Presse

 

Zwangsarbeit in Hameln und im Kreis Hameln-Pyrmont

Wie der Zufall in die Vergangenheit führte - 13.08.2010
Friedhof der Vergessenen: Historiker am Werk - 29.12.2009
Drei Schicksale - dem Vergessen entrissen - 14.07.2009
"Ich habe keinen Hass auf die Deutschen" - 21.06.2009
Gegen das Vergessen, für die Würde der Opfer - 28.11.2006
Den Opfern Namen und Gesicht gegeben - 21.11.2006
Zum Thema (Den Opfern Namen und Gesicht gegeben) - 21.11.2006
Zeitzeugen zu Besuch - 30.10.2006
61 Jahre nach dem Ende des Krieges: Rückkehr an die Orte des Leiden - 18.10.2006
Zum Gebet reichten sie sich die Hände - 22.09.2005
Wichtige Zeitzeugen kommen zu Besuch - 17.09.2005
Sie will ihren Geburtsort wiedersehen - 26.04.2005
"Ein weißer Fleck in der Hamelner Stadtgeschichte" - 24.06.2004

 

 

(DEWEZET vom 13. August 2010)

Wie der Zufall in die Vergangenheit führte

Von Christa Koch

 

Hameln. Barbara Kwaskiewicz kann es nach wie vor nicht fassen. Die Polin aus Lodz kann sich auch im Nachhinein noch immer nicht so richtig vorstellen, dass es kein Traum war, den sie in den vergangenen Tagen in Hameln erlebt hat. „Nie hätte sie gedacht, dass sie in Deutschland und dazu auch noch von Fremden so freundlich behandelt werden würde“, sagt der Coppenbrügger Pawel Nowicki, der einst nur rund 70 Kilometer vom Heimatort Barbaras entfernt geboren wurde, seit langem in Deutschland lebt und für die 66-Jährige in den vergangenen Tagen als Dolmetscher fungiert hat.

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Auf Spurensuche im Dewezet-Archiv:
die Polin Barbara Kwaskiewicz mit Ehemann Czestaw
und Sohn Maciej (re.). Foto: Wal

Dabei: Der Hameln-Aufenthalt von Barbara Kwaskiewicz, ihrem zwei Jahre älteren Ehemann Czestaw und Sohn Maciej (41) sollte eigentlich nicht viel länger als einen Tag dauern – Barbara wollte sich nur einmal auf die Spuren der Vergangenheit begeben, war sie doch in den Wirren des Zweiten Weltkrieges in der Rattenfängerstadt geboren worden. Aber alles, was sie über diese Zeit weiß, stammt aus einem kleinen Büchlein, das ihre 2004 in Polen gestorbene Mutter Halina als Lebenserinnerung verfasst hatte.

Vater Piotr Szalanda – er starb bereits 2001 – war einst als lediger Soldat in einem Kriegsgefangenenlager in Grupenhagen, das wusste die 66-Jährige. Auch, dass er 1941 nach Polen flüchten konnte und dort heiratete. Doch er wurde denunziert. Nach einem Kinobesuch wurde das junge Paar verhaftet und kam ins Gefängnis. Und, ohne es zu wissen, wurden die Eheleute getrennt voneinander als Zwangsarbeiter 1942 wieder nach Hameln deportiert, wo sich die beiden schließlich wiedertrafen.

In der damaligen Adolf-Hitler-Straße (heute Deisterallee) kamen die Eheleute in einem Haus unter, das auf dem Gelände an der Ecke zur Hermannstraße stand und heute nicht mehr existiert – die sogenannte „alte Kaserne“. Beide wurden allerdings zur Zwangsarbeit herangezogen, er als Schmied, sie als Übersetzerin – Barbaras Mutter war inzwischen schwanger. Am 24. Oktober, mitten im Bombenhagel, kam Barbara im Keller des Hauses zur Welt. Was sie aus den Erinnerungen ihrer Mutter weiß: „Da kam eine Frau König, die sagte, sie sei weder Deutsche noch Polin, sondern Krankenschwester, und sie werde helfen.“ Und Dr. Berthold Schläger, einem Nachfahren von Senior Schläger, sei es letztlich zu verdanken, dass die kleine Familie überlebte.

So viel zur Geschichte. Mehr weiß Barbara nicht, als sie mit Ehemann und Sohn von Lodz aus nach Hameln startet, um einmal die Stadt kennenzulernen, in der sie das Licht der Welt erblickt hat. Schließlich hat sie ihrem Vater das auf dem Sterbebett versprochen. Und ab jetzt spielt der Zufall mit, und zwar gleich mehrfach: Das Navigationsgerät kennt keine „Adolf-Hitler-Straße“ in Hameln und schickt die Polen in Richtung Breiter Weg (in der Nähe befindet sich immerhin die Adolfstraße). Dort fragen die Kwaskiewicz’ in einem Lottoladen nach, bekommen aber zunächst keine zufriedenstellende Antwort. Doch jetzt kommt wieder der Zufall ins Spiel: Oliver Kullik, der am Breiten Weg wohnt, bekommt die Odyssee mit und will helfen. Der historisch interessierte Hamelner holt alte Bücher von zu Hause, findet Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg darin und kopiert sie.

Parallel dazu ruft die Inhaberin des Lottoladens – ihre Mutter ist übrigens ebenfalls Polin – beim Hamelner Stadtarchiv an. Das hat zwar zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen, öffnet aber für die polnischen Gäste extra die Türen und versucht ebenfalls zu helfen. Corinna Boé, eine Bekannte von Nowicki und Kullik, übersetzt derweil ins Englische, eine Sprache, die immerhin Maciej Kwaskiewicz beherrscht. Doch die Suche in alten Bänden ist mehr oder weniger ergebnislos: Nirgends findet sich ein Hinweis auf die Eltern von Barbara, möglicherweise auch deshalb nicht, weil die Namen in den Kriegswirren nicht immer korrekt aufgeschrieben worden waren und im alten Hamelner Rathaus viele Dokumente durch einen Brand verloren gegangen sind.

Die Familie besichtigt währenddessen, begleitet von den gerade neu gewonnenen deutschen Freunden, die Stadt und vor allem das Areal der früheren alten Kaserne, wo einst das Geburtshaus von Barbara gestanden hatte. Alle sind tief berührt – hier weht sie wirklich der Atem der Geschichte an. „Danke, immer wieder Danke“, das ist fast alles, was die 66-jährige Barbara sagt. Sie schläft kaum in der Nacht, ihr Blutdruck steigt und steigt. Barbara weiß nicht, wie sie das, was sie an Freundlichkeit in Hameln erlebt, vergelten soll, so wird der Übersetzer später sagen. Und Sohn Maciej bestätigt: Ja, das sei der aufregendste Tag im Leben der gesamten Familie gewesen.

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Ein Bild aus glücklichen Tagen: Vater Piotr und Mutter Halina.
Beide mussten damals in Hameln Zwangsarbeit ableisten.

 Doch noch ist der Hameln-Aufenthalt nicht zu Ende, die Spurensuche geht weiter. Und dank des heimischen Historikers Bernhard Gelderblom finden die Kwaskiewicz’ am letzten Tag auch heraus, wo Vater Piotr seinerzeit als Zwangsarbeiter beschäftigt war: bei der ehemaligen Firma Stahlbau Richardt, als Schweißer von Luftschutztüren. Ein letzter Besuch dort, bevor es ans Abschiednehmen geht. Und Gelderblom hat noch ein weiteres Geschenk für die Polen: die Urkunde über Barbaras Taufe am ersten Weihnachtstag 1944 in der St. Augustinus-Kirche. Barbara, die in Hameln „viel geweint, aber auch viel gelacht“ hat: „Nach diesen glücklichen Erfahrungen bin ich ein zweites Mal geboren.“

 
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(DEWEZET vom 29. Dezember 2009)

Friedhof der Vergessenen: Historiker am Werk

Bernd Gelderblom
Bernhard Gelderblom an seinem Schreibtisch. Foto: st

Nienstedt (st). Zunächst hat sich ein Ort in Schweigen gehüllt, dann eine Zeitzeugin schwerwiegende Anklage erhoben – der Nebel um den Friedhof der Vergessenen im kleinen Deisterörtchen Nienstedt hat sich aber noch immer nicht ganz verzogen. Einen Schritt hin zu einer wissenschaftlich fundierten Aufarbeitung der Geschehnisse im heutigen Schullandheim und auf dem nahegelegenen Gräberfeld hat jetzt der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom gemacht. Als Experte für die Kriegsjahre in der Region hat er in Archiven und Datenbanken nach harten Fakten gesucht und diese auch gefunden. Sein Ergebnis: Es sind außergewöhnlich viele ausländische Kleinkinder in der Heilanstalt verstorben und nachweislich einige von ihnen auf dem Friedhof der Vergessenen begraben worden.

Gelderbloms Ergebnisse basieren auf Recherchen im ITS, dem Internationalen Suchdienst, mit Sitz in Bad Arolsen. Eingerichtet von den Alliierten und dem internationalen Roten Kreuz bereits in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges hilft der Suchdienst seinen Klienten, Angehörige zu finden, die in den Kriegswirren verschwunden sind. "Das ist eine der wichtigsten Quellen, wenn es um Personen geht", so der Historiker. Dort hat der Hamelner zahlreiche Unterlagen zu Patienten der Heilanstalt ausfindig gemacht.

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Ein Plan des Friedhofsgeländes. Foto: st
 
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Ein Plan der Anordnung der Gräber. Foto: st

Besonders erschreckend für Gelderblom: "23 Kinder unter einem Jahr sind dort in nur zwei Jahren von 1943 bis 1945 verstorben, das ist eine auffällig hohe Zahl." Diese Tatsache legt laut Gelderblom den Schluss nahe, dass neugeborene Kinder aus den Arbeiterlagern der Landeshauptstadt Hannover nach Nienstedt gebracht wurden, um die Arbeitskraft der Mütter nicht an die Säuglinge "zu verschwenden". "In der Heilanstalt wird man dann gesagt haben: ,Macht mal ein paar Räume für die Kinder frei, da braucht ihr Euch aber nicht groß drum zu kümmern‘", so der Historiker.

Er ist der Überzeugung, dass wenigstens in einem Teil der Heilanstalt bewusst Kinder aus Lagern sich selbst überlassen wurden – Kinder aus slawischen Ländern aus dem Osten. "Und dass gerade slawische Verstorbene nicht neben den deutschen bestattet wurden, war eine übliche Vorgehensweise."

Gelderblom will einen Denkprozess einleiten, der es den Nienstedtern ermöglicht, sich der Vergangenheit zu stellen, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Denn: "Die Einwohner des Ortes müssen sich nicht angegriffen fühlen. So ein Dorf kann nichts dafür, das haben höhere Stellen entschieden." Wenn im Bereich des zivilen Krankenhauses bestimmte Bereiche für die "unerwünschten Kinder" aus den Arbeitslagern vorgehalten worden wären, dann hätte das die Bevölkerung gar nicht mitgekriegt. "Außerdem sprechen wir hier von der späten Kriegszeit, in der Angst vorherrschte. Da hat keiner das Maul aufgerissen", so Gelderblom.

Die frühe Einebnung des Gräberfeldes schreibt der Hamelner den damals unsentimentalen Zeiten zu. Dabei handele es sich rechtlich gesehen um Gräber von Kriegsopfern, die sich die BRD verpflichtet habe zu erhalten.

 
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(DEWEZET vom 14. Juli 2009)

Drei Schicksale - dem Vergessen entrissen

Zwangsarbeit

Bad Pyrmont (jl). Ihre Schicksale stehen für das Leid vieler Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg: Zwei junge Frauen aus Russland und ein Mann aus Polen wurden vor mehr als 60 Jahren auf dem Oesdorfer Friedhof bestattet. Seit gestern erinnert eine Gedenktafel an die drei aus ihren Heimatländern in die Kurstadt verschleppten Verstorbenen.

Zwei von ihnen nahmen sich aus Verzweiflung über ihre Lage das Leben, die dritte starb an Tuberkulose. Den Anstoß zum Gedenken gaben die Pyrmonterin Annelies Sparenberg und der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom, der von fast 1000 Zwangsarbeitern in der Kurstadt weiß.

"Ich hätte nie gedacht, dass das so toll wird", sagt Annelies Sparenberg mit Blick auf die Messingplatte und die drei efeubewachsenen Ruhestätten.  "Das waren so junge Menschen", sagt sie über ihren Antrieb, die Toten dem Vergessen zu entreißen.  Gemeinsam mit Gelderblom schnitt sie im Sommer 2007 die überwucherten Flächen frei, und der Hamelner Historiker erinnerte die Stadtverwaltung an ihre Pflicht zur Pflege der Gräber.
In einem Gespräch Gelderbloms mit Bürgermeisterin Elke Christina Roeder entstand schließlich die Idee zur Tafel – um den Bestatteten ihre Würde zurückzugeben, die den Lebenden während der Nazizeit nicht vergönnt war.  Die Bürgermeisterin betonte denn auch gestern, dass das Gedenken einhergehen müsse mit dem "unbedingten Einsatz für Freiheit und Menschenwürde". Mitglieder der jüdischen Gemeinde legten einen Rosenstrauß am Stein nieder.

"Über die drei in Bad Pyrmont Bestatteten wissen wir furchtbar wenig", bedauert Bernhard Gelderblom. Wie ihn, so freut es auch die Pyrmonterin Graziella Boaro-Titze, dass die Tafel nun an "ein Stück Geschichte des Ortes erinnert". Denn Gelderblom weiß auch: "Das Thema Zwangsarbeiter ist schwierig. Es kommt nicht gut an."

 
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(DEWEZET vom 21. Juni 2009)

"Ich habe keinen Hass auf die Deutschen"

Von Wolfhard F. Truchseß 

 

Hameln. "Dieser Zug kann eigentlich nicht für uns sein", dachte Olga Barbesolle, als sie am 29. März 1942 in der ukrainischen Stadt Charkow mit ihrer Mutter am Bahnhof stand, um als knapp 17-jährige Zwangsarbeiterin nach Deutschland zu reisen. Es war ein Zug aus Viehwaggons, in dem die von deutschen Offizieren angeordnete Fahrt nach Deutschland angetreten werden musste. "Fünf Tage fuhren wir durch die Ukraine, Polen und Deutschland, ehe wir in Braunschweig ankamen und von dort nach Hameln weiter transportiert wurden", berichtete die inzwischen 84-jährige Olga Barbesolle jetzt bei ihrem ersten Besuch an der Stätte ihrer mehr als dreijährigen Zwangsarbeit.

Olga Barbesolle
 
Olga Barbesolle
Mit Schülern im Gespräch.
 
Olga Barbesolle

Den Kontakt zu ihr hatte der französische Historiker und Ethnologe Maurice Born hergestellt, der Hameln seit langem kennt, auf die Arbeiten seines Kollegen Bernhard Gelderblom aufmerksam geworden war und ihm das Tagebuch einer ehemals ukrainischen Zwangsarbeiterin empfohlen hatte, das sie während ihrer Zeit in Hameln geschrieben hatte. Es war unter dem Titel "Les Sans-Amour" (frei übersetzt: Die ohne Liebe lebten) in Frankreich erschienen. "Lebt diese Frau noch?", wollte Gelderblom wissen. Und Born erfuhr Name und Adresse vom herausgebenden Verlag. Der Kontakt war hergestellt.

Jetzt, nach 64 Jahren besuchte die geistig noch höchst frische Frau auf Einladung Gelderbloms Hameln und konnte dank der Offenheit von Volvo-Chef Udo Heukrodt sogar die Halle besichtigen, in der sie einst bei der Rüstungsfabrik Domag Federbeine für Messerschmidt- Jagdflugzeuge montieren musste. "Und hier hat mein Mann gearbeitet", erkannte sie sofort die Stelle wieder, wo der Franzose Robert Barbesolle damals gezwungen war, zu arbeiten. Selbst eine der Baracken, in der die junge Frau damals im Lager leben musste, steht noch an der Wallbaumstraße. Mit nach Hameln gekommen waren ihr Sohn Michel, ihre Tochter Hélène Coupé, die gemeinsam mit ihr das Tagebuch zur Druckreife brachte, und Maurice Born. Gelderblom will das Tagebuch als einzigartiges Dokument übersetzen und in Deutschland herausbringen lassen. Das allerdings kostet Geld, das zu beschaffen er sich jetzt bemüht. Olga Barbesolle berichtete nicht nur Volvo-Chef Heukrodt von ihren "Erlebnissen" während der Zeit in Hameln, sondern auch Schülerinnen und Schülern des 11. und 12. Jahrganges der Elisabeth-Selbert-Schule stand die Zeitzeugin Rede und Antwort, erzählte von der entbehrungsreichen Fahrt mit 40 Leuten in einem nur mit Stroh "ausgestatteten" Viehwaggon und der Zwangsarbeit bei der Domag. "In 12-Stunden-Schichten wurde im Wechsel gearbeitet. Anfangs war das Essen noch ordentlich. Später wurde es immer schlechter." Weil sie nicht verhungern sollten, durften die "Ostarbeiterinnen", wie sie genannt wurden, bei Familien in Hameln im Haushalt helfen. Es war das Glück von Olga Barbesolle, in zwei Familien zu kommen, "die mich anständig behandelten, wo ich Brot und zu essen bekam". Eine davon war Familie Kropp – mit einer Kropp-Tochter telefonierte sie jetzt auch von Hameln aus. Ein Treffen war nicht möglich. Auch der Lagerleiter habe sie "menschlich" behandelt. Sein Name sei Dreyer gewesen, erinnert sich die 84-Jährige an den vergleichsweise guten Eindruck, den er auf sie gemacht habe. 40 bis 45 Menschen seien nach der Ankunft in einen einzigen Raum gepfercht worden, erzählt sie. "Wir hatten nur einen Wasserhahn. Da haben wir uns manchmal darum geschlagen, wer dran durfte." Als die Schlafbaracken errichtet worden seien und sie gemeinsam mit 13 anderen Frauen dort in Doppelstockbetten schlafen durfte, "war das wie Luxus für uns". Ihren Mann Robert lernte sie kennen, weil er in der Nachbarbaracke, getrennt durch einen Zaun, untergebracht war. Geheiratet hat sie ihn am 2. Mai 1945 in der katholischen Kirche St. Augustinus ganze vier Wochen, nachdem die Amerikaner Hameln eingenommen hatten.

Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, mit ihm nach Paris zu gehen und nicht in die Ukraine zurückzukehren. Aber sie habe ja nicht einmal gewusst, ob die Eltern noch leben. 19 Jahre sollte es dauern, bis Olga Barbesolle sie einmal in Paris in die Arme schließen konnte. Den Schülern und Schülerinnen berichtet sie, dass sie "keinen Hass auf die Deutschen empfindet, sondern dass sie froh ist, jetzt hier in Hameln zu sein." An mancher Stelle ihres Besuchs flossen auch Tränen, so gerührt war Olga Barbesolle über diese Rückkehr nach Hameln und den positiven Eindruck, den sie jetzt mit nach Hause nehmen kann.

In den riesigen Hallen der früheren Rüstungsfabrik Domag erkannte Olga Barbesolle die Stelle wieder, an der ihr Mann schuften musste. Fotos: wft

 
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(DEWEZET vom 28. November 2006)

Gegen das Vergessen, für die Würde der Opfer

Historiker stellte neues Gelderblom-Buch über Zwangsarbeit vor / 115 Menschen haben geredet

Hameln (CK). Das staatsbürgerliche Engagement des Hamelner Historikers Bernhard Gelderblom sollte von den Kommunen im Landkreis mehr geschätzt werden. Das forderte Prof. Dr. Hans-Dieter Schmid vom historischen Seminar der Uni Hannover, der gestern Abend beim Landschaftsverband Gelderbloms neues Werk über Zwangsarbeiter vorstellte.

Zwangsarbeit
Beeindruckt:
Prof. Dr. Hans-Dieter Schmid
mit dem neuen Gelderblom-Buch
bei der Präsentation
im Landschaftsverband. Foto: Wal

Gelderblom hat hierin gemeinsam mit Mario Keller-Holte eine Fülle von Daten und Fakten zusammengetragen, die der Festredner "beeindruckend" nannte. Gründlich und systematisch sei ein Buch entstanden, das zum Ziel habe, mit Hilfe von Erinnerungen die Opfer zu würdigen und die Aussöhnung voranzutreiben. Schmid: "Die bis in die heutige Zeit reichende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die zwölf Jahre währende Zwangsarbeit sind kaum im öffentlichen Bewusstsein. Deshalb ist das Buch so immens wichtig."

Gelderblom und Keller-Holte haben mit Hilfe von mühselig recherchierten Fakten und in diversen Archiven Schicksale wie Puzzle rekonstruiert, um sie nicht dem Vergessen anheim zu geben. Besonderes Gewicht haben sie darauf gelegt, die Zwangsarbeiter namentlich zu identifizieren; es sind geschätzt rund 10 000 im gesamten Landkreis Hameln-Pyrmont, ohne die weiteren 2500 Kriegsgefangenen.

Insgesamt 115 Menschen waren bereit, an Hand eines Fragebogens oder in Interviews ihr Schicksal zu schildern, die meisten aus Polen, Russland und der Ukraine. Zu jedem Ort des Landkreises haben die Autoren eine Aufstellung der Lager, Arbeitsstätten oder Umgekommenen verfasst, zumal die Ereignisse so gut wie nie in Ortschroniken auftauchen.

Versuche, Zeitzeugen vor allem unter ehemaligen Arbeitern der Hamelner Industrie zu finden, waren übrigens gescheitert, ebenso bemängelte Gelderblom fehlenden Rückhalt dieser ehrenamtlichen Arbeit bei den Städten und Gemeinden. Dank stattete er hingegen den Kirchen, der Christlich-Jüdischen Gesellschaft, dem Landschaftsverband, der Stadt Hameln, der Kulturstiftung, dem Landkreis, der DEWEZET und der Aerzener Maschinenfabrik für ihre Unterstützung ab.

Bernhard Gelderblom/Mario Keller-Holte: "Ausländische Zwangsarbeit in Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont 1939-1945", Verlag Jörg Mitzkat, ISBN 978-3-931656-96-6

 
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(DEWEZET vom 21. November 2006)

Den Opfern Namen und Gesicht gegeben

"Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939 bis 1945" - sechsjährige Forschung für neues Buch

Hameln (ni). Sechs Jahre lang erforschte der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom das Schicksal ausländischer Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkrieges in Hameln und Umgebung Frondienst leisten mussten. Zusammen mit Dr. Mario Keller-Holte brachte er Licht in ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte, an dem nicht nur an den bekannten Stätten des Grauens geschrieben wurde, sondern auchan weniger bekannten Orten im Landkreis Hameln-Pyrmont. Mit der Vorstellung des gemeinsam verfassten Buches "Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939 bis 1945" am Montag, 27. November, 17 Uhr im Pavillon des Landschaftsverbandes, findet das von großem ehrenamtlichem Engagement getragene Projekt nun seinen offiziellen Abschluss.

Das Leiden der jüdischen Bürger Hamelns unter dem rassistischen Terrorregime der Nazis, das Leiden der politischen Gefangenen im Hamelner Zuchthaus in der Zeit des totalitären Dritten Reiches und jetzt das Schicksal der Zwangsarbeiter: Wie kein Zweiter in Hameln hat Gelderblom lokale NS-Geschichte aufgearbeitetund dazu beigetragen, die mit dem Mantel des Vergessens und Verdrängens zugedeckten Verbrechen an Menschen zu benennen, den vielen Opfern Namen und Gesichter zu geben. Um das Gedächtnis an die etwa 10 000 von den Nazis nach Hameln verschleppten ausländischen Männer, Frauen und Kinder zu wahren, durchforstete er Archive, legte zusammen mit Keller-Holte Datenbanken an, begab sich auf Spurensuche und befragte Zeitzeugen. Nicht überall war Gelderblom mit seinen Fragen willkommen.

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit nahm der Historiker Kontakt zu zahlreichen ehemaligen Zwangsarbeitern auf. Auszüge aus dem Briefwechsel, der sich daraus entwickelte, fasste Gelderblom in dem bereits erschienenen Buch "Am Schlimmsten waren der Hunger und das Heimweh" zusammen. Eine im Sommer in der Hamelner Münsterkirche eröffnete Ausstellung unter dem Namen "Gesichter" konfrontierte die Besucher mit konkreten Schicksalen der oft noch sehr jungen Verschleppten und informierte über das Ausmaß der Zwangsarbeit in Stadt und Landkreis.

Im Herbst des gleichen Jahres folgt eine Einladung an ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen. Erst vor kurzem kehrten auf Einladung eines kleinen Kreises engagierter Mitstreiter um Gelderblom ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine erstmals an den Ort zurück, an dem sie unfreiwillig und ungefragt einen Teil ihrer Kindheit verbringen mussten.

Das Buch "Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939 bis 1945" bildet den vierten und abschließenden Baustein des Projektes. Es beinhaltet die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas auf der Grundlage unterschiedlichster Quellen und führt diese mit Zeitzeugenberichten und den Aussagen aus den Briefen der Opfer zusammen.

"Das Buch hat bei allem notwendig wissenschaftlichen Charakter den Anspruch, das Thema Zwangsarbeit zum Bestandteil der Heimatgeschichte zu machen. Ortschroniken - wenngleich längst nicht mehr alle - sparen dieses politisch heikle Thema bekanntlich gerne aus", schreiben Gelderblom und Keller-Holte in ihrem Vorwort. Für die Stadt und für fast jeden Ort des Landkreises in seinen damaligen Grenzen finde sich darin "seine Geschichte der Zwangsarbeit, eine Aufstellung der zahlreichen Lager, der vielfältigen Arbeitsstellen, der Umgekommenen und ihrer Begräbnisstätten". Das Buch, so die beiden Autoren, verschweige aber auch nicht, "dass es neben Gleichgültigkeit und Feindseligkeit gegenüber den ausländischen Arbeitskräften immer wieder auch Beispiele der Mitmenschlichkeit oder gar konkrete Hilfe von Einheimischen gegeben hat".

 
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(DEWEZET vom 21. November 2006)

Zum Thema (s. Artikel zuvor)

Hameln (ni). Drei ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine besuchten kürzlich auf Einladung eines kleinen Kreises engagierter Bürger um Historiker Bernhard Gelderblom die Rattenfängerstadt. Nach mehr als 60 Jahren kehrten sie an die Orte zurück, an die sie von den Nazis verschleppt worden waren. Und sie trafen Menschen wieder, die sie seit mehr als 60 Jahren nicht gesehen haben, an die sie sich aber trotz der Umstände Zeit ihres Lebens gern erinnerten. So begegnete Merem Osmanowa auf dem Kroppschen Hof in Tündern der Landwirtstochter Irma, mit der sie damals Freundschaft geschlossen hatte. Und Maria Titowa traf Ingeborg wieder, die Tochter der Familie Albert aus Hameln, die die damals 18-jährige Zwangsarbeiterin wie ein eigenes Kind in ihrer Familie aufgenommen hatte. Die seit Anfang der 90er Jahre in Hameln leben de Ukrainerin Ljudmyla Todryna begleitete Maria Titowa als Dolmetscherin und war auch bei dem Wiedersehen mit Ingeborg Meyer, geborene Albert, in Tündern dabei. Sie schreibt über diese Begegnung:

"Geboren wurde Maria 1924. Im Jahr 1942 wurde sie nach Deutschland verschleppt. Hier arbeitete sie bei der Familie Albert. Das war eine Gärtnerfamilie, wo außer Maria noch zwei Zwangsarbeiter aus Osteuropa gearbeitet hatten; einer war aus Polen, der andere aus Weißrussland. Die jungen Leute mussten das Zeichen ,Ost' an ihrer Kleidung tragen. Doch trotzdem mochte Familie Albert das Mädchen aus der Ukraine. Maria hatte ein eigenes Zimmer und aß das gleiche Essen wie die Herrschaften. Obwohl die Arme ein großes Heimweh hatte, arbeitete sie fleißig und war sehr freundlich zu allen.

Schon bald wurden Ingeborg und Maria die dicksten Freundinnen. Wenn man die damalige Propaganda der Nazis berücksichtigt., die massiv auf die jungen Leute einwirkte, ist das fast unvorstellbar. Die Verwandten der beiden Mädchen waren im Krieg, und die Freundinnen mussten ständig an sie denken. Sie dachten nicht daran, wer den Krieg gewinnen würde, denn Politik interessierte sie nicht. Es war nichts außergewöhnliches, dass zwei Mädchen in diesem Alter Krieg und Politik verachteten; sie hofften nur darauf, geliebt zu werden und den Frieden zu spüren.

Ingeborg fotografierte ihre Freundin überall: im Garten beim Arbeiten, im Haus und vieles mehr. Als Maria 1945 nach Hause zurückkehrte, nahm sie das Fotoalbum mit, bewahrte es auf und hütete es in der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrer Freundin.

Und nun ist es soweit. Maria ist wieder da. Sie will sofort ihre Ingeborg wieder sehen; der Sohn lädt sie zu einem Besuch ein. Es ist schwer zu beschreiben, wie froh Maria war. Nun war sie am Ziel ihrer Reise angekommen, die sie mit 82 Jahren unternommen hat. Die beiden Frauen erkannten einander sofort. Man konnte das nicht ohne Tränen sehen. Sie blätterten das Fotoalbum durch und redeten, redeten, redeten... Sie erzählten von ihren Kindern, von der Vergangenheit und waren glücklich, nun alles über einander wissen zu können."

In aller Freundschaft - ein deutsch-ukrainisches Wiedersehen in Tündern.

 
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(DEWEZET vom 30. Oktober 2006)

Zeitzeugen zu Besuch

Hameln (ni). Die Gäste aus der Ukraine haben bei ihrem einwöchigen Aufenthalt in Hameln ein volles Programm. Neben Stadtbesichtigung und Gesprächen mit Schülern des Einstein-Gymnasiums und der Elisabeth-Selbert Schule nimmt der Besuch der ehemaligen Arbeitsorte breiten Raum ein. Nachdem die Gruppe am Samstag offiziell von der Stadt empfangen worden war, besuchte sie gestern die Begräbnisstätte für Zwangsarbeiter auf dem Friedhof Wehl und nahm dort teil an einer Feierstunde, die von dem ukrainischen Pfarrer Myron Molzcko aus Bielefeld gestaltet wurde.
 

Zeitzeugen 2006
Bürgermeister Rolf Bremeyer empfing die Gäste aus der Ukraine,
ehemalige Zwangsarbeiter. Foto: Wal

 
Zwei weitere Veranstaltungen finden in dieser Woche statt: Heute, 19.30 Uhr, hält der Historiker Bernhard Gelderblom im Gemeindehaus der Kreuzkirche (pengösenanger) einen Vortrag zum Thema Zwangsarbeit. Anschließend besteht Gelegenheit, mit den Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Am Dienstag, 31. Oktober, 19 Uhr, gibt Ulrike Dangendorf zu Ehren der ukrainischen Gäste ein Konzert in der Jüdischen Kultusgemeinde, Lohstraße 2 (Eintritt ist frei).

 
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(DEWEZET vom 18. Oktober 2006)

61 Jahre nach dem Ende des Krieges: Rückkehr an die Orte des Leidens

Hameln (ni). Marija Saplijawa war 15 Jahre alt, als sie zum ersten Mal nach Hameln kam. "Die Fahrt war sehr schwer", schreibt sie 59 Jahre später in einem Brief an den Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom, "wir fuhren zwei Wochen." Zwei Wochen in einem Güterwagen - unterwegs in ein erbärmliches Leben mit harter Arbeit bei lächerlichem Lohn und Hunger als täglichem Begleiter. Marija Saplijawa war eine von fast 10 000 Zwangsarbeitern, die während des Zweiten Weltkrieges in Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont Fronarbeit leisten mussten. Fast 64 Jahre nach ihrer Verschleppung aus der Ukraine kehrt sie jetzt nach Hameln zurück.
 

Marija Saplijawa
Marija Saplijawa kehrt nach 64 Jahren
nach Hameln zurück.

 
Damals war sie aus der Ukraine verschleppt worden - dieses Mal kommt sie, um zu erzählen. In einer auf mehrere Jahre angelegten wissenschaftlichen Forschungsarbeit hat Gelderblom Licht in ein dunkles Kapitel Hamelner Geschichte gebracht. Bei seine Recherchen zum Schicksal von NS-Zwangsarbeitern in Hameln und Umgebung beschränkte er sich nicht auf die Auswertung von Archivmaterial, sondern machte sich auf die Suche nach Zeitzeugen und Überlebenden. In den Jahren 2000 bis 2003 nahm er brieflich Kontakt mit 115 ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen vor allem aus Polen, aber auch aus Russland und der Ukraine auf. Der umfangreiche Briefwechsel, der sich daraufhin entwickelte, zeigt ein zumeist erschütterndes Bild von der Lage der Deportierten. "In den Briefen klang immer wieder an, wie sehr sich die Menschen wünschten, noch einmal an die Orte ihrer Zwangsarbeit zurückzukehren, um sich den traumatischen Erlebnissen in Deutschland zu stellen", so Gelderblom.

Weil ehrenamtliche Kräfte sich dafür einsetzten, konnte im vergangenen Jahr erstmals eine Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Polen nach Hameln eingeladen werden. Für dieses Jahr organisierte der kleine Kreis engagierter Mitstreiter um Gelderblom den Besuch von vier Zwangsverschleppten aus der Ukraine. Am 27. Oktober werden sie in Hameln erwartet, am 2. November fliegen sie zurück in ihre Heimat. Zur Vorbereitung dieses Besuches reiste Gelderblom im Sommer in die Ukraine - und traf dort unter anderem Marija Saplijawa, die von 1942 bis zur Befreiung durch die Amerikaner in der Kleiderbügel- und Kleinmöbelfabrik Sinram&Wendt arbeiten musste. 2001 hatte sie in einem Brief an den Hamelner geschrieben: "Ein alter Deutscher, der an einer der Werkzeugmaschinen arbeitet, hat mir einen hölzernen Pilz zum Stopfen ausgeschnitten und sagte: 'Nimm Mariechl, zum Andenken. Das wird Dich in der Ukraine an mich erinnern.' Und ich bewahre diesen Pilz bis heute auf." Als Gelderblom die Ukrainerin besuchte, holte Marija Saplijawa den alten Stopfpilz hervor - Erinnerung an eine menschliche Begegnung in einer unmenschlichen Zeit.

 
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(DEWEZET vom 22. September 2005)

Zum Gebet reichten sie sich die Hände

Zwangsarbeiter berichteten von bitteren Erinnerungen / Aufruf zur Versöhnung

Hameln (gro). Im Rahmen der zurzeit stattfindenden Ausstellung in der Münsterkirche "Gesichter", Ausländische Zwangsarbeit in und um Hameln 1939-1945, besuchen 13 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen die Rattenfängerstadt. In diesen Tagen suchten sie ihre damaligen Arbeitsstätten und Wohnorte auf, wobei es auch zu Begegnungen mit den damaligen Arbeitgebern oder deren Nachkommen kam.
 

Begegnung
Bittere Erinnerungen und Einzelschicksale wurden in den Erzählungen
der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen
an dem Begegnungsabend wachgerufen.


Der Historiker Bernhard Gelderblom hatte alle, Polen sowie Deutsche, in die Münsterkirche zu einem Begegnungsabend eingeladen. "Wichtig ist mir, die ehemals Gezwungenen an den Ort des Leidens zurückkehren zu lassen, um die Wunden der Erinnerung schließen zu können. Wir möchten", so der Moderator gegenüber den 13 Gästen aus Polen, "dass Sie hier zu Wort kommen und uns das gesamte Bild der Zwangsarbeit und Deportation klarmachen."

BegegnungMehr als 60 Personen waren der Einladung zu diesem Begegnungsabend gefolgt, darunter die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Warschau, Lodz und Posen. Als Jugendliche und Kinder hatten sie die leidvolle Deportation und Zwangsarbeit erlebt. Bittere Erinnerungen und Einzelschicksale wurden in ihren Erzählungen über das Erfahrene wachgerufen, dem das Publikum schweigend und teilweise betroffen zuhörte. Nicht nur Einzelpersonen waren damals willkürlich in ihrer polnischen Heimat festgenommen und deportiert worden - nein, ganze Familien wurden in das Deutsche Reich verschleppt. Geschätzt wird, dass damals in Hameln und Umgebung bis zu 10 000 Menschen anderer Nationen zur Arbeit gezwungen wurden.

"Sicherlich gibt es hier und da noch Hass und Vergeltungsgedanken der ehemals Gezwungenen", so Gelderblom vor der Veranstaltung, "aber nicht bei denen, die uns in Hameln besuchen." Das bestätigten diese auf eindrucksvolle, ja, beschämende Weise. Sie seien dankbar, dass sie in Hameln sein dürften, mit der Hoffnung, nicht vergessen zu werden. "Ich habe keinen Hass und danke dafür, dass sie offen dafür sind, dass anzuhören, was wir erlebt haben", sagte Stanislaw Kicman. Er war es auch, der nach dem Schlusswort von Gelderblom nochmals um das Wort bat: "Ich möchte, dass wir uns alle in der Kirche die Hand reichen und zusammen das Vater unser beten", damit zur Versöhnung aufrief, dem alle Teilnehmer folgten.

 
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(DEWEZET vom 17. September 2005)

Wichtige Zeitzeugen kommen zu Besuch

Ehemalige Zwangsarbeiter bei "Gesichtern"

Hameln (red). Vor 60 Jahren waren sie vielleicht das letzte Mal hier - jetzt kommen sie wieder zurück an einen Ort, an den sie wahrscheinlich nur wenig gute Erinnerungen haben. Bernhard Gelderblom hat für seine Ausstellung "Gesichter", die zurzeit im Münster St. Bonifatius zu sehen ist, 115 Kontakte zu ehemaligen Zwangsarbeitern aus Polen knüpfen können. "Wir haben diesen Menschen durch unser Interesse sehr geholfen", so Gelderblom. Heute werden einige von ihnen bis zum 24. September nach Hameln kommen.

"Die Ausstellung wäre ohne die Briefwechsel nicht so gut gelungen", betont Gelderblom die Wichtigkeit der Zeitzeugen. Ein volles Programm erwartet sie deshalb: Am Sonntag werden die Gäste aus Polen die Ausstellung besuchen und an Gottesdiensten und Gesprächen teilnehmen. Am Montag fahren sie nach einem Treffen mit Oberbürgermeister Klaus Arnecke in die Linsingen-Kaserne, in der sie nach ihrer Befreiung damals untergebracht waren. Am Dienstag kehren sie dann an den Ort ihrer Zwangsarbeit zurück: Sowohl zu Arbeits- als auch zu Aufenthaltsorten führt Gelderblom seine Gäste. Am Mittwoch und Donnerstag werden sie in der Elisabeth-Selbert-Schule und im Albert-Einstein-Gymnasium Gespräche führen und das Weserbergland neu entdecken. Am Freitag gibt es eine ökumenische Andacht zum Abschluss der Besuchswoche, bei der auch die Spender anwesend sein werden. Der Besuch der ehemaligen Zwangsarbeiter wird mit einem städtischen Zuschuss finanziert.

 
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(DEWEZET vom 26. April 2005)

Sie will ihren Geburtsort wiedersehen

60 Jahre nach Kriegsende Einladung polnischer Zwangsarbeiter nach Hameln

Hameln (wft). 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bereiten sich in Polen etwa 20 ehemalige Zwangsarbeiter darauf vor, vom 18. bis 25. September Hameln zu besuchen, wo sie zum Teil jahrelang in Werken wie der Domag unter meist unmenschlichen Bedingungen Sklavenarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie zu leisten hatten oder auch als kleine Kinder in den Baracken lebten. Vorbereitet wird diese Versöhnungsaktion mit der Vergangenheit derzeit von dem Historiker Bernhard Gelderblom, der polnischen Studentin Magdalena Bilska (24) und dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hameln, Pastor Herbert Dieckmann. Thematisch verknüpft wird der Besuch mit der Ausstellung "Zwangsarbeit in Hameln-Pyrmont" im Hamelner Münster.
 

Treffen
Treffen mit ehemaligen Zwangsarbeitern in Warschau:
Vorne (v.l.n.r.) Zofia Przybylowska, Zofia Tarasinska, Jan Olejniczak,
hinten Macius Kicman, Juliusz Kozlowski, Halina Bielecka und Bernhard Gelderblom.

 
Den Kontakt zu den ehemaligen Zwangsarbeitern stellte Gelderblom in den Jahren 2000 bis 2003 brieflich her. In ihren Briefen äußerten viele von ihnen den Wunsch, noch einmal an die Orte ihrer Zwangsarbeit zurückzukehren, "um sich ihren traumatischen Erlebnissen in Deutschland erneut zu stellen", wie es in einem Informationsblatt heißt, das seit wenigen Tagen in den Hamelner Buchhandlungen, der Stadtsparkasse, der Volksbank und am Ticket-Schalter der DEWEZET ausliegt.p>

Bei einer Fahrt durch Polen über Torn, Warschau, Lodz und Posen nahmen Gelderblom und Magdalena Bilska, die den Historiker als Dolmetscherin begleitete, persönlichen Kontakt zu den ehemaligen Zwangsarbeitern auf. Als bestürzend empfindet es Gelderblom, dass einige der Briefschreiber kurz vor seinem Besuch in Folge ihres hohen Alters verstorben waren.

Einige der Zwangsarbeiter und ihre Kinder, die vor 60 Jahren in Hameln waren, haben sich inzwischen in Warschau getroffen. Janina Zdewska zum Beispiel, 1942 in Coppenbrügge geboren, äußerte gegenüber Gelderblom und Magdalena Bilska: "Das wäre mein Traum, meinen Geburtsort noch einmal zu sehen!" Bei seinem Besuch in Polen stellte Gelderblom fest: "Das Bedürfnis, nach Hameln zu kommen, ist groß. Die Erinnerung an die Zwangsarbeit ist außerordentlich stark. Der Besuch soll die Erinnerungsarbeit abrunden."

Geplant sind für die Besuchswoche ein Empfang durch Oberbürgermeister Klaus Arnecke, Besuche an den Stätten ihrer Zwangsarbeit, eine Kranzniederlegung auf dem Friedhof Wehl, wo einige der Eingeladenen sogar Angehörige liegen haben, die hier den Tod fanden. Auch eine öffentliche Veranstaltung wird es geben: "Zwangsarbeiter als Zeitzeugen". Dazu Begegnungen mit Hamelner Bürgern, etwa bei einem Gesprächskreis im Hamelner Münster, und Gespräche mit Schulklassen. Die Unterbringung der Gäste soll bei Hamelner Familien organisiert werden.

Weil die Eingeladenen die Reise wegen ihrer meist sehr kleinen Renten selbst nicht finanzieren können, werden für den Besuch noch Sponsoren und Spender gesucht. Gelderblom und Dieckmann schätzen die Kosten auf etwa 10 000 bis 12 000 Euro. 500 bis 1000 Euro hat die Stadt Hameln in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: In Osnabrück finanzierte die Stadt einen Besuch von Zwangsarbeitern mit 40 000 Euro. In anderen Städten wurden Mitarbeiter abgestellt, um den Besuch zu organisieren. In Hameln geschieht dies alles auf ehrenamtlicher Basis und in der Hoffnung, dass Hamelner Bürger, Banken und Firmen sich an der Finanzierung der Fahrtkosten, der Verköstigung, der Dolmetscherkosten und des Programms beteiligen.

Spenden erbitten die Organisatoren auf das folgende Konto des Kirchenkreisamts: Stadtsparkasse Hameln, BLZ 254 500 01, Konto-Nr. 3384, Stichwort: "Zwangsarbeiter-Besuch".

Weitere Informationen bei Bernhard Gelderblom, Tel.: 05151 61839, und Herbert Dieckmann, Tel.: 05151/106053

 
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(DEWEZET vom 24. Juni 2004)

"Ein weißer Fleck in der Hamelner Stadtgeschichte"

Gespräch mit Bernhard Gelderblom und sein Buch "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger"

 
Hameln. Sein Name ist untrennbar mit der Aufarbeitung der NS-Zeit verbunden: Bernhard Gelderblom. Seine Ausstellungen, Bücher, Vorträge haben seinen Namen weit über den regionalen Raum hinaus bekannt gemacht. Vergangenen Woche stellte er sein neues Buch "Am schlimmsten waren das Heimweh und der Hunger" (Verlag Jörg Mitzkat, 14.80 Euro) vor, das dem Schicksal der Zwangsarbeiter in und um Hameln gewidmet ist. Mit Bernhard Gelderblom sprach Richard Peter.

Es war, wie Bernhard Gelderblom sagt, "ein weißer Fleck in der Hamelner Stadtgeschichte": Die Schicksale der Zwangsarbeiter aus den Jahren 1939 bis 1945. Als der bekannte Historiker nach dem 40. Jahrestag der Befreiung, 1985, in einer Ausstellung sich erstmals mit dem Thema beschäftigte, war ihm nicht klar, was für ein Riesenprojekt sich da anbahnte. So sehr ihn das Thema schon lange verfolgt hatte - und durch die Entschädigungsdebatte auch in der Öffentlichkeit einen neuen Stellenwert erhielt: Die Quellen, die ihm zur Verfügung standen, waren eher spärlich.

Kommt dazu - anders als beim Holocaust - dass die Zwangsarbeiter als "normale Begleitung des Krieges" galten - auch durch die herrschende Ideologie, die in den Slawen "Untermenschen" sah. Was Gelderblom an Fakten zur Verfügung stand, brachte ihn auf die Idee, Zeitzeugen zu befragen, ein traditionelles Mittel, Geschichte erfahrbar zu machen. Vor ein paar Tagen konnte er das Ergebnis seiner Befragungen vorstellen. Dabei war das Buch, das auf der Basis von rund 300 Briefen von 115 Briefschreiberinnen und Briefschreibern entstand, nicht geplant, wie Gelderblom betont - war ausschließlich Folge der Briefflut; deren erschütternde Aussagen Anspruch auf Veröffentlichung hatten.

Nur nach und nach rundete sich das Bild: Betroffenheit über die brutale Sprache der Merkblätter, in denen der Umgang mit den Zwangsarbeitern geregelt war. Was den engagierten Historiker immer wieder überraschte und erschütterte: die unverblümte, brutale Sprache, in der über diese Menschen geschrieben wurde; dass selbst die NS-Behörde sich in Einzelfällen gegen die gängige Praxis stellte und meinte: "So könnt ihr die nicht behandeln".

Während seiner Arbeit erhielt Gelderblom immer wieder Anrufe betroffener Firmen, die ihm versicherten, es seien nur Freiwillige zur Arbeit herangezogen worden. Kein Zwang - im Gegenteil, wie es hieß: man wollte die Polen, Ukrainer und Russen vor Schlimmerem bewahren. Andere wiederum behaupteten, man habe nur Kriegsgefangene eingesetzt. Bei den meisten aber hieß es: "Keine Akten mehr". Gelderblom bezeichnet diese Anrufe, die vor etwa drei Jahren stattfanden, als "bedrückende Sache" und bedauert, dass Hamelner Firmen kaum in die Fonds für Zwangsarbeiter eingezahlt hätten.

Was die Briefe betrifft, die sich bei Gelderblom im Laufe der Zeit in fünf Leitz-Ordnern sammelten, bezeichnet er als "einfach erschütternd". Vor allem die beschriebene "Intensität des Leidens" habe ihn betroffen gemacht, aber auch der Versuch der Briefschreiber, "redlich mit der Vergangenheit und dein Erlebten umzugehen".

Und immer wieder die Frage: "Was machst du eigentlich mit den Briefen?" - die Gelderblom "sehr ausführlich zu beantworten versuchte", wie er sagt. Und erstaunt war über die Dankbarkeit der Adressaten, "dass endlich jemand Interesse an ihrem Schicksal zeigte".

Womit Gelderblom immer wieder konfrontiert war, was als besonders schwerer Schicksalsschlag empfunden wurde: Die Brutalität, mit der Menschen aus ihrer Umgebung herausgerissen wurden. Das machte es für Gelderblom auch so schwierig, für sein Buch eine Auswahl zu treffen.

Schließlich entschloss er sich, Kapitel und thematische Schwerpunkte zu bilden, damit das umfangreiche Material lesbar blieb. So erschienen zwar die meisten Briefe in Auswahl und gekürzt - nur einige wurden in Originallänge veröffentlicht um authentische Eindrücke zu vermitteln.

Denn die so persönlich geprägten brieflichen Aussagen der Zeitzeugen entsprechen, wie Gelderblom immer wieder nachprüfen konnte, sehr genau der Wirklichkeit. Auch wenn manches vielleicht übersteigert dargestellt ist, sei er überzeugt, dass "die Briefe Realität widerspiegeln".

Was Gelderblom, der im nächsten Jahr eine umfassende Schau des gesamten Materials mit Hilfe des Historiker-Kollegen, Dr. Mario Keller-Holte, zeigen will - wobei die Finanzierung noch völlig ungesichert ist - beschäftigt, wie man diesen Menschen, deren Leben zerstört wurde, "etwas Gutes tun könne. Eine Einladung", so Gelderblom "würde sehr viel bedeuten" - denn: "eine Geste wäre etwas sehr wertvolles, ein positives Signal der Stadt, die das Thema so lange verdrängt hat und mit seiner Vergangenheit", wie Gelderblom anmerkt, "nicht immer sonderlich sensibel umgegangen ist".

Zur geplanten Ausstellung ist zusätzlich eine weitere Publikation geplant, die stärker wissenschaftlich orientiert sein soll, vor allem aber mehr Zahlen, Fakten - aber auch Firmen und Standorte benennen soll. Auch Sonderthemen wie die "fremdvölkischen Kindergärten" beleuchten will. Dazu ist auch eine Präsentation im Internet geplant.

Hameln, so Gelderblom, ist mit dem Thema "spät dran" - und ohne ihn wäre das Thema vermutlich in Vergessenheit geraten. Was er vermisst - und Hameln vorwirft: "kein Gefühl für Gesamtverantwortung zu besitzen".

 
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