen mussten und Wände von lockerem Gestein befreien mussten, wobei es immer wieder zu Todesfällen kam. Auch durch Kälte und unzureichende Kleidung starben letztendlich 32 Männer.

Am 5.April kam es zu einem Todesmarsch aus dem überfüllten Zuchthaus Hameln in das Außenlager Eschershausen. Ursprünglich war vom Gauleiter Lauterbacher die Erschießung, später die Vergiftung, der zu schweren Strafen Verurteilten angeordnet worden. Als am 5.April die Stadt in Verteidigungszustand gesetzt worden war, weigerte sich Zuchthausdirektor Stöhr, die Häftlinge zu erschießen oder zu vergiften, setzte sie vielmehr zu Fuß auf den etwa 40 Kilometer langen Marsch nach Holzen, um sie nicht in die Hände des amerikanischen Feindes gelangen zu lassen.

Die Teilnehmer des Marsches waren überwiegend Ausländer. Es ging über die heutige Bundesstraße 1, dann über etliche Dörfer entlang des Ith südwärts nach Eschershausen. Bei Regen wurden die Gefangenen schnell durchnässt und die Schwachen blieben zurück. Einige Dorfbewohner gaben den vor Hunger Leidenden heimlich Brot und Milch, andere schlossen Fenster und Türen. Durch die Nacht ging der Marsch weiter. Einen Tag und 45 Kilometer später nach dem Aufbruch kamen die Häftlinge in Holzen an. Es ist nicht bekannt, wie viele Todesopfer dieser Marsch forderte.

Die zurückgebliebenen Häftlinge erleben die Beschießung des Zuchthauses. Zuerst wird am 5.April um zwei Uhr morgens von deutschen Pionieren die Weserbrücke gesprengt, dann die Eisenbahnbrücke. Die Amerikaner beschießen vom linken Weserufer aus die Stadt. Das Zuchthaus liegt mit seiner Breitseite in Richtung amerikanische Stellung, so dass sich die Häftlinge zum Schutz an die Wand kauern. Als Granaten in die Westwand einschlagen, bricht Panik aus. Alle zusammen werden schließlich vom Häftlingspersonal in den Keller gebracht, was ein Gefühl von Menschlichkeit und Dankbarkeit bei den Gefangenen auslöst.

Zwei Tage, bis zum 7. April, hält der Beschuss an, dann werden die Gefangenen befreit. Eine amerikanische Einheit übernimmt das Gelände. Viele erliegen noch dem Typhus in den Tagen danach, doch die meisten der Überlebenden werden schließlich aus dem Gefängnis entlassen.

Für viele ist das neue Leben noch unvorstellbar, da sie es nicht mehr gewohnt sind ohne Aufsicht zu sein. Letztendlich sterben noch 55 Menschen nach der Befreiung des Zuchthauses. Insgesamt werden über 300 Todesfälle registriert. Die meisten Todesopfer, 172 an der Zahl, starben 1945 während der letzten Monate. Die häufigsten Ursachen waren Herzschwäche, Herzerkrankungen, Lungenentzündung und Lungen-Tuberkulose. Im Außenlager Holzen wurden 27 Tote registriert.

 
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Die Bestattung der Toten des Zuchthauses

Die Toten des Zuchthauses waren zunächst auf dem Anstaltsgelände bestattet worden. Als hygienische Probleme auftauchten und der Platz nicht mehr ausreichte, bestattete man auf einem abgelegenen Feld (Feld C1) des Friedhof Wehl. Die auf dem Anstaltsgelände Bestatteten wurden hierher umgebettet.

Auf dem unmittelbar benachbarten Feld (C 3) wurden nach 1945 die von der Besatzungsmacht im Zuchthaus hingerichteten Kriegsverbrecher anonym bestattet.

Entgegen dem Anspruch auf ewiges Ruherecht von Kriegsopfern wurde das Feld C1 1975 von der Stadt Hameln eingeebnet, während das Feld der Hingerichteten zunächst weiter Bestand hatte.

 
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Das Zuchthaus nach 1945

Nach dem Kriege (bis 1949) diente das Zuchthaus Hameln als Hinrichtungsstätte der britischen Besatzungsmacht. 1955 wurde es dann aufgelöst. Bis dann schließlich eine Jugendstrafanstalt daraus wurde, dauerte es drei Jahre. Diese wird 1980 nach Tündern verlegt und der Zellenbau und der West- und der Ostflügel werden abgerissen. Zur Diskussion stand, das ehemalige Zuchthaus als Kreishaus, Jugendzentrum oder Hotel umzubauen. Ein Privatmann kaufte das Grundstück für den Preis von einer Deutschen Mark und baute ein Hotel daraus. Im August 1993 wurde das Hotel "Stadt Hameln" eingeweiht.

 
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