Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

Aus Briefen ehemaliger Zwangsarbeiter

 

Kap. 5

"In unserem Heimatdorf trafen wir nur Trümmer an." –

Befreiung, Leben als Displaced Person und Rückkehr in die Heimat

 

Mit der Befreiung wurden aus Zwangsarbeitern DPs, deplaced persons, Menschen am falschen Ort. Die Amerikaner, später die Briten, stellten die beiden großen Kasernenkomplexe Hamelns den Zwangsarbeitern zur Verfügung: die Scharnhorst- und die Linsingen-Kaserne. Dort erholten sich die Menschen von ihren Leiden, mit der Zeit entstanden Schulen, entwickelte sich auch ein kulturelles Leben. Deutlich länger als ein Jahr dauerte es, bis die Rückführung in die Heimat abgeschlossen war.

In der Heimat trafen die Menschen oft katastrophale Bedingungen an. Die Städte lagen in Trümmern. Höfe und ganze Dörfer waren zerstört.

Besonders schlecht hatten es die Menschen aus der Sowjetunion. Stalin stellte sie ohne Ausnahme unter Verdacht, mit den Deutschen kollaboriert zu haben. Sie wurden vom Geheimdienst verhört, kamen anschließend entweder ins Gefängnis oder wurden in Gebiete östlich des Ural umgesiedelt. Beruflich wurden sie dauerhaft diskriminiert.

 
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Frau Janina B., geb. am 3. Mai 1939 im Dorf Baszkow, Polen.

Frau Janina B. kam im März 1943 im Alter von 3 Jahren zusammen mit ihren Eltern und dem älteren Bruder nach Hemeringen auf einen Bauernhof. Janina B. erlebt den Tod der Mutter und des gerade geborenen zweiten Bruders als kleines Kind in Hemeringen. Die Mutter hatte Misshandlungen während der Deportation, die Schwere der Arbeit und die Geburt des Kindes nicht überstanden.

Das Foto zeigt den Bruder von Janina, Herrn Stanislaw S., im Jahre 1996 bei einem Besuch auf den Friedhof Wehl in Hameln. Dort sind die Mutter Maria und der Bruder Stefan bestattet.

 
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Auf dem Kriegsgräberfeld des Friedhofes Wehl sind über 200 Zwangsarbeiter zum Teil in Massengräbern beigesetzt worden.

Zurück zu Janina B. Sie ist zur Zeit ihrer Befreiung 5 Jahre alt.

Ich kann mich auch an die schönen Momente erinnern, als die Amerikaner kamen. Die haben uns mit Süßigkeiten beschenkt, die ich noch nie gesehen und gegessen hatte. Das waren verschiedene Sorten von Bonbons, Kaugummis, Schokoladen, Fleischdosen usw. Damals war das ein Luxus für uns.

Im Mai 1946 sind wir in Polen gelandet. In unserem Heimatdorf Baszkow trafen wir nur Trümmer an. Unsere Landwirtschaft war zwei Jahre nicht bestellt worden und die Einrichtung war ausgeraubt worden. Wir mussten von Null anfangen.

Mein Vater hat nach einem Jahr wieder geheiratet. Ich hatte eine Stiefmutter, die mich nicht verwöhnte. So manchen Tag saß ich in der Ecke und weinte. Mein Vater, vom Kriegsgeschehen geschwächt, konnte mir kleinem Kind keine Zuwendung mehr geben.

Als Kind war ich sehr schüchtern und hatte vor jedem Angst. Die fehlende Mutterliebe und die Sehnsucht nach Geborgenheit werfen heute noch einen Schatten auf mein Leben. Wenn nicht der Krieg und das Herumirren der Familie gewesen wären, hätte meine Mutter noch leben können. Das Leben meiner Familie wäre anders verlaufen. Ich hätte eine Mutter und meine Kinder hätten eine Oma.

 
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Frau Marianna M., geb. am 8. September 1930 in der Stadt Lodz, Polen.

Marianna M. erlebt die Befreiung durch amerikanische Soldaten in Aerzen. Sie war damals 14 Jahre alt.

Eines Tages im April 1945 vormittags kamen amerikanische Soldaten mit Panzern die Straße entlang.

Nach einigen Tagen brachte man mich in Hameln ins Krankenhaus. Ich war sehr krank. Ich hatte verletzte Beine. In den vielen Jahren hatte ich sehr schwer gearbeitet. So war es kein Wunder, dass ich krank wurde. Irgendwann kam der Arzt an mein Bett und hat mich ausgefragt, was mir weh tut. Im Krankenhaus war ich etwa drei Monate, vielleicht mehr, ich weiß es nicht. Ich wurde gut behandelt, bekam auch Gymnastik und Medizin.

Meine Freundin besuchte mich im Krankenhaus und sagte mir, dass wir in die Kaserne in Hameln gebracht würden. Dort war die Sammelstelle für Ausländer. Die Blocks waren mit Städtenamen gekennzeichnet, wie z.B. Lwow, damit jeder Pole seine Stätte findet. Wir bekamen zu essen und anzuziehen. Die Aufsicht hatten die Amerikaner.

Ein polnischer Pfarrer eröffnete eine Schule dort. Etwa 30 Personen meldeten sich. Es waren zwei Lehrer, einer davon war ein Tänzer. Es waren viele Polen dort. Wir fingen an, Theater zu spielen. Wir machten Volkstänze und mussten viel üben. Ab und zu machten wir auch Sketche. Es war eine schöne und angenehme Zeit, verbunden mit viel Lernen.

Als der Krieg zu Ende war, hatte ich das Bedürfnis, nach Polen zurück zu fahren. Als erstes kamen die Kinder, Ältere und Kranke. Mir tat es leid, die Schule zu verlassen. So blieb ich bis 1947 in Hameln. Meine Mutter wollte, dass ich meine Schule hier beende. Sie lebte dann noch zwölf Jahre nach meiner Heimkehr.

 
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Herr Kazimierz

W. Kazimierz hatte von 1940 bis 1945 bei dem Bauern M. in Wegensen gearbeitet.

Als ich dann doch zurück nach Polen fahren musste, sagte der Bauer:

"Falls es dir dort schlecht gehen sollte, dann komm zurück. Oder schreibe uns, dann schicken wir dir Pakete."

Ich kam zurück in den Ort, in dem meine Eltern die Landwirtschaft hatten. Nichts habe ich dort angetroffen. Es war gut, dass ich eine Decke mitnahm. Ich habe auf dem Fußboden geschlafen.

Nach Deutschland an Familie M. zu schreiben, hatte ich Angst. Vielleicht hätte mich jemand an die Kommunisten verraten. Bis heute bin ich kein Freund der Kommunisten.

 

Frau Zofia P.

Mit ihrer Mutter und dem sechsjährigen Bruder war Zofia nach dem Warschauer Aufstand im Jahre 1944 nach Deutschland deportiert worden.

Die Rückkehr in die Heimat war erst im Juli 1946 möglich. Meine Mutter bekam per Boten schlechte Nachrichten aus Polen. Ihre Eltern waren erschossen, der Bruder war als vermisst gemeldet und der Mann, mein Vater war im Konzentrationslager umgekommen.

Meine Mutter wurde schwer herzkrank und aus diesem Grunde konnten wir nicht eher nach Polen zurück. Unsere Wohnung in Warschau war ausgebrannt.

 
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