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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Auf den Spuren des früheren jüdischen Lebens in Hameln - ein Stadtrundgang

Standort 6

Pferdemarkt 8

Das Wohn- und Geschäftshaus der Viehhändlerfamilie Katz
und spätere "Judenhaus"

 
Traditionell hatten überdurchschnittlich viele Juden vom Viehhandel gelebt. Als Viehhändler und Schlachter hatten sie auf dem Lande ein dürftiges Auskommen gehabt. Seit der Reichsgründung und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung zogen viele von ihnen aus den umliegenden Dörfern nach Hameln. Die verkehrsmäßige Erschließung des Umlandes durch die Eisenbahn erlaubte den Viehhändlern nun eine Tätigkeit im weiteren Umkreis.

Das Ehepaar Abraham und Rieka Katz bewohnte und besaß das Haus Pferdemarkt 8 und betrieb dort ihren Viehhandel. Abraham Katz starb 1930. Mit ihren Söhnen Karl und Walter betrieb Rieka Katz das Geschäft weiter.

Die NS-Propaganda hatte es besonders auf die jüdischen Viehhändler abgesehen. Der 1933 massiv einsetzende Boykott ließ deren Umsätze stark zurück gehen. 1937 musste deshalb auch die Viehhandlung Katz auf einen "arischen" Besitzer übergehen.

Zum Jahresende 1938 lebte von der Familie Katz nur noch die Mutter im Haus Pferdemarkt 8. Dem Sohn Karl war die Ausreise in die USA gelungen. Der jüngere Sohn Walter war am 9. November 1938 deportiert und am 7. Januar 1939 im KZ Buchenwald ermordet worden.

 

Die furchtbaren Ereignisse drängten die Witwe, nun die eigene Auswanderung energisch zu betreiben. Um die erheblichen Kosten dafür aufzubringen, war Rieka Katz zum Verkauf des Hauses gezwungen. Der Käufer, der Viehhändler Habekost, konnte aber nicht zahlen, weil er inzwischen zum Wehrdienst eingezogen worden war. Es folgten lange Verhandlungen mit dem Ziel, den Kaufvertrag zu lösen und einen anderen Käufer zu finden.

Um wenigstens die Auswanderung bezahlen zu können, bat sie den Oberbürgermeister um die Genehmigung, ihr Grundstück belasten zu dürfen. Nach zermürbendem Schriftwechsel erhielt sie schließlich im September 1940 die Genehmigung, eine Hypothek von 3.000 RM aufnehmen zu dürfen. Das Geld durfte nur für Auswanderungszwecke verwendet werden. Kostbare Zeit war vergangen.

Am 11. September 1941 schrieb sie an den Hamelner Oberbürgermeister:

"Die Kosten für die Auswanderung sind zum größten Teil bezahlt. Meine Auswanderung verschob sich noch, weil ich das Visum beim Konsulat in Hamburg nicht erhielt, offenbar mit Rücksicht auf die allgemeine Lage".

Ein weiterer Brief vom 24. September 1941 an den Oberbürgermeister hat sich erhalten.

"Ich benötige jetzt nur noch das Reisegeld für die Reise von hier bis zum Hafen Lissabon. Das Geld für die Schiffskarte hat mein Sohn bereitgestellt."

Rieka Katz ist die Flucht aus Deutschland nicht mehr gelungen. Mit Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 hatte das Dritte Reich alle Ausreisen von Juden aus seinem Machtbereich untersagt.

Das Haus Pferdemarkt 8 nutzte die Stadtverwaltung seit 1939 auch als "Judenhaus". Neben Rieka Katz mussten hier einziehen das 76 Jahre alte "Fräulein" Paula Cahn, die 73-Jährige Witwe Henny Herz, die unverheiratete Johanne Michaelis, 68 Jahre alt und die 63-Jährige Witwe Ida Weinberg und weitere Personen.

Rieka Katz lebte noch bis Juli 1942 in ihrem Haus. Mitte Juli erhielt sie die vor der Deportation auszufüllende 16-seitige Vermögenserklärung. Viel blieb der 71-Jährigen hier nicht einzutragen.

Am 23. Juli 1942 wurde Rieka Katz über Hannover nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie am 26. September 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinec verschleppt und ist dort verschollen. Fünf Tage nach ihrer Deportation wurde an die Adresse Pferdemarkt 8 die Verfügung über die Einziehung ihres gesamten Vermögens zugestellt.

Der Regierungspräsident:
"Auf Grund des §1 des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 ... wird in Verbindung mit dem Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden vom 29. Mai 1941 das gesamte Vermögen der Jüdin Rieka Sara Katz ... zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen."

Das Finanzamt Hameln beschäftigte sich anschließend mit den verwertbaren Resten des Vermögens von Rieka Katz. Erhalten ist eine Abschrift des Versteigerungsprotokolls. Am 7. und 13. November 1942 fanden 52 Posten neue Besitzer. Die Bieter stammten aus Hameln oder den umliegenden Ortschaften. Sie erstanden Möbel, Küchenutensilien, Wäschestücke. Das teuerste Stück war ein Sofa für 75 RM, das billigste eine Brille mit Futteral für 1,40 RM.

Nach Abzug der Versteigerungskosten wurde der Reinerlös von 446,78 RM "an die Finanzkasse abgeführt". Damit hatten die Behörden das gesamte Vermögen der Familie Katz vereinnahmt – ein Betrag von insgesamt 21.000 RM.

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© Bernhard Gelderblom Hameln