Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

Aus Briefen ehemaliger Zwangsarbeiter

 

Kap. 2

"Wir haben immer gearbeitet." – "Wir hatten immer Hunger." –

Arbeiten in der Fremde

 

Während des Krieges war in Deutschland in der Industrie jeder vierte, in der Landwirtschaft jeder zweite Arbeitsplatz durch einen Ausländer besetzt. Gut zwölf Millionen Ausländer mussten damals in Deutschland arbeiten. Die große Mehrheit von ihnen stammte aus dem Osten.

Die Stadt Hameln und der Landkreis Hameln-Pyrmont machten mit einem Einsatz von 9000 bis 10000 Ausländern keine Ausnahme. Die gesamte Hamelner Industrie hat damals Kriegsproduktion geleistet. Dies möchte ich an Hand einiger Firmen, die in den Briefen immer wieder erwähnt werden, demonstrieren.

Die Firma Franz Kaminski baute traditionell Eisenbahnkesselwagen. Sie hatte zusätzlich einen umfangreichen Auftrag zur Überarbeitung von BMW-Flugzeugmotoren vom Reichsluftfahrtministerium bekommen. Für diesen Großauftrag hatte Kaminski die ehemaligen Selve-Werke und Teile von Sinram & Wendt gepachtet und außerdem umfangreiche Anlagen neu gebaut. Kaminski beschäftigte 1944 gut 1000 Arbeitskräfte, davon ca. 500 Zwangsarbeiter.

 
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Die Metallwerke Schwarz, besser bekannt als Domag (nach dem Kriege AEG), waren mit knapp 2200 Arbeitnehmern damals der größte Betrieb in Hameln. Sie stellten u. a. Fahrwerke für ein Jagdflugzeug, Komponenten für Flugzeugmotoren sowie Patronenhülsen her. Unter den ca. 1000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern der Firma waren besonders viele ungelernte Frauen aus der Ukraine.

Die Teppichfirma Bessert-Nettelbeck & Mertens produzierte kriegswichtige Gewebe, aber auch Teile für den Flugzeugzellenbau.
Die Vereinigten Wollwarenfabriken Marienthal stellten Decken für das Militär her. Das sind nur Beispiele.

Rüstungsaufträge wurden zentral ausgeschrieben. Die Unternehmen bemühten sich um diese Aufträge, weil diese als lukrativ galten. Firmen, die aus Sicht des Rüstungskommandos unnütze Güter herstellten, konnten geschlossen werden. Zumindest wurden sie bei der Zuteilung von Arbeitskräften benachteiligt.

Wie die Kriegsproduktion war auch der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte damals eine Normalität. Ihr Einsatz als solcher ist nicht zu beanstanden. Ohne ausländische Arbeitskräfte hätte eine Firma nicht produzieren können.

Problematisch wird der Einsatz von Ausländern jedoch dann, wenn diese unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und leben müssen. Tatsächlich waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Hamelner Industrie sehr schwer. Alle Menschen aus dem Osten litten unter den häufig katastrophalen Bedingungen in den von den Firmen eingerichteten Lagern. Am stärksten ist den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern jedoch die mangelhafte Ernährung in Erinnerung geblieben. "Wir hatten immer Hunger."

 
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Durchschnittlich besser ging es den Menschen, die in der Landwirtschaft beschäftigt waren. Die Bedingungen waren dort persönlicher, die Kontrolle von Staat und Verwaltung war weniger genau; vor allem die Ernährung war besser. Aber auch in der Landwirtschaft gab es Fälle von erniedrigender und brutaler Behandlung, die erschrecken machen.

Sicherlich am besten ging es den wenigen Zwangsarbeiterinnen, die in kleinen Gewerbebetrieben und in Haushalten beschäftigt waren. Der unmittelbare Kontakt ließ die staatlich gewünschte Diskriminierung oft nicht zu.

Haltet Abstand von den Polen
Werdet nicht zu Verrätern an der deutschen Volksgemeinschaft
Lasst Polen nicht mit an eurem Tisch essen!
Bei euren Feiern und Festen haben die Polen nichts zu suchen
...
Haltet das deutsche Blut rein
...
Deutsche, seid zu stolz, euch mit Polen einzulassen.

Diese Bestimmungen galten in verschärfter Form auch für die Ostarbeiter.

Das Besondere an der NS-Zwangsarbeit ist ihr rassistischer Grundzug. Die Propaganda des Regimes stellte die slawischen Arbeitskräfte als Untermenschen hin und gab den Anstoß zu einer Fülle von diskriminierenden Erlassen.

An dieser Diskriminierung waren weite Teile der deutschen Bevölkerung beteiligt. Es gab auch Anzeichen der Sympathie und des Mitleids, aber es war gefährlich, diese offen zu zeigen. Den unglücklichen Arbeitskräften zu helfen, indem man ihnen etwa zusätzliche Lebensmittel zusteckte, konnte mit Zuchthaus bestraft werden.

 
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Herr Edmund B., geb. am 23. Oktober 1922 in der Stadt Tschenstochau, Polen

Im Oktober 1939, damals war ich 18 Jahre alt, hat mich die deutsche Polizei gezwungen, nach Deutschland wegzufahren.

Ich war in Hameln in einer Firma beschäftigt, wo ich als Schlosser gearbeitet habe. Franz Kaminski hieß die Firma. Es gab da zwei Abteilungen: einmal den Waggonbau, dann eine Fabrik für die Reparatur von Flugzeugmotoren.

Wir Polen waren im Waggonbau beschäftigt. Das war eine ganz schwere und schmutzige Arbeit, nur für Polen. In der anderen Abteilung war bessere Arbeit – dort haben die französischen Kriegsgefangenen gearbeitet.

Wir mussten jeden Tag zwölf Stunden arbeiten von 7 Uhr früh bis 7 abends. Wir hatten eine Viertelstunde Frühstückszeit, mittags eine halbe Stunde und nachmittags wieder eine Viertelstunde. Zum Mittagessen, das wir im Lager in unserer Baracke aßen, mussten wir zu Fuß einen halben Kilometer gehen und anschließend wieder zurück zur Arbeit. Jedes Mal war mit uns ein Wachmann.

Ich war 50 Monate dort und habe nie Urlaub gehabt. Wir mussten jeden Sonntag arbeiten. Es gab kein Weihnachten, kein Ostern. Wir haben immer gearbeitet.

Wir hatten immer Hunger. Es gab ein Brot für 7 Mann und einen halben Liter Suppe aus Steckrüben zum Mittag.

Unsere Wohnung war die Baracke, 12 Mann pro Zimmer. Die Betten waren dreistöckig.

Wir hatten Holzschuhe, keine Strümpfe, nur alte Lumpen, kein Hemd, keinen Anzug. Wir mussten unsere Kleidung selbst kaufen.

Immer war ein Wachmann da. Wir konnten nicht ausgehen, sondern mussten immer in der Baracke bleiben, gingen nur zur Arbeit und wieder zurück. Dann wieder schlafen, dann wieder arbeiten, und immer wieder dasselbe, und das 50 Monate lang.

 
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Herr Mikola P., geb. am 17. Mai 1927 im Dorf Bude-Orlova, Kiewer Gebiet, Ukraine

Anfang März 1943, ich war damals 15 Jahre alt, haben mich ein deutscher Soldat und zwei unserer Polizisten mit Waffen in der Hand aus dem Haus geholt. Im Viehwaggon fuhr ich nach Deutschland.

Auf der Arbeitsbörse in Hameln hat mich ein Bauer in das Dorf Reinerbeck ausgewählt. Sein Name war Heinrich M. Dort pflegte ich die Pferde und machte alles, was von mir gefordert wurde.

1943 im Herbst brachte mich der Bauer in Hameln wieder zur Arbeitsbörse und man schickte mich in das Werk Kaminski für Flugzeugmotoren. Dort wurden 14-Zylindermotoren für das Jagdflugzeug Messerschmidt 111 wieder hergestellt.

Ich arbeitete in einer Halle im Keller, wo Einzelteile von alten Motoren gesäubert und mit Benzin gewaschen wurden. Dort habe ich etwa 10 Monate gearbeitet. Auf einem langen Tisch, an dem etwa 25 bis 30 Menschen arbeiteten, standen Gefäße mit Benzin. Dort gab es wenig Luft. Benzindämpfe erschwerten die Arbeit von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends. Wenn wir nach draußen kamen, so schwindelte uns sehr.

 
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Herr Jerzy L., geb. am 14. Juni 1923 in Warschau, Polen

Ich wurde im Herbst 1944 nach dem Warschauer Aufstand nach Hameln verschleppt. Damals war ich 21 Jahre alt.

Im Lager Kaminski haben wir sehr gehungert. Ich weiß es noch, eines Tages arbeiteten die anderen außerhalb der Fabrik und kamen deshalb nicht zum Mittagessen. Infolge des Fernbleibens der anderen bekamen die, die in der Fabrik geblieben waren, so viel Suppe, wie sie wollten. Ich habe damals so viel gegessen und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich noch Hunger habe. Diese Geschichte mit der Suppe weiß ich noch bis heute und ich denke, ich vergesse sie nie. Wahrscheinlich deshalb, weil so etwas nur ein mal geschah.

Ich erinnere mich auch noch an einen Mann, der kam aus der Slowakei, wie er die Kartoffelschalen aus der Mülltonne heraus holte und sie kochte. Es war einfach ein großer Hunger. Manche Russen haben Spielzeug aus Holz gebastelt, und durch andere Leute haben sie das Spielzeug gegen Essen getauscht.

Es gab Menschen, die es noch schlimmer hatten als wir. Die hatten keine Lebensmittelkarten, die waren eingesperrt. Das waren die Häftlinge aus dem Hamelner Zuchthaus, die auch in der Firma Kaminski arbeiten mussten.

In der Zeit, als ich bei Kaminski arbeitete, wohnte ich mit meinen Kameraden in Holzbaracken, die in der Nähe der Fabrik standen. In einem Raum von 18 qm Größe waren wir mit zehn Personen zusammen untergebracht. Die ganze Ausstattung unseres Zimmers war ein Tisch, ein paar Schränke und dreistöckige Betten aus Holz. Wir hatten auch einen kleinen Ofen. Das Heizmaterial mussten wir uns selbst besorgen. Der Lagerkommandant behauptete, er habe schon seit längerer Zeit keine Kohle bekommen.

Die sanitären Umstände waren auch katastrophal. Es gab keine Kanalisation. Es hat in der gesamten Baracke gestunken. Außerdem gab es viele Flöhe und Wanzen. Darum konnte man kaum schlafen.

Es gab keine Möglichkeit, die Wäsche zu waschen. Ich hatte nur eine Kleidung (noch vom Warschauer Aufstand), die sehr verschmutzt war. Schuhe hatte ich nur aus Holz. Ich selbst war auch sehr schmutzig – ich fühlte mich wie ein Bettler. Wenn ich in einen Laden reinkam, um Essen zu kaufen, gingen die Leute beiseite. Nie vorher und nie nachher war ich so erniedrigt worden.

Wenn es um die Zahl der Zwangsarbeiter in unsrem Lager geht, kann ich mich nicht gut daran erinnern. Ich weiß nur, dass da verschiedene Nationalitäten waren, u. a. Russen, Tschechen, Slowaken, Italiener, Franzosen. Ich schätze, dass damals im Kaminski-Werk in den Hauptabteilungen insgesamt etwa 400 bis 500 Zwangsarbeiter und Gefangene aus dem Zuchthaus arbeiteten.

 
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Frau Jewdokija B., geb. im Oktober 1923 im Dorf Sufojenka, Kiewer Gebiet, Ukraine

Als wir nach Hameln kamen, brachte man uns in die Fabrik "Domag". Damals war ich 18 Jahre alt.

Mit mir zusammen arbeitete meine Freundin Marija T. Sie hat gerade ein Dokument aus dem Archiv bekommen, dass sie in der Fabrik Domag gearbeitet hat, ich aber nicht.

Wir arbeiteten zusammen bis zum Jahr 1944. In der Fabrik arbeitete ich an der Werkbank. Ich sollte Maschinenteile für Flugzeuge schleifen. Metallspäne flogen uns in die Augen. Einige Mädchen erblindeten.

Wir wohnten im Lager der Domag in winzigen Zimmern, zwanzig Mädchen in jedem Zimmer. Zur Arbeit führte man uns sehr früh. Und sehr spät in der Nacht kehrten wir zurück. Das Essen bekamen wir einmal am Tag. Wir waren immer hungrig. Deshalb stahlen wir unterwegs Rüben und aßen sie im Lager.

 
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Frau Wanda S., geb. im Jahre 1924 in einem Dorf im Kreis Swietokrzyskie, Polen

Mit 17 Jahren kam ich nach Deutschland zur Zwangsarbeit. Meine Mutter und ich, wir mussten in einem Steinbruch arbeiten. Später kamen wir zum Straßenbau.

Zum Ende des Krieges kam ich zur Firma Domag. Wir wohnten im Lager der Firma. Dort waren schlimme Verhältnisse. Wir haben uns in der Weser gewaschen. Vom Lager aus hatten wir Zutritt zum Wasser. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt.

Mit Passierschein durften wir nach der Arbeit auch auf die Straße gehen. Der Aufseher war nicht gut zu uns.

Wir haben auch gehungert. Die Zuteilung von Lebensmitteln war sehr knapp. Wir waren krank, nicht gut ernährt, und oft hatte jemand eine Infektion. Die Leute in Hameln waren gut zu uns, hauptsächlich die Ärzte.

Es gab da noch ein Lager mit kriegsgefangenen Franzosen und Italienern. Die Franzosen und Italiener bekamen Pakete vom Roten Kreuz. Bis heute kann ich nicht vergessen, wie die Franzosen vor unseren Augen gegessen haben und noch höhnisch gelacht haben. Ich habe keine Sympathie für diese Leute. Die Italiener waren anders, die haben uns heimlich Essen gebracht.

Die Deutschen waren nur als Aufseher im Werk. Sie haben unsere Arbeit geprüft.

Nicht alle Deutschen waren schlecht. Einem Direktor wurde ein Enkel geboren. Da hat er in der Küche angeordnet, man soll für alle Gefangenen Kuchen und Kaffee geben. Er war ein älterer Herr. Der sah das Unrecht, was mit uns geschah. Auch der Hallenaufseher war nicht schlecht. Er behandelte uns gut.

 
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Frau Ewdokia. M., geb. am 22. März 1926 im Charkower Gebiet, Russland

Als man mich nach Deutschland brachte, war ich 16 Jahre alt.

Ich wohnte im Lager der Domag unweit der Weser außerhalb der Stadt. Dort standen mehrere Baracken aus Holz, die große Löcher hatten und die nicht geheizt wurden. Das Lager befand sich hinter Stacheldraht und wurde von Soldaten und Hunden bewacht.

Wir wohnten in Baracken und schliefen auf zweistöckigen hölzernen Schlafbänken ohne Matratzen und ohne Decken und Bettwäsche. Wir legten auf diese Schlafbänke auch unsere vom Regen nasse Kleidung. Auf diese Weise wollten wir die Kleidung trocknen, um sie am Morgen anzuziehen und zur Arbeit zu gehen. Wir hatten keine Möglichkeit zum Waschen. Wir sollten uns draußen waschen. Das Wasser war eiskalt.

Wir waren immer hungrig. Brot erhielten wir ein Mal in der Woche für die ganze Woche. Wir aßen das Brot sofort auf, da wir keinen Platz zum Aufbewahren hatten. In der Suppe schwammen manchmal Würmer, da die Produkte ganz verdorben waren.

Ich war sehr oft krank, aber zur Arbeit ging ich immer.

In der Fabrik Domag haben wir 7 Mark monatlich bekommen, aber wir konnten für unser Geld nichts kaufen, da alles auf Karten verkauft wurde.

Zur Arbeit gingen wir alle zusammen unter Bewachung. Der Lärm von unseren Holzschuhen war in der ganzen Stadt zu hören. Alle Zwangsarbeiterinnen weinten unterwegs. Die Arbeitsbedingungen waren schrecklich schlecht. Wir waren hungrig und sehr schlecht gekleidet.

Die Stadt Hameln habe ich nicht gesehen. Wir sahen die Stadt nur, als wir von den amerikanischen Truppen befreit wurden.

 
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Frau Zofia P., geb. im Jahre 1928 in Warschau, Polen

Ich wurde mit meinen Eltern und dem sechsjährigen Bruder nach dem Warschauer Aufstand im Herbst des Jahres 1944 ins Lager nach Pruszkow gebracht. Dort wurden wir von unserem Vater und unserer Oma getrennt. Mit meiner Mutter und meinem Bruder kamen wir nach Hameln zur Arbeit in die Wollwarenfabriken Marienthal.

Ein besonderes Ereignis war, dass unsere Chefin nach zehn Tagen Arbeit festgestellt hat, dass wir für die Arbeit in der Wäscherei der Wollwarenfabriken Marienthal zu schwach waren. Sie hat der Gestapo gemeldet, dass wir Sabotage ausüben würden. Wir wurden dann ins Fabrikbüro gerufen und jede von uns bekam durch die Polizei als Strafe Schläge.

 
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Frau Ljudmila I., geb. im Jahre 1926 im Dorf Michailjutschka, Ukraine.

Ljudmila war auf Einladung der Antifa im Jahre 2003 noch einmal in Hameln. Auf ihrer ehemaligen Arbeitsstätte in Afferde wurde sie von den Hoferben herzlich empfangen.

Ich kam im Alter von 15 Jahren auf einen Bauernhof in Afferde. Mein Leben in Deutschland begann sehr schlecht, da ich kein Wort Deutsch sprach. Die Bäuerin Marie erklärte mir zuerst alles per Zeichensprache. Ich arbeitete schwer. Ich melkte fünf Kühe, fütterte die Schweine und erledigte sämtliche Arbeiten im Haus und auf dem Feld. Nach und nach begann ich, Deutsch zu verstehen und zu sprechen.

Die Arbeit war sehr hart und das Leben war sehr schwer für mich. Es gab noch einen Franzosen, der viel mehr Freizeit hatte. Zu dieser Zeit war ich 16 Jahre alt. Ich stand um vier Uhr früh auf und arbeitete bis acht Uhr abends. Ich hatte in der Woche keinen einzigen Tag frei. Nur während der Mahlzeiten konnte ich mich ausruhen. Die Verpflegung war normal. Ich aß zusammen mit der Familie am Tisch und wohnte oben im Haus. Der Bauer und seine Frau waren mit mir zufrieden. Sie erzählten allen, dass sie an ein gutes Mädchen geraten wären.

An Kleidung hatte ich nur, was ich mitgebracht hatte, Rock und Jacke aus sehr hartem Stoff. Eine Schürze und Holzschuhe bekam ich von der Bäuerin. Sonst hatte ich nichts anzuziehen. Der Winter war sehr kalt. Eine deutsche Frau aus der Nachbarschaft schenkte mir eine ungefütterte Jacke und alte Schuhe. Diese Schuhe trug ich nach der Arbeit die ganzen drei Jahre hindurch.

Im ersten Jahr verdiente ich 18 Mark pro Monat und in den darauf folgenden zwei Jahren 20 Mark pro Monat. Für das Geld konnte ich mir damals nichts kaufen, da es alles nur auf Karten gab.

Der Dorfpolizist war gut zu mir und gab mir einen Passierschein für Hameln. Dort lebte ein Pole, den ich kannte und mehrmals besucht habe. In Afferde gab es polnische und ukrainische Zwangsarbeiter, aber ich hatte kaum Zeit, sie zu besuchen.

 
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Herr Kazimierz W., geb. am 12. Februar 1924 in der Stadt Cielce, Wojewodschaft Posen, Polen

Ich kam am 15. September 1940 im Alter von 16 Jahren nach Wegensen zum Bauern M. Die erste Zeit habe ich viel geweint. Ich wusste nicht, wo mein Vater war. Meine Mutter lebte damals bereits nicht mehr.

Die Familie M. war sehr gut zu mir. Die hat mich sehr getröstet. Herr M. hat mich mit der Arbeit vertraut gemacht. Er hat nicht geschimpft, wenn ich etwas verkehrt gemacht habe.

Frau M. und ihre Hilfe Helga bereiteten das Frühstück. Wir aßen zusammen am Tisch, obwohl es für uns Polen nicht erlaubt war, an einem Tisch mit den Herrschaften zu essen. So war das bei allen Mahlzeiten. Ich hatte es bei Familie M. sehr gut. Es war meine zweite Heimat. Die schöne Zeit werde ich bis zu meinem Tod nicht vergessen.

Als mein Bruder, der in Bodenwerder eine Arbeit hatte, krank wurde, kam er ins Krankenhaus nach Hameln. Er starb dort am 24. August 1943. Am 27. August wurde er auf dem Ausländerfriedhof in Hameln beerdigt. Es war ein Pfarrer dabei, der allen am Schluss die Hand gegeben hat.

 
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Herr Stanislaw C., geb. am 5. November 1938 (!) in der Stadt Inowroclaw, Polen

Ich musste als Kind auf der Domäne in Coppenbrügge arbeiten. An eine Situation kann ich mich sehr stark erinnern. Und zwar, als ich eines Tages mit hohem Fieber im Bett lag und nicht aufs Feld konnte, um rote Beete zu sammeln. Da kam ein Deutscher und hat mich so verprügelt , dass ich mich tagelang nicht bewegen konnte.

Frau Bojena D., geb. am 21. August 1925 in der Stadt Gnesen, Wojewodschaft Posen, Polen

Als ich nach Deutschland kam, war ich 15 Jahre alt. Ich arbeitete zuerst in einem Hotel in Pyrmont.

In den Wintermonaten wurden wir von den Bauern im Umkreis zur Arbeit geholt. Ich kam nach Löwensen zu Familie S. Die Familie war sehr gut zu mir. Einmal fuhr Frau S. mit mir nach Hameln.

 

Deswegen musste ich den Buchstaben "P" an meiner Kleidung tragen. Das war sehr deprimierend für mich. Die Familie hat mich getröstet.

 
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Frau Maria T., geb. im Januar 1924 im Orlover Gebiet, Ukraine

Ich wurde von der Familie Albert F. in Hameln, Ohsener Straße, aufgenommen. Damals war ich 18 Jahre alt. Diese Leute haben mir nur Gutes getan. Dafür bin ich Gott dankbar. Die Familie hatte einen eigenen Gemüsegarten. Ich arbeitete auf dem Feld und im Haus. Ich arbeitete vom Morgen bis zum Abend, wie auch meine Herren selbst. An Ausländern arbeitete dort noch ein Pole und später auch ein Weißrusse. Wir hatten dasselbe Essen wie unsere Herren, nur saßen wir an einem getrennten Tisch. Im Haus hatte ich ein Zimmer für mich.

Die Stadt Hameln zu besuchen, hatte ich keine Zeit. Manchmal besuchte ich das Lager der Ostarbeiter, um mich mit ihnen in der Muttersprache zu unterhalten.

Auf der Brust trug ich immer das Zeichen OST. Ohne dieses Zeichen war es verboten, das Haus zu verlassen.

Damals waren wir sehr jung, haben das erste Mal unsere Heimat verlassen, waren in weiter Ferne, unter Bewachung und ohne Sprachkenntnisse. Fremde Leute, fremde Sitten - das bedrückte sehr. Das Schlimmste aber war das Heimweh.

 
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Frau Monika K., geb. am 9. Februar 1912 in Warschau, Polen.

Monika K. wurde als erwachsene Frau im Alter von 32 Jahren mit ihren beiden Kindern nach dem Warschauer Aufstand im Herbst 1944 nach Hameln deportiert. Gleichzeitig wurde ihr Ehemann in das Konzentrationslager Hersbruck bei Nürnberg und von dort nach Dachau verschleppt.

Die Frau musste bei den Wollwarenfabriken Marienthal in Afferde arbeiten. Das Lager stand auf dem Fabrikgelände, das an der Bahnlinie nach Hannover lag.

Frau K. hat über ihre Zeit in Hameln und über das Leiden ihres Mannes in verschiedenen Konzentrationslagern ein umfangreiches Buch geschrieben.

Ich weiß nicht mehr, wie lange die Fahrt dauerte. Die Bahnstation, an der wir ankamen, hieß Hameln. Wir wurden durch die Stadt in einer Kolonne geführt. Man spürte die hasserfüllten Blicke der Passanten und ab und zu hörte man:

"Polnische Banditen"
"Warschauer Aufständische".

Zu den schlimmsten Erlebnissen gehörten die Luftangriffe – schlaflose Nächte, hochgespannt, immer in Erwartung und bereit, weg zu laufen. Wir waren todmüde. Es war nicht möglich, sich nach dem Arbeitstag in der Fabrik auszuruhen. Wir lebten immer in Spannung und Stress. Die Flugzeuge, die nach Berlin oder Hannover flogen, flogen immer über uns hinweg. Sehr oft warfen sie auch Bomben über Hameln ab. Es gab Nächte, die so frostig oder regnerisch waren, dass wir trotz Bombenalarm in den Baracken blieben.

In dieser Zeit haben wir einen schweren Bombenangriff erlebt. Die Bahnschienen wurden auf das Fabrikgelände geschleudert. Unsere Baracke schwankte, der Putz fiel von der Decke und den Wänden. Es war schrecklich. Es wurde uns befohlen, die Baracke zu verlassen.

Einmal kamen wir nach einem Luftangriff zurück aus dem Wald. Da erschien plötzlich eine Gruppe von Hitlerjungen und hat uns mit Schneebällen und Steinen beworfen. Ich sprach einen von ihnen an, dass so etwas nicht schön sei und dass man so etwas nicht mache. Er lachte nur und antwortete:

"Schön nicht, aber es macht Spaß!"

Ich schaute mir das Gesicht an, so ein hübsches Gesicht, und dachte, dass sogar die Kinder vollgestopft sind mit Hass. Wie lange wird man brauchen, das alles zu heilen und den Hass aus den Köpfen weg zu kriegen?

 
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