Presse

 

Das Hamelner Zuchthaus in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit

Gelderblom: Manche wurden wahnsinnig dabei - 15.12.2009
Auf den Spuren Hamelner Zuchthaus-Insassen - 29.09.2009
Auf Spurensuche an den Orten des Schreckens - 02.08. 2008
In Hameln getötet - Holländer auf Spurensuche - 01.10.2004
Das vergessene Lesezeichen brachte ihn ins Zuchthaus - 17.09.2004
Historiker mahnt: Hameln soll an dieses dunkle Kapitel erinnern - 17.09.2004

 

 

(DEWEZET vom 15. Dezember 2009)

Gelderblom: Manche wurden wahnsinnig dabei

Von Wolfhard F. Truchseß Hameln. Er gilt als ausgewiesener Experte vor allem für die jüngere Hamelner Stadthistorie, hat sich intensiv mit der Geschichte der Juden der Stadt beschäftigt, über die Situation der Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs aufgeklärt und eine ebenso umfang- wie erfolgreiche Ausstellung über die NS-Erntedankfeste auf dem Bückeberg zusammengestellt. Zahlreiche Bücher zeugen außerdem von den Forschungsarbeiten des Hamelner Historikers Bernhard Gelderblom, der gestern sein jüngstes Werk über die Geschichte der verschiedenen Hamelner Haftanstalten in der Jugendanstalt (JA) in Tündern vorgestellt hat. Es trägt den Titel "Vom Karrengefängnis zur Jugendanstalt" und basiert auf einer Ausstellung, die Gelderblom im Jahr 2008 zum 30-jährigen Bestehen der größten europäischen Jugendhaftanstalt zusammengestellt hatte.

Zuchthausbuch2009
Christiane Jesse, Leiterin der Jugendanstalt in Tündern, präsentiert
gemeinsam mit dem Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom
dessen neuestes Buch "Vom Karrengefängnis zur Jugendanstalt –
über 300 Jahre Strafvollzug in Hameln".

Die Anregung, mit diesem Buch den Inhalt der Ausstellung für die Nachwelt zu erhalten, hatte Christiane Jesse, die Leiterin der JA, gegeben und mit der Zusage, ein größeres Kontingent an Büchern zu übernehmen, gleichzeitig die Drucklegung beim Verlag Jörg Mitzkat in Holzminden ermöglicht. Jesse, die das Buch gemeinsam mit Gelderblom präsentierte, dankte dem Historiker für seine Arbeit, denn die Geschichte der Hamelner Haftanstalten war bisher nur in Teilen erforscht; viele Akten waren nicht zentral erfasst und lange Zeiträume nicht dokumentiert.

Gelderblom berichtet in dem rund 100 Seiten umfassenden Buch von den üblen Zuständen, die beispielsweise in dem 1698 errichteten Karrengefängnis am Langen Wall herrschten, das bis Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem als Arbeitskräftereservoir für die große Hamelner Festung diente und dessen Insassen auch bei der von Napoleon angeordneten Schleifung eingesetzt wurden.

Der neue Stockhof löste nach einer Reform der Strafanstalten 1820 das Karrengefängnis ab. Es sollte nach den Reformvorstellungen der hannoverschen Regierung eine Anstalt werden, in der das Ziel zu verfolgen war, die Häftlinge durch regelmäßige körperliche Arbeit zu bessern. Eine an sich gut gemeinte Reform führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu, dass ein Bau mit 85 Einzelzellen errichtet wurde und die dort Einsitzenden keinerlei Kontakt zueinander haben durften. "Manche wurden wahnsinnig dabei", berichtet Gelderblom. "Es wurde damit die Absicht verbunden, kriminelle Infektionen zu verhindern." Selbst in der Kirche hatte jeder eine Art Isolationszelle, einen sogenannten "Stall", der dem Häftling nur den Blick auf den Altar erlaubte, aber den Kontakt zum Sitznachbarn unterband. Vorbild dieser neuen Form der Inhaftierung war nach Feststellung des Hamelner Historikers das britische Gefängnis von Pentonville. Es habe als "Mustergefängnis zur Standardlösung von Zellengefängnissen für Einzelhaft" gegolten, wie Gelderblom schreibt.

Ausführlich werden auch die Geschichte des Zuchthauses zur Nazizeit und der Wandel dargestellt, den die Zustände in dieser Zeit erlebten. Kleinstkriminelle wurden von den Nazis als Schwerverbrecher verurteilt, Homosexuelle massiv verfolgt und mit Zuchthausstrafen belegt, Juden und politische Gegner inhaftiert. Nach dem Krieg übernahmen die Briten bis 1950 die Haftanstalt und machten sie zur Hinrichtungsstätte. 1955 wurde das Gefängnis geschlossen, drei Jahre später aber als Jugendstrafanstalt mit reinem Verwahrcharakter wieder in Betrieb genommen. Erst Dr. Gerhard Bulczak sorgte mit der Entwicklung des "Hamelner Modells" dafür, dass junge Straftäter die Möglichkeit bekamen, im Knast Schul- und Berufsausbildungen abzuschließen und sich auf ein Leben nach Verbüßung ihrer Strafe vorzubereiten.

Das alles gehört, wie Christiane Jesse betont, zur Stadtgeschichte Hamelns und wird von Gelderblom erstmals zusammenhängend dargestellt.

Das im Verlag Jörg Mitzkat erschienene Buch kostet 14,80 Euro. 

 
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(DEWEZET vom 29. September 2009)

Auf den Spuren Hamelner Zuchthaus-Insassen

Von Wolfhard F. Truchseß

Hameln. Willi Brinkmann würde heute wohl als Kleinkrimineller betrachtet werden. Er hatte keine besonders gute Ausbildung, galt als wenig intelligent und hatte in der Zeit von Juni 1941 bis Juni 1942 insgesamt 21 Kleintierdiebstähle in Gartenkolonien begangen. Stünde er heute vor Gericht, käme er wohl mit einer Geldbuße davon. 1942 aber wurde er von einem Sondergericht wegen fortgesetzten schweren Diebstahls "unter Ausnutzung des Kriegszustandes" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Von der Todesstrafe wurde abgesehen, da ihm attestiert wurde, "dass aus ihm nach Verbüßung einer angemessenen, zeitigen Zuchthausstrafe noch einmal ein tauglicher Mensch wird". Nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus dem Außenlager "Hecht" bei Eschershausen kommt es in der Arrestzelle zu einem Kampf mit einem Hauptwachtmeister. Brinkmann wird wegen Mordversuchs angeklagt, zum Tode verurteilt und am 10. Oktober 1944 "durch den Strang hingerichtet". 

Brinkmanns Schicksal ist so genau dokumentiert, weil die beiden Historiker Mario Keller-Holte und Bernhard Gelderblom in den Jahren 2008 und 2009 damit begonnen haben, die Karteikarten der Gefangenen des Zuchthauses Hameln zu katalogisieren und in einer Datenbank zusammenzufassen. Finanziell unterstützt wird die Forschungsarbeit von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, die selbstkritisch festgestellt hat, dass die Geschichte der Gefangenen in den Zuchthäusern der Nazizeit bislang nur unzureichend erforscht und dokumentiert war.

81 laufende Meter Aktenbestand

Gelderbloms Forschungsarbeiten über die Hamelner Stadtgeschichte und die von ihm im Jahr 2004 zusammengestellte Ausstellung "Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit", die im Hamelner Amtsgericht zu sehen war, gaben dann den Anstoß für das neue Projekt. Damit entsteht derzeit die erste Dokumentation über die Zusammensetzung der Zuchthaus-Insassen. Im Jahr 2007 stellten Gelderblom und Keller-Holte die ersten Anträge. Für 2008 wurden 12 000 Euro bewilligt, für 2009 weitere 5000 Euro von der Stiftung bereitgestellt. Die Stiftung selbst ist die Nachfolgerin der von der Regierung Wulff aufgelösten Landeszentrale für politische Bildung und hat ihren Sitz in Celle. In der Zeit von 1933 bis 1945 durchliefen nach Feststellung von Keller-Holte und Gelderblom mehr als 10 000 Häftlinge das Zuchthaus in Hameln. "Ihre Personalakten und Karteikarten werden im niedersächsischen Staatsarchiv aufbewahrt", berichtet Gelderblom. Der gesamte Aktenbestand umfasse etwa 81 laufende Meter. Alles sei in den Gefangenenakten "bürokratisch genau" notiert: "Der Zeitpunkt der Aufnahme, der Gesundheitszustand, konfiszierte Briefe sind enthalten, Besuche notiert, Gnadengesuche, Gnadengutachten und auch die Urteile sind mit dabei", erläutert Keller-Holte den Inhalt der Akten. Manche seien nur drei Blätter stark, andere dagegen bis zu sechs Zentimeter dick.

Parallel zu den Gefangenenakten wurden nach Feststellung der beiden Historiker Karteikarten mit Haftgrund, Haftdauer, Urteilsinstanz, das Aktenzeichen des Urteils, gelegentlich auch mit handschriftlichen Vermerken über den Aufenthalt in einem Außenlager geführt. Diese Karteikarten bilden jetzt die Grundlage für die Datenbank über die Hamelner Zuchthaus-Insassen. Sie soll Angehörigen der Betroffenen in absehbarer Zeit die Möglichkeit eröffnen, mehr über das Schicksal ihrer Verwandten zu erfahren. Von knapp 10 000 vorhandenen Karteikarten haben die beiden Forscher bislang rund 3500 durchgearbeitet und erfasst. Besonders bemerkenswert an den Erkenntnissen von Gelderblom und Keller-Holte: Echte Kriminelle, Schwerverbrecher wie Mörder und Totschläger, waren unter den mehr als 10 000 Personen, um die es sich handelte, mit rund 100 Fällen in der Minderheit. Im Zuchthaus saßen politische Gefangene ebenso wie Homosexuelle und "Juden ohnehin", wie Gelderblom sagt. "Erst kamen sie ins Zuchthaus, dann ins Konzentrationslager."

Harte Urteile bei geringsten Delikten

Vor allem seit 1939 der Tatbestand des Kriegstäters eingeführt worden sei, habe das zu harten Urteilen wegen geringster Delikte geführt, berichtet Keller-Holte. Zu den Tatbeständen hätten zum Beispiel das Hören von Feindrundfunk gehört, das Schwarzschlachten, Verstöße gegen das Verdunkelungsgebot, aber auch Kleinstdiebstähle. Die Zahl der wegen solcher Rechtsverstöße Verurteilten, die manchmal fast nur einen Mundraub begangen hätten, schätzen Gelderblom und Holte auf etwa 2000 Fälle. Selbst Todesurteile habe es wegen Diebstahls gegeben, wenn es sich um "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" gehandelt habe. Verurteilungen zu Zuchthausstrafen habe es wegen geringfügiger Delikte aber schon ab 1933 gegeben, wissen die beiden Historiker. Betroffen seien Menschen gewesen, die von den Nazis für "nicht besserungsfähig" gehalten wurden. Damit habe es im Vergleich zur Rechtspraxis während der Weimarer Republik eine gravierende Änderung gegeben.

Saßen zunächst Ausländer nur vereinzelt im Hamelner Zuchthaus ein, habe sich das ab 1942/43 sehr geändert. "Sie kamen teilweise in riesigen Transporten an. Ab 1944 wurde das Zuchthaus zum Hauptumschlagplatz für Häftlinge aus den frontnahen Zuchthäusern im Westen", erläutert Gelderblom. Teilweise seien sie nur ein paar Tage in Hameln inhaftiert gewesen, ehe sie in die Außenlager deportiert worden seien, wo sie Zwangsarbeit hätten leisten müssen.

Gedenktafel
Die Gedenktafel für fünf in Bad Liebenwerda gestorbene Häftlinge
des Zuchthauses Hameln. Foto: Gelderblom

So wie beispielsweise der Belgier Ortarius De Pauw, der am 18. September 1943 in Hameln eingeliefert wird und wegen Herstellung und Verbreitung deutschfeindlichen Propagandamaterials verurteilt ist. Ein Jahr später wird er ins Außenlager Hecht verlegt und lässt sein Leben auf einem Todesmarsch, der über Halle, Coswig, Wittenberg und Torgau nach Bad Liebenwerda führt. Dass er dort den Tod fand, hatte sein Sohn Eric aus dem Brief eines Arztes erfahren. In Bad Liebenwerda aber wusste zunächst niemand etwas von dem Todesmarsch und auch nichts vom Tod von Ortarius De Pauw. Gelderblom: "Erst aufgrund meines wiederholten und hartnäckigen Nachfragens fand die engagierte Stadtarchivarin doch noch ein Blatt, auf dem die Namen von fünf in Bad Liebenwerda verstorbenen Häftlingen aus dem Zuchthaus Hameln vermerkt waren." Ihnen wurde auf dem Friedhof, wo sie bestattet worden waren, ein Gedenkstein gesetzt. Eric De Pauw habe dort im Juni 2009 formuliert: "Heute habe ich meinen Vater begraben." Für Gelderblom selbst war es "ein bewegendes Erlebnis", wie er sagt. "Da erfüllt sich zu einem wichtigen Teil der Sinn meiner historischen Arbeit."

"Sie sollten wohl Hameln verteidigen"

Mitte September 1944 endet das Führen der Karteikarten. Während ein Transport mit 400 Häftlingen aufgenommen wird, trägt die letzte ausgefüllte Karteikarte die Nummer 150. Weshalb für die insgesamt weiteren 1500 Gefangenen, die das Zuchthaus bis zu seiner Befreiung noch durchlaufen sollten, nur noch eine Zeile in einem Gefangenenbuch und auch keine Personalakte mehr geführt wird, wissen Gelderblom und Keller-Holte noch nicht.

Das Zuchthaus war ursprünglich nur für knapp 600 Häftlinge eingerichtet. 1945 wurden dort 900 Menschen befreit und weitere 300 aus dem Außenlager Hecht geholt. Teilweise wurden im Zuchthaus auch Männer für den Dienst an der Waffe rekrutiert. "Die letzten am 3. April 1945", wie Gelderblom berichtet. "Sie sollten wohl Hameln gegen die vorrückenden Amerikaner verteidigen."

 
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(DEWEZET vom 2. August 2008)

Auf Spurensuche an den Orten des Schreckens

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(DEWEZET vom 1. Oktober 2004)

In Hameln getötet - Holländer auf Spurensuche

Nachfahren von NS-Opfern besuchten Ausstellung im Gericht / Auch SPD-Politiker informierten sich

Hameln (koe/mafi). Im Hamelner Zuchthaus sind während der Nazi-Zeit auch viele Menschen aus Nachbarländern inhaftiert gewesen - Dutzende kamen durch Mangelernährung, Seuchen oder direkte Gewalt ums Leben. Familienangehörige des holländischen Opfers Joseph van Megen sind jetzt nach Hameln gereist, um sich hier von Lokalhistoriker Bernhard Gelderblom das Schicksal ihres Verwandten schildern zu lassen. Die von Hay Reintjes geleitete zwölfköpfige Gruppe besichtigte unter anderem die Schau "Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit".

Der 1916 geborene Lehrer Joseph van Megen war 1944/45 in Hameln gefangenen gehalten worden. Als die US-Truppen sich 1945 der Weser näherten, sollten die Zuchthaus-Insassen - fast alle waren politische Gefangene - der Befreiung durch die Amerikaner entzogen werden. Die von Haft und Hunger geschwächten Männer wurden auf einen Gewaltmarsch zum
Lager Holzen bei Eschershausen geschickt. Zwischen Wegensen und Dohnsen konnten van Megen und zwei Kameraden dem Zug nicht mehr folgen: Sie versteckten sich in einem Schuppen, wurden von einem Bauern entdeckt und von SS-Männern erschossen. In Dielmissen fanden zwei weitere Erschöpfte den Tod.

Der Komponist des Moorsoldaten-Liedes

Als die aus Holland angereiste Delegation jetzt die Strecke des Gewaltmarsches abfuhr, machte sie in Bisperode Halt. Zeitzeugen berichteten dort von den Ereignissen von 1945. Für die Bürger galten die Zuchthäusler damals als Kriminelle. Doch trotz Verbots der Kontaktaufnahme reichten manche Anwohner den Gefangenen Wasser und Brot. Der junge van Megen hatte zusammen mit einigen Pfarrern 1943 alliierten Piloten und geflohenen französischen Kriegsgefangenen den Übergang über die Maas ermöglicht und sie für die weitere Flucht mit Proviant versorgt. Er erhielt dafür posthum hohe französische und amerikanische Auszeichnungen.

Die Leichen van Megens und eines weiteren Opfers wurden 1946 vom Friedhof Dohnsen nach Holland überführt. Der dritte bei Dohnsen Erschossene ruht nach wie vor auf dem Friedhof des kleinen Ortes. "Ein unbekannter Ausländer" steht auf seinem Grabstein.

Gestern wurde der Sohn des Ex-Gefangenen Rudi Goguel von Gelderblom durch die Ausstellung im Amtsgericht geführt. Auch Thomas Goguel war tief beeindruckt. Sein Vater hatte 1932 wegen KPD-Aktivitäten seine Arbeit in einer Düsseldorfer Maschinenfabrik verloren. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er verhaftet und ins KZ Börgermoor gesteckt. Dort komponierte Goguel das berühmte "Moorsoldaten-Lied" ("Doch für uns gibt es kein Klagen,/ ewig kann nicht Winter sein. / Einmal werden froh wir sagen:/Heimat, du bist wieder mein."). 1934 kam er frei, wurde aber im gleichen Jahr erneut festgesetzt und wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach mehreren Stationen erfolgte 1937 die Einlieferung in die Hamelner Anstalt, wo Goguel sieben Jahre unter schrecklichen Bedingungen festgehalten wurde. Nach seiner Entlassung wurde er sofort in "Schutzhaft" genommen und ins KZ gebracht. Goguel überlebte, kandidierte bei der ersten Bundestagswahl für die KPD. 1952 zog er nach Ost-Berlin, wo er 1976 starb.

In dieser Woche waren auch die Stadtrats- und die Kreistagsfraktion der SPD zu Gast bei Gelderblom. Die Nazis hatten in Hameln auch zahlreiche Sozialdemokraten eingesperrt. Von ihnen überlebten ebenfalls viele die unsäglichen Haftbedingungen im Zuchthaus an der Weser nicht. Von 1939 bis 1945 wurden insgesamt 305 Todesfälle offiziell registriert.

Die Ausstellung im ersten Stock des Amtsgerichtes ist wegen der großen Nachfrage vor allem aus den Schulen um eine Woche verlängert worden. Sie läuft bis zum 14. Oktober montags bis donnerstags von 3 bis 16 Uhr, freitags bis 13 Uhr; Führungen donnerstags um 15.30 Uhr und nach Anmeldung.

 
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(DEWEZET vom 17. September 2004)

Das vergessene Lesezeichen brachte ihn ins Zuchthaus

Worpsweder Maler Bernhard Huys überlebte Hamelner Haftzeit nur mit Glück / Sohn besuchte Ausstellung im Amtsgericht

VON MARC FISSER

Hameln. An dieses Bild erinnert sich Till Huys (72), als sei es gestern gewesen: Vor ihrer Kate in Worpswede hielt Mitte Mai 1945 ein Jeep der US-Armee. Ein abgemagerter Mann stieg aus - der Vater! "Die Wiedersehensfreude war riesig", erzählt Huys. Die Familie hatte zwei Jahre um das Leben von Bernhard Huys gebangt, musste sich ohne den Ernährer durch die beiden letzten schweren Kriegsjahre schlagen. Der Landschaftsmaler kehrte endlich heim aus dem Zuchthaus Hameln. Das, was er in der Weserstadt an Unrecht und Gräuel erlebt hatte, begleitete ihn bis zum Tode 1973, ist teils auch in seinem künstlerischen Werk ablesbar. "Meine Schwester und ich hatten während der Haftzeit nach dem Vater gefragt. Doch unsere Mutter verharmloste uns gegenüber natürlich die Situation", erzählt Till Huys. Der Worpsweder besuchte jetzt die Ausstellung und den Vortrag "Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit". Sein Vater war kein Krimineller - das gilt für die meisten, die während der Nazi-Diktatur in Hameln eingesperrt wurden.

Der Hamelner Historiker Bernhard Gelderblom führte Till Huys durch die Schau, in der das Schicksal von Bernhard Huys beispielhaft für die Gruppe der so genannten Kriegstäter steht. Das waren Menschen, die zum Beispiel wegen Kontaktes zu Kriegsgefangenen oder Schwarzschlachtens drastische Strafen erhielten und unter unsäglichen Bedingungen in den Kerkern vegetierten. Hunderte starben. "Die Gesamtzahl der Häftlinge, die Hameln in der Zeit des Dritten Reiches durchlaufen haben, dürfte bei 10 000 liegen", berichtet Gelderblom. Bis 1939 waren 80 Prozent der Insassen "politische" Gefangene: vor allem Kommunisten und SPD-Mitglieder. Nach Kriegsbeginn war fast jeder zweite Inhaftierte ein "Kriegstäter".

Bernhard Huys war wegen "Abhörens eines Feindsenders" vom Sondergericht in Hannover zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Als Beweismittel gegen den "Staatsfeind" diente ein Zettel, auf dem Huys notiert hatte: "Eicke gefallen, früher Kommandant von Dachau / Hamm Bahnhöfe zerstört, Rotterdam Werften zerstört / (...) Himmler ist Sadist nicht aus Perversität, sondern aus Überzeugung. (...)"

Weit über 300 kamen in aber Haft zu Tode

Dieses als Lesezeichen verwendete Papier hatte Huys in einem Buch vergessen, das einem Bekannten gehörte. Dessen Ehefrau ging zur Gestapo. Die Geheimpolizei lud Huys vor, machte eine Hausdurchsuchung. Nur durch Glück stieß sie nicht auf weiteres belastendes Material - und Huys kam an der Todesstrafe vorbei. Die Haftbedingungen im Hamelner Zuchthaus bedeuteten allerdings für viele Verurteilte nichts anderes als den Tod. Ab Herbst 1944 eskalierte dort die Situation. An den Folgen von Hunger, Schwerstarbeit, unzureichender Kleidung und mangelnder medizinischer Versorgung starben in der Anstalt nach Unterlagen des Standesamtes in den ersten fünf Monaten des letzten Kriegsjahres 172 Menschen. Von 1939 bis 1945 wurden insgesamt 305 Todesfälle registriert; die tatsächliche Zahl liegt laut Gelderblom deutlich höher.

Der Niederländer Antoon Vermeeren - wegen Verbreitung einer Untergrundzeitung zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt - schildert, wie er in Hameln ankam: "Wir geraten jetzt unter die Preußen und erfuhren dies schon bei unserem Fußmarsch vom Bahnhof zum Zuchthaus, als die Bürger auf uns spuckten." Über die Zustände hinter den Gefängnismauern schreibt er: "Aus einem Zuchthaus mit einer den Umständen nach guten Versorgung kam ich nach Hameln in ein Durcheinander, eine Sauwirtschaft. (...) Läuse und Flöhe gab es massenhaft." Dennoch: "Hameln" gilt bei den Insassen als vergleichsweise "human". Rund 80 Aufseher hatte das Zuchthaus. Häftling Rudi Goguel erklärt: Die Versuche von Anstaltleiter und SS-Mann Siegfried Stöhr, "aus Hameln eine SS-Musteranstalt zu machen, bleiben irgendwie stecken".

Gelderblom betont: "Welchen Spielraum Personal und Leitung hatten, das Los der Häftlinge zu verbessern und welche Verantwortung sie für die schrecklichen Zustände gegen Kriegsende tragen, lässt sich noch nicht beurteilen." Für den Historiker ist es jedoch wichtig, dass die Hamelner die Opfer nicht vergessen. Till Huys war bewegt von den Ausführungen des Forschers. Bald wird Gelderblom die Familie des von der SS erschossenen Häftlings Joseph van Megen zum Ort des Zuchthauses führen. Dort finden die Hinterbliebenen ein Hotel und eine Sporthalle - aber kein Zeichen des Gedenkens.

 
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(DEWEZET vom 17. September 2004)

Historiker mahnt: Hameln soll an dieses dunkle Kapitel erinnern

Gedenktafel für Opfer der NS-Justiz gefordert / Stadt reagiert prompt

Hameln (mafi). Dieses Ausmaß des Leids hatte Lokalhistoriker Bernhard Gelderblom nicht erwartet, als er seine Forschungen zur NS-Geschichte des Hamelner Zuchthauses aufnahm. Mit der Ausstellung im Amtsgericht hat er dem Unrecht Gesichter gegeben. Die Schicksale der politischen Gefangenen, Juden, Homosexuellen und als "Kriegstäter" Verurteilten zeigen eindringlich, dass der Nazi-Terror auch mitten in Hameln grausamer Alltag war. Gelderblom betont: "Das Hamelner Zuchthaus wird im Rahmen der Entschädigungsgesetzgebung mit einem KZ gleichgesetzt." Doch einen sichtbaren Hinweis in der Stadt auf dieses dunkle Kapitel der Geschichte vermisst der Experte. Schlimmer noch: "Im Jahre 1975 wurden auf dem Friedhof Wehl ohne jede Diskussion die Gräber von 306 Männern eingeebnet, die während der Kriegsjahre in dem Zuchthaus zu Tode gekommen waren." Und die baulichen Reste des Zuchthauses sind heute das Hotel "Stadt Hameln", in dem es keinen Hinweis auf die hier gestorbenen Menschen gibt. "Wann wird das Zuchthaus Teil des Gedächtnisses dieser Stadt?" fragt Gelderblom. "Wann fordert der Rat den Käufer des früheren Gefängnisses auf, eine Gedenktafel anzubringen?"

Mit seinen Forschungen und seiner Forderung hat Gelderblom die Verantwortlichen aufgerüttelt. Stadt-Sprecher Thomas Wahmes sagte auf DEWEZET-Nachfrage: "Bernhard Gelderblom hat Recht: Ein Ort des Gedenkens an das Leiden unschuldiger Menschen, die im Zuchthaus Hameln inhaftiert waren und ums Leben kamen, fehlt in der Stadt." Zwar könne Hameln das Unrecht nicht ungeschehen machen - "doch ist es zumindest wichtig, die Erinnerung wach zu halten." Der Vorschlag, eine Gedenktafel aufzustellen, werde "wohlwollend geprüft". Denkbar wäre, laut Wahmes, dazu die städtische Fläche im Grünbereich zwischen Hotel und Rattenfängerhalle zu nutzen: Früher stand dort der Zellentrakt. Hotelbetreiber Dieter Güse unterstützt dieses Vorhaben. Ein öffentlich zugänglicher Ort sei sinnvoller als eine Ecke im Innenhof des Hotels. Am 27. September werden die SPD-Vertreter von Stadtrat und Kreistag Gelderbloms Ausstellung besichtigen - und dann auch vom Los sozialdemokratischer Häftlinge hören. Bürgermeister Herbert Rode und Fraktionschef Klaus Nolting wollen anschließend mit dem Historiker über eine Gedenktafel sprechen und später einen entsprechenden Antrag in den Rat einbringen. Unabdingbar sei es auch, die Grabstelle am Wehl zu pflegen und auch dort Zeichen zu setzen.

KOMMENTAR

Die Nazi-Opfer nicht vergessen!

Von MARC FISSER

Was für eine Stadt: Sie wird nicht müde, den Mann zu feiern, der ihr vor 720 Jahren 130 Kinder entführt hat, sie erweckt die Zeit der Renaissance mit großem Aufwand zu neuem Leben, ist stolz auf ihre Geschichte als "Gibraltar des Nordens" und als Mitglied der Hanse. Doch von Hitlers gigantischem Propagandafest am Bückeberg oder den Verbrechen heimischer Nazis wollen viele Hamelner lieber nichts wissen. Für die unschuldigen Menschen, die in jener Zeit im Zuchthaus an der Weser zu Tode kamen, gibt es nicht einmal eine Gedenktafel, ihr Massengrab würde 1975 eingeebnet. Dabei ist die sichtbare Erinnerung an den Nazi-Terror von damals ein gutes Mittel gegen den Neonazi-Horror von heute!

 
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