Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

 

Aus Briefen ehemaliger Zwangsarbeiter

 

Kap. 3

"... die kleinen, unschuldigen Kinder ..." –

Die Schicksale der Kinder

 

Zahlreiche Eheleute waren – häufig mit ihren Kindern - deportiert worden. Es entstanden neue Beziehungen. Also wurden auch Kinder geboren.

Anfangs schickte das Arbeitsamt die schwangeren Frauen zurück. Dann wollte man auf ihre Arbeitskraft nicht verzichten.

Was deutschen Frauen streng verboten war, wurde zahlreich an Ostarbeiterinnen praktiziert: es wurde abgetrieben. In Hameln geschah dies im Krankenhaus an der Weser.

In Hemeringen gab es ein "fremdvölkisches Kinderheim". Dort wurden unter katastrophalen Bedingungen Säuglinge und Kleinkinder verwahrt, die ihren Müttern wenige Wochen nach der Geburt genommen worden waren. Zahlreiche Todesfälle sind dort bezeugt.

Unter den Polen war die Angst verbreitet, Säuglinge würden den Müttern weggenommen und in deutsche Familien gegeben, um sie einzudeutschen.

Die Jugendschutzbestimmungen waren für die Kinder unter den Zwangsarbeiter aus dem Osten außer Kraft gesetzt worden. Kinder ab 14 Jahren wurden offiziell deportiert und mussten voll arbeiten. In der Realität wurden bereits Zehnjährige zur Arbeit heran gezogen.

 
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Frau Monika K., Polen. Das Foto zeigt ihren Sohn Macius K.

Wenn ich in einer Sonderkommission zur Beurteilung der Schuld der Deutschen gewesen wäre, dann würde ich neben einer Anklage wegen Völkermord auch eine Anzeige erstatten, dass die Deutschen uns dadurch gequält haben, dass sie uns nicht genug zum Essen gaben. Es geht mir nicht so sehr um uns Erwachsene, sondern um die kleinen, unschuldigen Kinder.

Es wurden damals keine Tonaufnahmen gemacht; sonst könnte man jetzt alles wiedergeben. Diese Bettelei! Wenn man selbst hungrig ist, ist das eine Qual, und wenn man dann noch das eigene Kind hungern sieht und hören muss, wie es um Essen bettelt, und man hat nichts für das Kind – ein Entsetzen!

Jedem von uns wäre es schwer ums Herz gewesen, wenn er z.B. nur das Gespräch zwischen Frau K. und ihren beiden Kindern gehört hätte, bevor sie zur Arbeit ging.

"Krisztina und Agna, ich bitte Euch, lasst bitte die Brotrinden im Schrank, sonst – was gebe ich Euch zum Abendbrot?"

"Mami, erlaube uns mindestens die Hälfte von der Zwiebel und nur ein Stückchen Zucker
zu essen. ..."

Frau K. ging mit Tränen in den Augen zur Arbeit. ...

Am Abend, als sie zurück kam, waren die Brotrinden nicht mehr da. Die Mutter weinte und die Kinder küssten die Mutter und weinten mit. Es war grausam. ...

 

Frau Dorothea T., geb. am 27. November 1923 in der Stadt Charkow, Ukraine.

Dorothea T. arbeitete in Pyrmont in einem Haushalt. Wegen ihrer deutschen Sprachkenntnisse wurde sie von den Pyrmonter Firmen auch als Dolmetscherin herangezogen und hatte auf diese Weise Kontakte zu zahlreichen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Dorothea T. hat nach dem Kriege einen Deutschen geheiratet und ist in Deutschland geblieben.

Manches junge Mädchen suchte ein bisschen Geborgenheit, z.B. ein Polenmädchen bei einem Polen. Sie wurde schwanger und gebar ein Kind. Doch dann passierte das Schrecklichste, was ich als Fremdarbeiterin erlebt habe. Kurz nach der Geburt wurde das Kind rücksichtslos von der Mutter getrennt. Menschen der deutschen Behörde holten es ab, ohne dass die Mutter jemals wieder die Möglichkeit hatte, mit ihrem Kind Verbindung aufzunehmen. Für uns alle war das unfassbar und kam einer Beerdigung gleich.

 
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Frau Bronislawa K., geb. am 8. Dezember 1943 in einer Baracke des Lagers der Domag in Hameln.

Frau K. lebt heute in Thorn, Polen

Mit dieser Karte meldeten die Eltern der kleinen Bronislawa den Großeltern in Thorn, dass das Kind geboren ist. Aus Angst davor, die Deutschen würden ihnen das Kind fort nehmen, holten es dann die Großeltern heimlich aus Hameln nach Thorn.

Am 8. Dezember 1943 bin ich auf dem Gelände des Lagers der Domag in Hameln geboren worden. Vielleicht geht es Ihnen nicht so sehr darum, aber ich schreibe es, damit man an diese Kinder denkt, wie ich eines bin. Wir sind in unmenschlichen Verhältnissen geboren. Ich weiß noch, wie meine Mutter später erzählte, dass sie bereits zwei Wochen nach meiner Geburt wieder arbeiten musste. Wenn es im Lager Mittagessen gab, kam sie mich füttern und windeln.

In der Baracke war es sehr kalt, so dass abends, wenn alle nach Hause kamen, in einem Ofen mit Holz geheizt wurde. Der Ofen stand mitten im Zimmer.

Ich bitte Sie, sich das vorzustellen: Als Säugling im Dezember in einer kalten Baracke, drei Mal täglich gefüttert, zugedeckt mit mehreren schmutzigen Decken, die man von einer Freundin geliehen hatte, ohne Pflege, ohne richtige Ernährung und in katastrophalen hygienischen Verhältnissen.

Die Kinder, die dort geboren sind und das miterlebt haben, sind bis heute geschädigt.

 
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